Die ökosoziale Transformation gelingt nur mit der Wirtschaft

Beitrag für den Blog des Grünen Wirtschaftsdialogs, 22.09.2021

“So viel politische Unterstützung aus der Wirtschaft wie im aktuellen Bundestags-Wahlkampf hatten wir Bündnisgrüne noch nie. In allen drei Triellen dieser Kampagne zeigte Annalena Baerbock, wir sehr für sie selbst und für unsere Partei insgesamt eine moderne, digital und ökologisch aufgeklärte Wirtschaftspolitik im Zentrum unserer Vorschläge steht. Wenn man von heute aus zurück schaut, dann ist unbestreitbar, dass wir Bündnisgrüne in der Wirtschaftspolitik einen weiten Weg zurück gelegt haben, dass aber auch die Wirtschaft uns heute viel offener und kooperationsbereiter gegenübertritt als je zuvor.

„Partei der Wirtschaft“ wollten wir Grüne über viele Jahre gewiss nicht sein. Das klang nach FDP. Wir waren “Partei der Ökologie” und gerne auch “Partei des Sozialen”. Bei dieser Abgrenzung spielte mit, dass, wenn ich mich recht erinnere, in den 80er Jahren FDP- Wirtschaftsminister Bangemann formuliert hatte: „Wirtschaftspolitik wird in der Wirtschaft gemacht.“ Oder vielleicht war das auch später Rainer Brüderle. Oder sonst jemand aus jener FDP, die Liberalismus auf Marktanbetung reduziert hatte. Die Erhebung des Verzichts auf gestaltende, rahmensetzende Politik zum politischen Ideal, Politik als Erfüllungsgehilfe ökonomischer Interessen, diese neoliberale Verirrung war es, die ich mit dem Ausdruck „Partei der Wirtschaft“ assoziierte. Das war nicht unser Bier.

Allerdings hatten wir uns bei den baden-württembergischen Grünen, für die ich vor 30 Jahren im Landtag saß, viel Mühe gegeben, eine eigene, eine Grüne Wirtschaftspolitik zu entwickeln, die später dann unter der Überschrift verkauft wurde: „Man kann mit Grünen Ideen schwarze Zahlen schreiben“. Wir bemühten uns um regelmässigen Kontakt zum Landesverband der Industrie, auch wenn man uns dort überwiegend von oben herab behandelte. Die Resonanz unserer Überlegungen blieb jedoch begrenzt. Vor der Bundestagswahl 1990 etwa reiste ich mit einem ausführlichen Referat zum Thema Grüne Wirtschaftspolitik zur Wahlkampfunterstützung nach Sachsen, wo das aber nicht wirklich ankam, weil die Menschen sich viel lieber von Wolfgang Ullmann oder Werner Schulz ganz grundlegend erklären ließen, wie sie sich in der neuen wiedervereinigten Realität zurechtfinden könnten. 

Meinen persönlichen wirtschaftspolitischen “Durchbruch” erlebte ich 1992 im nördlichen Schwarzwald auf Einladung der Wirtschaftsunion, deren dortiger Vorsitzender ein CDU-Landtagskollege war. Ich hielt einen Vortrag über “Grüne Wirtschaftspolitik” vor einigen Dutzend schwarzen Mittelständlern. Der CDU-Kollege hatte mich gepiesackt: Grüne Wirtschaftspolitik, das gäbe es doch gar nicht. Das konnte ich nicht auf mir sitzen lassen, und ging also in seine Löwenhöhle. Ich schlug mich redlich, aber ganz am Ende bekam ich sogar ganz unerwartet Oberwasser. Denn nach der langen Debatte sagte mir einer der teilnehmenden Unternehmer, er sei mir für den Vortrag und die Diskussion sehr dankbar: „Jetzt verstehe ich wieder, wie meine Frau denkt.“ Das festigte in mir die Überzeugung, dass Grüne Wirtschaftspolitik auch in Unternehmerkreisen eine Zukunft haben könnte, wenn nur genügend ökologisch gestimmte Frauen und Töchter ihren etwas weniger modern denkenden Männern und Vätern tüchtig einheizen würden. 

Eine Dekade später, in unserem Grundsatzprogramm von 2002 bekannten wir uns zu einer ökologisch aufgeklärten ordoliberalen Wirtschaftspolitik. Es war dann aber erst 2006, als zum ersten Mal ein Grüner Bundesvorsitzender eingeladen wurde, beim BDI zu sprechen. Als ebenfalls 2006 BASF-Chef Dr. Jürgen Hambrecht bei einem Grünen Wirtschaftskongress in Erfurt auftrat, war das eine kleine Sensation; er hatte dafür die Bedingung gestellt, wir müssten uns auch sein Plädoyer für Atomkraft anhören, was wir freundlich taten. Das Interesse am Austausch überwog.

