„Die Nato ist ein wichtiger Pfeiler transatlantischer Sicherheit“, so hieß es in einer Resolution des Europäischen Parlamentes zum transatlantischen Verhältnis, über die ich 2009, ganz zu Beginn meiner Arbeit im Europäischen Parlament, um ein Haar bös gestolpert wäre.
Aus Anlass eines europäisch-amerikanischen Gipfels, so meine Erinnerung, wollte der Auswärtige Ausschuss des Europäischen Parlaments, wie das bei solchen Gelegenheiten üblich ist, einen Entschließungstext erarbeiten, um unsere parlamentarische Weisheit zu diesem Gegenstand zusammenzufassen und der internationalen Öffentlichkeit kundzutun. Als „USA-Experte“ der Grünen Fraktion nahm ich an den überfraktionellen Beratungen zu der Entschließung teil, die von dem erfahrenen CDU-Abgeordneten Elmar Brok geleitet wurde. Ich hatte mit Unterstützung der FraktionsberaterInnen und meines eigenen Teams eine ganze Reihe besonders Grüner Anmerkungen und Änderungsvorschläge vorbereitet, die ich auch energisch vertrat. Zu meiner großen Zufriedenheit gelang es mir den ausverhandelten Konsens-Text an insgesamt elf Stellen etwas zu begrünen. Ich hatte meine Arbeit gut gemacht, dachte ich, und referierte in der folgenden Fraktionssitzung stolz das Ergebnis mit der Bitte, diesem in der entsprechenden Plenarsitzung dann auch zuzustimmen. Für mich war das wichtig, denn das war das erste Mal, dass ich im Auftrag und Namen meiner Fraktion einen solchen Resolutionstext mitverhandelt hatte, doch meine elf Punkte interessierten in der Fraktion niemanden, stattdessen erlebte ich eine mich völlig überraschende, rüde Attacke französischer Mit-Grüner, die mit dem Ausdruck höchster Empörung und ehrlicher politischer Entrüstung einen in dem Text enthaltenen Satz geißelten, über welchen zwischen den verschiedenen Fraktionen gar nicht strittig diskutiert worden war. Es war der Satz: „Die Nato ist ein wichtiger Pfeiler transatlantischer Sicherheit“. Ich hatte den Satz für eine Selbstverständlichkeit gehalten, für eine schlichte Wahrheit, um die nicht zu streiten war, doch da hatte ich mich sehr verkalkuliert. Die Sitzung, in deren Tagesordnung nur wenige Minuten für die Behandlung meiner transatlantischen Resolution vorgesehen war, geriet völlig aus dem Ruder. Zahlreiche Kollegen gaben zu verstehen, es sei völlig unerhört, mit einem solchen Satz „Frieden mit der Nato“ zu propagieren. Meine deutsche Fraktionsvorsitzende verteidigte mich nicht und ich musste hart kämpfen, um nach einem Abstimmungs-Wirrwarr eine Einstimmen-Mehrheit in der Fraktion für die Zustimmung zu der gemeinsamen Resolution – samt des Satzes – zu gewinnen. Ganz knapp hatte ich die Lizenz erstritten, eine realistische Position zur Nato einzunehmen und damit auch mein Gesicht gegenüber den KollegInnen der anderen Fraktionen, mit denen ich verhandelt hatte, gewahrt.
Diese Woche erläuterte der finnische Außenminister Pekka Haavisto, unser Grüner Pekka!, in einer Video-Schalte mit den Mitgliedern des Auswärtigen Ausschusses des Europäischen Parlaments, warum Finnland den Antrag stellt, der Nato beizutreten und damit einen Schritt unternimmt, dem, wie es aussieht auch die Schweden folgen werden. In Finnland wird diese Neuorientierung von etwa 70% der Bevölkerung unterstützt – einschließlich der dortigen Grünen Partei. Ich glaube nicht, ja, ich kann definitiv ausschließen, dass es in unserer Europafraktion von irgend einer Seite Kritik an dieser Entwicklung geben wird. Welch ein Unterschied.
