#180 Trump bleibt | BÜTIS WOCHE

Der Trumpismus werde das Ende der Präsidentschaft von Donald Trump überdauern, schrieb ich letzte Woche. Diese Einschätzung ergab sich daraus, dass der Wahlverlierer immerhin etwa 71 Millionen Stimmen für sich gewonnen hatte, etliche Millionen mehr als vor vier Jahren; dass er es geschafft hatte, eine ihm extrem loyale Anhängerschaft aufzubauen, für die seine endlosen Lügen quasi geoffenbarte Wahrheiten sind, und alles, was dem widerspricht, logischerweise Lügen; dass es der Republikanischen Partei unter Führung von Trump gelungen war, den Verlust der Mehrheit im Senat abzuwenden und im Abgeordnetenhaus ihre Lage so zu verbessern, dass sie nach den Erfahrungen mit Midterm Elections darauf rechnen kann, in zwei Jahren auch dort eine Mehrheit zu gewinnen; dass das Republikaner-Übergewicht in den Bundesstaaten nicht gebrochen werden konnte, wodurch diese Partei bei der fälligen Neueinteilung der Wahlkreise gute Chancen hat, strukturelle Ungleichgewichte zu ihren Gunsten zu verstärken; dass die Mehrheit für Biden auf der Ablehnung der Person Trumps gründete, nicht aber auf der Zustimmung zu den Reformideen der Demokratischen Partei; dass die Demokraten es anscheinend nirgends schafften, in ländlichen Gebieten eine attraktive Alternative zu Trump zu entwickeln, sondern zusehen mussten, wie die Stadt-Land-Differenz zementiert wurde; dass schließlich keine Person sichtbar wurde, die Aussicht hätte, Donald Trump in der kommunikativen Reichweite und Durchschlagskraft zu übertrumpfen.

Doch dass der Trumpismus bleibt, ist nicht alles. Trump selbst bleibt auch.

Erst einmal bleibt er beim Pendeln zwischen dem Weißen Haus und seinen verschiedenen Golfplätzen. Er tut so, als habe er die Wahl nicht verloren. Er erkennt Bidens Anspruch nicht an. Er verspricht seinen Anhängern, das Wahlergebnis durch eine Klagewelle außer Kraft zu setzen. Er lässt ein Budget für das nächstfolgende Haushaltsjahr planen, so als wäre er vielleicht auch noch 2022 im Amt. Er nutzt alle Vollmachten, die ihm sein hohes Amt verleiht, rücksichtslos aus. Letzteres durfte gerade der ehemalige Verteidigungsminister Esper erfahren, der ganz unzeremoniell aus dem Amt gekegelt wurde. Doch was wir da beobachten, ist nicht einfach die Unbeherrschtheit und die Irrationalität eines wütenden alten Mannes, der nichts so sehr hasst wie das Verlieren und sich deswegen nicht damit abfinden kann. Ich unterstelle nicht, dass die Trump-Welt oder Trump selbst tatsächlich annehmen, es verhindern zu können, dass Joe Biden am 20. Januar in das Präsidentenamt eingeführt wird. Ich glaube auch nicht an die Verschwörungsbefürchtungen, in denen Trump irgendwie qua Putsch das Präsidentenamt festhält, um im Konflikt mit der Verfassung weiterzuregieren.

Was Trump will, ist dies: seine Niederlage vor aller Augen für seine Anhänger unsichtbar machen. Das dient einerseits seinem grenzenlosen Narzissmus; er kann ja kein Loser sein, weil er #realDonaldTrump ist. Andererseits aber dient das auch seinem Wunsch, mächtig zu bleiben, auch wenn ihm das Amt, das er jetzt vier Jahre innehatte, nicht mehr zur Verfügung steht. Trump war ja schon vor seiner Präsidentschaftskandidatur, ganz ohne Amt, durchaus ein politischer Faktor. Er war z. B. die lauteste Stimme der rassistischen Bewegung „Birtherism“, die Obama sein amerikanisches Bürgerrecht streitig machte. Jetzt will er, scheint mir, seinen fortdauernden Einfluss sichern, wieder aus einer informellen Position, aber natürlich mit viel mehr Reichweite als damals.

Dass starke Männer die Geschicke eines Landes bestimmen, ohne formell eines der höchsten Staatsämter innezuhaben, das hat es schon gegeben. Bis vor Kurzem hatte Jarosław Kaczyński in Polen eine solche Position. In China hatte vor einigen Jahrzehnten Deng Xiaoping jahrelang nur ein einziges Amt, das des Präsidenten des gesamtchinesischen Bridgeclubs, und bestimmte doch die großen Linien der Politik und die entscheidenden Personalfragen. Ist es vorstellbar, dass Trump für sich eine informelle Rolle vergleichbaren Ausmaßes schaffen kann? Gewiss nicht für die ganzen U.S.A., aber vielleicht für die republikanische Hälfte. Und das bedeutete eine enorme Machtfülle.

Die entscheidende Voraussetzung dafür, dass dieses Trump vielleicht gelingen kann, liegt in seiner fortlaufenden Kontrolle über die Republikanische Partei, die ihm ja, wie der Wahlkampf zeigte, bisher treu ergeben war. Jetzt geht es ihm darum, trotz Niederlage, diese Ergebenheit zu verlängern. Dazu muss er quasi in einer Zangenbewegung einerseits weiterhin die Agenda bestimmen und andererseits mögliche Abweichler im eigenen Lager durch Drohung mit den fanatisierten Anhängern auf Linie zwingen. Trump besteht darauf, zu bestimmen, was von Republikanern laut gedacht, öffentlich propagiert oder eben auch an rationaler Kommunikation verweigert werden kann. Schafft er das, dann ist er die einzige Quelle von Legitimität in diesem beachtlichen, gesellschaftlich und institutionell enorm starken politischen Lager.