Heute sind wir Bündnisgrüne eine Partei im vielfältigen Dialog mit der Wirtschaft. Und das ist nicht nur für uns zur Normalität geworden, sondern auch für unsere Gegenüber in Verbänden und Unternehmen. Bekannte Grüne haben Funktionen in der Wirtschaft übernommen, wie etwa die ehemalige Bundestagsabgeordnete Kerstin Andreae, die heute Hauptgeschäftsführerin des BDEW ist. Umgekehrt finden sich bekannte Namen aus ganz unterschiedlichen Unternehmen und Branchen im Wirtschaftsbeirat der Grünen Bundestagsfraktion, der zuletzt vom heutigen baden-württembergischen Finanzminister Dr. Danyal Bayaz koordiniert wurde, als der noch im Bundestag saß. Eine eben so wichtige Brücke ist der 2018 gegründete Grünen Wirtschaftsdialog, der unter anderen vom ehemaligen wirtschaftspolitischen Sprecher Dr. Thomas Gambke geleitet wird. 

Wir sind auch heute nicht „Partei der Wirtschaft“ in dem oben erwähnten engen Sinne. Wir sind aber eine Partei, die zugleich in der Wirtschaft dafür wirbt, dass deren positive Entwicklung und künftige Wettbewerbsfähigkeit nur auf der Basis von Nachhaltigkeit gesichert werden kann, und auch selber weiß, dass sie zur Verwirklichung der eigenen Ziele bei der notwendigen ökologisch-sozialen Transformation die Kooperation mit möglichst breiten Kreisen der Wirtschaft braucht. Und übrigens auch der Gewerkschaften. 

Winfried Kretschmann, der baden-württembergische Ministerpräsident, sagt gerne, er sei schon lange nicht mehr in einem Unternehmen gewesen, in dem ihm nicht bedeutet worden sei, wie wichtig Nachhaltigkeitsdenken, Energieeffizienzdenken, Kreislaufwirtschaftsperspektiven für den wirtschaftlichen Erfolg der jeweiligen Firma seien. Nun mag Baden-Württemberg in der Hinsicht vielleicht weiter sein als andere deutsche Regionen, denn dort hatten auch die Schwarzen und die Roten schon lange Gelegenheit, unter dem Einfluss Grüner Politik selber ein bisschen zu ergrünen. Trotzdem wird vielleicht nicht jeder, der dem Grünen Ministerpräsidenten gerne Grün redet, dann auch genauso Grün handeln, wenn der wieder weg ist. Wenn ich mir die viel zu zähe Entwicklung in der deutschen Automobilbranche in Richtung ökologische Transformation anschaue, dann bleiben da einfach große Fragezeichen nicht aus. Aber, und das ist das Entscheidende, es geht nicht mehr um das Ob einer Öffnung für ökologisches Denken, sondern um das Wie. Wie schnell? Wie konsequent? Mit welchen Instrumenten? Nach welchem industriepolitischen Leitmaßstab? Zu welchen Kosten für wen?  Unter welcher Berücksichtigung internationaler Konkurrenzbedingungen?

Die riesengroße Veränderung im Verhältnis zwischen Wirtschaft und Grünen, die ich skizziert habe, hat die Basis dafür geschaffen, dass wir Bündnisgrüne heute im produktiven Zusammenwirken mit der Wirtschaft stehen. Und das ist dringend nötig, denn vor uns liegt eine viel größere Transformation. Vor uns liegt die ökosoziale Modernisierung von Wirtschaft und Gesellschaft in wenigen Jahrzehnten. Wir befinden uns dabei in einem doppelten Wettlauf, einem Wettlauf mit der ökologischen und der Biodiversitätsuhr, die immer vernehmlicher ticken, und auch einem Wettlauf mit den ehrgeizigen Plänen weltweiter Wettbewerber, vor allem einem großen aus Asien, in dem darüber entschieden wird, ob unser Land und ob Europa auch in Zukunft erfolgreicher Industriestandort sein werden.

Ich will gerne wiederholen, was den Kern grüner Wirtschaftspolitik ausmacht: Die ökosoziale Transformation gelingt nur mit der Wirtschaft, vor allem mit einer breit aufgestellten Industrie, die aktiv grüner werden will. Dafür gibt es schon etliche Flagschiffe. Wer hätte noch vor 20 Jahren gedacht, dass wir uns konkret daran machen könnten, grünen Stahl herzustellen? Zugleich, und das ist die andere Seite der Medaille, gibt es in Zukunft Wettbewerbsfähigkeit nur noch auf der Basis von Nachhaltigkeit. 

Hic Rhodus, hic salta.