Im September 2020 hatte ich zuletzt meine Bütis Woche ganz Taiwan gewidmet. In den zwölf Monaten seither ist viel passiert, was dazu beigetragen hat, Taiwan mehr politische Aufmerksamkeit zu widmen. Diese Entwicklung erreicht jetzt einen Höhepunkt, weil das Europäische Parlament noch im Oktober, in seiner nächsten Plenarsitzung, einen Bericht annehmen wird, in dem es eine neue Richtung der Taiwan-Politik der EU anmahnt. Bei der entsprechenden Abstimmung im Auswärtigen Ausschuss gab es 60 Ja-Stimmen bei nur 4 Nein-Stimmen und 6 Enthaltungen. Man kann also von einer deutlichen Mehrheit im EP-Plenum ausgehen. Die politische Unterstützung reicht von der EKR-Fraktion, der der schwedische Berichterstatter Weimers entstammt, über die EVP, S&D und Renew bis zu uns Grünen. Dies ist der erste eigenständige Taiwan-Bericht, den das Europäische Parlament je behandelt hat. Wir demonstrieren damit die wachsenden Aufmerksamkeit, die wir Taiwan schenken wollen. Der Beschlussentwurf thematisiert den gemeinsamen Wunsch des Europäischen Parlaments, ein Investitionsabkommen mit Taiwan zu verhandeln; spricht sich für stärkere Beziehungen auf verschiedenen Ebenen aus; setzt sich für eine sinnvolle Beteiligung Taiwans an internationalen Institutionen wie der WHO, der International Civil Aviation Organization (ICAO), von Interpol oder auch von UNFCCC ein. Der Bericht versichert Taiwan unserer Solidarität gegen die vielfältigen chinesischen Drohgesten und Provokationen. Unsere Sprache ist deutlich und die Richtung ist klar: Als DemokratInnen wollen wir Taiwans Demokratie gestärkt sehen. Im Europäischen Parlament wurde übrigens vor Kurzem auch beschlossen, eine Delegation des INGE-Ausschusses (Sonderausschuss zu Einflussnahme aus dem Ausland auf alle demokratischen Prozesse in der Europäischen Union, einschließlich Desinformation) nach Taiwan zu autorisieren. Dort wollen die Kolleginnen und Kollegen insbesondere erfahren, was wir von Taiwan beim Umgang mit Desinformation und chinesischer Interneteinmischung lernen können. Das Europäische Parlament spielt in der Taiwan-Politik die Rolle eines europäischen Wegbereiters. Die Kommission ist demgegenüber viel zurückhaltender und versucht, unsere Forderung nach einem bilateralen Investitionsabkommen auszusitzen, weil sie das Echo aus Peking fürchtet. Auch unter den Mitgliedsländern ist vor allem große Zurückhaltung zu beobachten. Die Ausnahme, die die Regel bekräftigt, ist Litauen, das für seine mutige Politik Druck von der Volksrepublik hinnehmen musste, sich davon aber nicht beeindrucken lässt. Es sieht allerdings so aus, als würde Litauen nicht sehr lange mehr ganz alleine bleiben, denn die neuen Mehrheiten nach der Wahl in Tschechien versprechen, dass auch dort eine aktivere Taiwan-Politik verfolgt werden wird. Aus Peking waren in den letzten Monaten gegenüber Taiwan ganz überwiegend scharfe Töne zu hören. Zuletzt allerdings sprach Xi Jinping, der Partei- und Staatschef Chinas, in einer Rede zum 110. Jahrestag der Revolution, die das chinesische Kaisertum stürzte und die immer mit dem Namen Sun Yat-sen verbunden bleiben wird, von „friedlicher Wiedervereinigung“. Ich würde sagen, diese Vorstellung ist ungefähr so überzeugend wie die des Wolfes, der im Märchen vom Rotkäppchen die Großmutter zu spielen versucht. Die „friedliche Wiedervereinigung“ zwischen China und Taiwan ist eine Parole aus der Deng Xiaoping-Zeit, die Xi Jinping längst hinter sich gelassen hat. Realisiert werden sollte die Vereinigung nach dem Prinzip „Ein Land, zwei Systeme“, dessen Wirksamkeit seit 1997 in Hongkong demonstriert werden sollte. Es gab am Anfang durchaus die Hoffnung, dass vielleicht auch China selbst durch innere Reformen sich jedenfalls teilweise in Richtung der freieren Verhältnisse in Taiwan verändern könnte. Seit allerdings die Pekinger Führung in Hongkong hart durchgreifen lässt, die im Hongkonger Grundgesetz und in der