Die offenkundige Unvernunft, mit der Trump ständig unbewiesene Behauptungen wiederholt und auf Lügen beharrt, ist vielleicht Verrücktheit, hat aber doch Methode: „Though this be madness, yet there is method in’t“, schrieb Shakespeare. Diese Verrücktheit ist zugleich ein Mittel zur Macht. Kann er es durchsetzen, dass sein Diskurs der Diskurs ist, dem ein Republikaner sich anschließen muss oder sich jedenfalls nicht offen verweigern darf, dann gewinnt Trump eine Definitionshoheit, die ihn, nicht in der ganzen Gesellschaft, aber in deren rechten Teil, zur unhintergehbaren politischen Autorität macht.

Von dieser Stellung aus könnte er dann bestimmen, wie hart ein Präsident Biden bekämpft werden muss, wie konsequent sich die Republikaner Kompromissen im Kongress verweigern, wie hasserfüllt die bestehende gesellschaftliche Spaltung vertieft und wie hermetisch ein bestimmtes Weltbild ausgeprägt wird. Es würde gut dazu passen, wenn Trump tatsächlich, wie etliche Gerüchte es wissen wollen, einen eigenen Fernsehsender gründete, um sich ein ihm vollständig ergebenes Propagandamittel zu schaffen. Zudem wäre die Ankündigung oder auch nur die Drohung, 2024 noch einmal als Präsidentschaftskandidat antreten zu wollen, ein parates Mittel, um jeden anderen, der vielleicht davon träumt, Trumps Erbe zu übernehmen, als einen zu bekämpfen, der sich gegen die mystische Einheit zwischen dem Volk und seinem Führer vergeht.

Donald Trump hat, wenn ich mich nicht irre, in den wenigen Tagen, seitdem der Wahlsieg Bidens ausgerufen wurde, für eine solche Strategie wichtige Pflöcke einrammen können. Nur vier republikanische Senatoren, die allesamt ohnehin als unzuverlässige Zeitgenossen verrufen sind, haben Biden zum Wahlsieg gratuliert. Mitch McConnell, der Mehrheitsführer im Senat, hat sich explizit hinter Trumps Weigerung gestellt, die Niederlage zu konzedieren. Indem Trump für seine Sicht der Dinge landesweit bei seinen Anhängern trommeln lässt, ohne aus dem Republikaner-Lager wesentlichen Widerspruch zu ernten, schafft er die Basis für einen Dolchstoßmythos, dessen Hohepriester er selbst sein wird. Dass sich derzeit die Republikaner aktiver als im allerersten Schock um Trump versammeln, könnte man versucht sein, taktisch damit zu erklären, dass sie versuchen, die Spannung hochhalten zu wollen bis zu den für die Senatsmehrheit entscheidenden Stichwahlen um zwei Sitze aus Georgia Anfang Januar. Vielleicht ist das tatsächlich bei vielen Politikern der G.O.P. ein Grund, warum sie jetzt keine Widerworte geben. Aber Trump nutzt diese taktische Lage, um sich strategisch im eigenen Lager unangreifbar zu machen. Schon hat er weitgehend durchgesetzt, dass seine frivolen Wahlanfechtungsklagen, von denen bisher noch keine einzige irgendeine reelle Substanz hatte, allgemein auf republikanischer Seite als eine ganz normale Praxis zur Einhaltung von Recht und Gesetz verkauft werden. 70 Prozent seiner Wählerinnen und Wähler, also ungefähr 50 Millionen Menschen, die abgestimmt haben, sind laut Umfragen heute schon überzeugt, dass Trumps Niederlage nur durch Betrug der Demokraten zustande kam.

Ob die Dysfunktionalität der amerikanischen Politik von Präsident Biden, dem großen Versöhner, überwunden werden kann, kann man bezweifeln. Es wäre sozusagen die 13. Prüfung des Herkules. Dass eine Menge Dysfunktionalität auf Jahre hinaus mit dem Namen und der Rolle von Trump verbunden bleiben wird, kann man kaum bezweifeln.


Sonst noch

  • Zusammen mit den beiden Vizevorsitzenden der China-Delegation des Europäischen Parlaments, Evelyne Gebhardt (S&D) und Maria Spyraki (EVP), fordere ich in einem Brief an Tedros A. Ghebreyesus, Generaldirektor der WHO, dass Taiwan in die Arbeit der WHO einbezogen wird.
  • Meine Pressemitteilung zu den Ergebnissen des EU-Handelsministerrates könnt Ihr hier nachlesen.
  • Zur Abstimmung über das EU-China-Abkommen zum Schutz geografischer Angaben äußerte ich mich hier in einer Pressemitteilung.
  • Ab dem 01. Januar 2021 suche ich für mein Team in Brüssel eine*n parlamentarische*n Assistent*in mit dem Schwerpunkt europäische Chinapolitik. Hier die Stellenausschreibung. Ich freue mich auf Eure Bewerbungen bis zum 23. November.