Dass wir die Nato heute anders diskutieren als vor 13 Jahren hat sicher auch viele subjektive Seiten, Individuen ändern sich, ändern ihre Meinung, lernen dazu. Doch entscheidend ist meines Erachtens die Veränderung der objektiven Lage. Entscheidend ist die Tatsache, dass die Sicherheitsarchitektur Europas durch Wladimir Putins revisionistischer Politik und insbesondere seinen unprovozierten völkerrechtswidrigen, brutalen, verbrecherischen Angriffskrieg in der Ukraine fundamental infrage gestellt ist und es gar nicht vorstellbar ist, wie wir Europäer uns ohne Rückgriff auf die Nato in dieser Situation gemeinsam behaupten sollten. Es ist in dieser Situation, in Brüssel und Straßburg jedenfalls, viel weniger von der viel zitierten „Strategischen Autonomie“ die Rede, um die die europäischen Mitgliedsländer sich in den letzten 10-15 Jahren mit Hingabe stritten und die von Washington aus überwiegend mit Misstrauen und Argwohn beäugt worden war. Strategische Autonomie zu predigen, das kommt einem eben auch nicht so leicht in den Sinn, wenn man ganz praktisch erfährt, wie die Antwort auf Putins Angriff ihre Stärke entscheidend daraus zog, dass die transatlantische Abstimmung und Zusammenarbeit so eng koordiniert war wie sehr lange nicht und dass im Übrigen auch das Zusammenwirken in der G7-Gruppe wesentliche Akzente setzte. Dabei ist unbestritten: Die EU-Mitgliedsländer müssen ihre eigene sicherheitspolitische Zusammenarbeit verstärken, wofür ja der vor kurzem angenommene „Strategische Kompass“ der EU Ziele setzt. Verstärkte eigenständige Handlungsfähigkeit der EU im sicherheitspolitischen Bereich muss sein, doch die Unersetzlichkeit der Nato als wichtiger Pfeiler transatlantischer Sicherheit steht außer Frage, das wird sich, denke ich, auch in der neuen strategischen Orientierung niederschlagen, auf die sich die Nato bei ihrem nächsten Gipfel in Madrid im Juni verständigen will.
Ganz unbestritten ist diese Auffassung innerhalb der EU und auch in unserem eigenen Land natürlich nicht. Stellvertretend für das Gegenlager, dem in Deutschland vor allem das Milieu der Linkspartei und das der AfD zuzurechnen sind, formulierte der langjährige CDU-Bundestagsabgeordnete Jürgen Todenhöfer, heute Chef seiner eigenen Kleinpartei: „Der Nato-Beitritt Finnlands und Schwedens gießt Öl ins Feuer des Russlands-Krieges. Er verhöhnt die russische Sorge, eingekreist zu werden und vergiftet das Verhältnis zu Russland auf Jahrzehnte. Dauerhaften Frieden wird es in Europa nur mit, nicht gegen Russland geben.“ Das ist ein Musterbeispiel für die Perversion politischen Denkens. Nicht der Aggressor verantwortet danach Spannungen, sondern derjenige, der gegenüber dem Aggressor Schutz sucht. Was Todenhöfer als: „die russische Sorge, eingekreist zu werden“ bezeichnet, ist tatsächlich die imperialistische Entschlossenheit, Grenzen für die eigene rücksichtslose Großmachtpolitik nicht dort zu respektieren, wo sie sich befinden, sondern sie dort neu zu ziehen, wo das dem Friedenszerstörer passt. Dauerhaften Frieden wird es in Europa deshalb auf absehbare Zeit nur mit der, nicht gegen die Nato geben.
SONST NOCH
- Plenarnotizen: Thema der Sitzungswoche im Mai im Europäischen Parlament war die Weiterentwicklung der Arbeitsweise und Struktur der Europäischen Union inklusive Wahlrecht.
- Im Rahmen der Plenarwoche habe ich außerdem zu Berichten über menschenrechtswidrige Organentnahmen in China gesprochen, die Rede findet Ihr hier.
- Gemeinsam mit 14 Grünen Europaabgeordneten habe ich einen Brief an den Generaldirektor der Weltgesundheitsorganisation, Dr. Ghebreyesus Tedros, gerichtet und fordern ihn auf, Taiwan eine sinnvolle Teilnahme an der bevorstehenden 75. Weltgesundheitsversammlung (WHA) zu ermöglichen.
- EU-Sanktionen gegen John Lee sind überfällig – meine Pressemitteilung zum Regierungswechsel in Hongkong.
- Am Sonntag, dem 15.05, halte ich ein Grußwort anlässlich der Verleihung des Nürnberger Menschenrechtspreises an Sayragul Sauytbay.