chinesisch-britischen Erklärung von 1984 garantierten Freiheiten unterdrückt und jede demokratische Äußerung verfolgt, hat die Parole „Ein Land, zwei Systeme“ nicht nur in Hongkong, sondern auch in Bezug auf Taiwan jede Glaubwürdigkeit verloren. Es gibt in der knapp 24 Millionen Menschen starken Bevölkerung Taiwans nur eine verschwindende Minderheit, die sich darauf einlassen würde. Tatsächlich zeigt das Verhalten Pekings nicht friedliche Absichten, sondern den immer stärker betonten Willen, eine Wiedervereinigung auch gegen die Mehrheit der Taiwanerinnen und Taiwaner zu erzwingen. In dieser Situation wollen wir im Europäischen Parlament im Gegenzug auf Stabilität in den Beziehungen zwischen Taiwan und China setzen. Wir wollen eine konservative Haltung stark machen, die sich gegen einseitige Veränderungen des Status quo wendet. Angesichts der Versuche Chinas, diese Stabilität zu untergraben, müssen alle Freunde der Demokratie strategische Solidarität gegenüber Taiwan entwickeln. Die Volksrepublik China ist derzeit mächtiger und selbstbewusster als je. Und trotzdem kann auch sie nicht ignorieren, welche Reaktionen sie mit ihrer Politik auslöst. Wollen ihre Führer sich tatsächlich wegen ihres Anspruches auf Taiwan massiv mit der internationalen Gemeinschaft anlegen? Wenn wir Taiwan allein lassen, würde Peking kein großes Risiko eingehen, wenn es die Insel in den nächsten 10 bis 15 Jahren militärisch schluckt. Wenn wir Taiwan nicht alleine lassen, gibt es eine Chance, dass sich in Peking doch historische Vernunft und historische Geduld durchsetzen. Dazu müsste man sich dort nur Deng Xiaopings erinnern, der argumentiert hatte, dass es im Zweifel besser sei, aktuell unlösbare Probleme aufzuschieben. In Hongkong hat Xi Jinping diese Haltung rücksichtslos missachtet. Wenn wir Taiwans Demokratie hinreichend stärken, können wir vielleicht das politische und ökonomische Kalkül Pekings verändern. Es ist die Sache des chinesischen Volkes, sowohl auf dem chinesischen Festland als auch der Taiwanerinnen und Taiwaner, über eine mögliche chinesische Wiedervereinigung zu entscheiden. Es ist im Sinne der Stabilität und des Friedens in der Welt, dass das, wenn es geschieht, in gegenseitigem Einverständnis und ohne Gewaltanwendung geschieht. Darauf zielt unsere Politik und das ist auch der traditionelle Inhalt von Europas sogenannter Ein-China-Politik. Den Anspruch der Kommunistischen Partei auf eine im Zweifel gewaltsame Eroberung der Insel hat die EU nie anerkannt, auch Deutschland nicht. Dabei sollten wir bleiben. Die Pekinger Führung sieht den Anschluss Taiwans ans Festland als unverzichtbaren Teil des Aufstiegs des eigenen Nation. Den Nationalisten und Hypernationalisten in der KP Chinas kann das gar nicht schnell genug gehen. Doch was, wenn eine Aggression Chinas gegen Taiwan dazu führte, dass der eigene Aufstieg nicht vollendet, sondern wegen der internationalen Reaktionen massiv behindert würde? Wenn die Weltgemeinschaft die Führung in China überzeugen kann, dass sie bei einer Zuspitzung und sogar militärischen Eskalation in der Taiwan-Straße Gefahr läuft, wegen der zu gewärtigenden Reaktionen der demokratischen Welt mehr zu verlieren, als sie durch einen solchen aggressiven Akt gewinnen kann, dann ist vielleicht die Vermeidung eines solchen kriegerischen Konfliktes möglich. Hoffen wir’s. |
Sonst noch
- Traditionell berichte ich in meinen Plenarnotizen über die Plenartagung der vergangenen Woche. Thema der Woche waren weltweit die Pandora Papers.
- Ich habe im Plenum zur Zukunft der EU-US-Beziehungen gesprochen.
- Meine Pressemitteilung zu den Ergebnissen des Trade & Tech Council in Pittsburgh findet Ihr hier.
- Am 6.10. habe ich am „Warsaw Security Forum“ teilgenommen.
- Am 11.10. habe ich an der 25. „Forum 2000 Conference“ in Prag teilgenommen.
- Die nächste Woche ist eine Straßburg-Woche, hier die regelmäßig aktualisierte Tagesordnung.