Vor etwas mehr als einer Woche habe ich den diesjährigen Tag der Deutschen Einheit insgesamt vier Mal begangen: Ich feierte am 6.10. im Garten der deutschen Botschaft in Washington D.C., zuvor feierte ich am 1.10. in Brüssel und am 3.10. in Frankfurt und dann in Berlin. Trotz des 25 jährigen Jubiläums das sicher gesteigerte Feierwilligkeit nahelegt, war das wohl ein bisschen viel. Andererseits bot mir diese ungewöhnliche Feiertournee, im Nachhinein betrachtet, die Gelegenheit zu einigen interessanten Beobachtungen, die wie Blitzlichter erhellen, wie es unserem Land gerade im Umgang mit sich selber ergeht.
In Brüssel hatte Botschafter Silberberg den großen Platz vor dem Jubelpark bekommen, um eine ganz besondere Licht- und Musik- Show zu organisieren. Tausende von Gästen sahen einen auf den Triumphbogen projizierten extra für dieses Ereignis kreierten Videofilm, der 25 Jahre Wiedervereinigung im Rahmen deutscher und europäischer Zeitgeschichte seit den 30er Jahren reflektierte. 1,2 Megawatt Strom wurden für die Laseranlage benötigt, mit der ein Bilderreigen projiziert wurde, welcher von Hakenkreuztruppen unter dem Brandenburger Tor bis zu dem aktuellen “Willkommen” für syrische Flüchtlinge und zu einem emphatischen Bekenntnis zur Europäischen Union reichte. Viele der Gäste diskutierten anschließend, was es wohl über Deutschland sage, dass es sich zum Nationalfeiertag so in der Hauptstadt Europas präsentierte. Von einem stolzen “das haben wir Deutschen schon gut gemacht, wie wir mit unserer Geschichte umgehen” über ein “in den meisten Hauptstädten Europas hätte man das wohl so keinesfalls zeigen können” bis zu einem “hier drückt sich das geläuterte Selbstbewusstsein des heutigen Deutschland als europäische Führungsmacht aus” reichten die Reaktionen. Mit BelgierInnen habe ich über die Veranstaltung nicht gesprochen. Trotzdem blieb ein Gefühl von Ambivalenz. Ja, das Land traut sich was, es will sich zeigen, aber es will sich gewiss auch nicht vorwerfen lassen, damit übertünchen zu wollen, dass, wie Botschafter Silberberg sagte, “wir Deutsche es waren, die neben vielen anderen europäischen Städten zwei Mal in den letzten hundert Jahren Brüssel in Schutt und Asche legten.” Europaparlamentspräsident Martin Schulz setzte bei der Veranstaltung, bei der er eine kurze Rede hielt, einen schönen europäischen Akzent indem er auf die entscheidende Rolle des Kampfes der Polen und der Ungarn um Freiheit für die friedliche Wiedervereinigung verwies.
Bei der offiziellen Wiedervereinigungsfeier, die dieses Jahr in Frankfurt vom Bundesland Hessen ausgerichtet wurde, gab es andere Akzente. Durch vielfältige kulturelle und künstlerische Beiträge wurde Deutschland als Land in Bewegung präsentiert, dass von jungen Menschen geprägt ist. Politisch dominierte das Thema Flucht und Flüchtlingspolitik. Die Aufmerksamkeit konzentrierte sich auf die Frage wie sehr die Festredner Bouffier und Bundespräsident Gauck sich bei der Flüchtlingspolitik hinter die Kanzlerin stellen oder von ihr abrücken würden. Bouffier stärkte ihr mit wenigen einfachen Worten den Rücken. Er tat es auch dadurch, dass er eine Gruppe von Flüchtlingen zur Einheitsfeier eingeladen hatte. Präsident Gauck dagegen nahm eine andere Position ein. Mit überaus sorgfältig gesetzten Worten verkündete er eine Doppelbotschaft: Zum einen ließ er erkennen, dass seiner Meinung nach die Politik der Kanzlerin etwas anderes balanciert werden müsse; zum anderen zeigte es wie sehr er sich dessen bewusst war, dabei vorsichtig vorgehen zu müssen um nicht zu viele Emotionen zu wecken. Er zeigte sich zugleich unzufrieden mit der Position von Frau Merkel und sich dessen bewusst, dass der Wiederstand gegen diese Politik des “freundlichen Gesichts” unsere Gesellschaft gerade massiv erschüttert. Das Deutschland, das in Frankfurt zu sehen war, war ein Land, welches sich ein Stück weit unsicher ist über die Art und Weise wie es die ihm zuwachsende europäische Führungsverantwortung wahrnehmen will.
In Berlin gab es bei der vom Bundestagspräsidenten ausgerichteten Feier vor dem Reichstag besonders wenig Politik. Es war ein BürgerInnenfest. Die Rede des Bundestagspräsidenten gipfelte in der Aussage, Deutschland habe nie in seiner Geschichte glücklicherer Zeiten erlebt. Für eine Feiertagsrede mag das angehen, aber als Überschrift über deutsche Selbstwahrnehmung wäre es beunruhigend. Zu leicht stürzt man vom selbstbezüglichen Biedermeier direkt ins unüberschaubare Chaos. In Washington schließlich, wohin ich den Bundespräsidenten bei seiner Reise begleitet hatte, feierten zwischen zweitausend und dreitausend Gäste im wunderschönen Garten der deutschen Residenz. Das kulinarische Angebot war vielfältig, erweckte allerdings bei spöttischen Gemütern auch ein bisschen den Eindruck als wolle es dem ein oder anderen US-amerikanischen Besserwisser ganz sanft die deutsche Vorliebe für ein wenig Austerität demonstrieren. Die Feierrede hielt Joachim Gauck der seinen USA Besuch an anderer Stelle explizit als eine “Pilgerreise” zu den amerikanischen Städten der Freiheit bezeichnet hatte. Er nahm sich die Freiheit deutlich zu lange zu reden, fing das dann am Ende aber mit der fröhlichen Bemerkung wieder ein: “I wanted to show you my heart and I did.” Anders als bei seiner Grundsatzrede am Tag zuvor in Philadelphia gestaltete der Bundespräsident diese Ansprache als eine einzige Huldigung an die USA als Hort der Freiheit. Nebentöne: keine. Blick nach vorne: auch nicht. Es war dann im Anschluss dem Stabschef des amerikanischen Präsidenten Obama, der als zweiter Redner nach Präsident Gauck vorgesehen war vorbehalten, in seinen sehr kurzen Bemerkungen, mit denen er die Zeit fast wieder einholte, darauf zu verweisen, welchen Herausforderungen sich Deutschland ähnlich wie die USA und in vielen Fällen gemeinsam gegenübersieht. Donilon richtete den Blick klar nach vorne und nicht ohne Sorge. Und implizit stellte er damit die Frage, die man in Washington immer wieder hört: zu welcher Verantwortung wird das neue, nun seit 25 Jahren wiedervereinigte Deutschland bereit sein?
Ich glaube, dass es die zentrale Frage ist die man sich anlässlich des 25 jährigen Jubiläums in Deutschland stellen muss.