#208 Die #AUKUS-Krise | BÜTIS WOCHE

Wie man mit einem strategisch plausiblen Manöver riesengroßen Schaden anrichten und durchaus die Gefahr langfristig die eigenen Interessen massiv schädigender Verwerfungen heraufbeschwören kann, das hat gerade Präsident Biden vorexerziert.

Ich spreche von dem AUKUS-Bündnis, das Biden vergangene Woche mit Großbritannien und Australien aus der Taufe gehoben hat. Der Name AUKUS steht einfach für die Kürzel der beteiligten Länder: AU + UK + US = AUKUS. AUKUS begründet eine neuartige Sicherheitspartnerschaft zwischen Australien, dem Vereinigten Königreich und den U.S.A. und ist offenkundig Teil der Bemühungen der U.S.A. um eine Einhegung der immer aggressiveren Politik Chinas im indo-pazifischen Raum. Australien hat seit einiger Zeit unter genau dieser Politik besonders zu leiden. Beijing bemüht sich systematisch darum, den australischen China-Export als Hebel zu benutzen, um das Land zu erpressen. Chinas herrische Pressionen werden dabei ganz unverblümt vorgetragen. Halboffiziell wurde der australischen Seite ein 14-Punkte-Forderungskatalog präsentiert, den Canberra nur erfüllen könnte, wenn es sich damit abfinden würde, einen Vasallenstatus gegenüber China zu akzeptieren. Australien braucht Unterstützung und Solidarität und das AUKUS-Bündnis dient als wirksame Rückversicherung. 

AUKUS ist, soweit ich sehen kann, in der indo-pazifischen Region von wichtigen Akteuren, die nicht direkt beteiligt sind, positiv kommentiert worden. Dazu zählen Indien, Japan und Singapur. Sehr kritische Kommentare sind mir keine untergekommen, außer natürlich von China selbst. In diesem Meinungsbild spiegelt sich, so darf man wohl annehmen, die Beunruhigung, die Chinas immer dreistere Hegemonialpolitik bei seinen Nachbarn hervorruft. AUKUS signalisiert gerade auch gegenüber denjenigen, die nach dem Afghanistan-Abzug an der Verlässlichkeit der U.S.-Präsenz in der Region gezweifelt haben mögen, dass die U.S.A. keineswegs die Absicht verfolgen, sich ausschließlich auf die eng definierte eigene Sicherheit zu fokussieren. So weit, so plausibel.

Doch in Paris und Brüssel ist die AUKUS-Nachricht wie eine Bombe eingeschlagen. Paris hat mindestens dreimal so scharf reagiert wie Peking selbst, spricht eine außerordentlich konfrontative Sprache und zeigt sich gewillt, wesentliche Elemente transatlantischer Kooperation in Zweifel zu ziehen. Als Erstes wurden die französischen Botschafter in Washington und Canberra zurückgerufen. Dann kam die Drohung, Paris werde die Verhandlungen über ein Freihandelsabkommen mit Australien stoppen. Dann wurden mehrere Treffen abgesagt, an denen die U.S.A. und Frankreich hätten gemeinsam teilnehmen sollen. Und schließlich verlangt Paris von der EU, das erste Arbeitstreffen des transatlantischen Rates für Handel und Technologie (Trade and Tech Council, TTC), das Ende des Monats in Pittsburgh hätte stattfinden sollen, aus Ärger erst einmal zu verschieben. Dem Vernehmen nach weigerte sich Präsident Macron eine Weile, mit Präsident Biden zu telefonieren. Und so weiter und so fort. Dass der französische Botschafter in London nicht abgezogen wurde, liegt wahrscheinlich daran, dass die britisch-französischen Beziehungen auch ohne dies schon so schlecht sind wie lange nicht mehr. Und um aus dem Nichtabzug eine besondere Beleidigung zu machen, erklärte der französische Außenminister, das hätte sich nicht gelohnt, da die Briten ja ohnehin Opportunisten seien und bei der AUKUS-Gründung nur das fünfte Rad am Wagen gewesen wären.

Frankreichs überaus große Empörung ist verständlich, auch wenn man manche Töne für unklug halten mag. Frankreich verdient die Solidarität seiner europäischen Partner, denn die Gründung von AUKUS bedeutet gegenüber Frankreich eine dreifache Ohrfeige. Erstens wurde der Sicherheitsdeal damit verknüpft, dass ein Rüstungsgeschäft, das Frankreich vor Jahren mit Australien für den Bau von zwölf neuen U-Booten geschlossen hatte, von dort rabiat abgesagt wurde. Das wirtschaftliche Volumen des Deals belief sich insgesamt möglicherweise sogar auf über 100 Mrd. Euro. Zweitens wurde Frankreichs Rolle als relevanter Akteur im Indo-Pazifik, der dort nicht nur ab und zu vorbeikommt, sondern regelmäßig Präsenz zeigt, weil es dort auch eigene französische Territorien gibt, mit Missachtung gestraft. Drittens wurde AUKUS genau an dem Tag präsentiert, an dem in Brüssel die EU ihre neue Indo-Pazifik-Strategie vorstellte, eine Strategie, die gerade davon handelt, wie die EU gemeinsam dem indo-pazifischen Raum mehr Aufmerksamkeit schenken und dabei auch die sicherheitspolitische Dimension adressieren will. Dass die EU überhaupt eine solche Strategie entwickelt hat, ist ganz wesentlich auf französische Initiative zurückzuführen, mit etwas Zeitverzug auch unterstützt von Berlin, Den Haag und anderen Hauptstädten. Unter dem Eindruck von AUKUS ging die europäische Initiative völlig unter, obwohl sie zuvor in der Region auch begrüßt worden war. Das Timing von AUKUS kann man durchaus so lesen, als solle Brüssel damit bedeutet werden, es sei irrelevant, was die EU da veranstalte. Ich glaube das nicht, ich glaube, Washington hat ganz bös gepatzt und damit Frankreichs Politikrolle und Ehre beschädigt. Die wütende Reaktion aus Paris ist verständlich.

Was die ganze Sache nicht besser macht, aber für die Erklärung Relevanz besitzt, ist die Tatsache, dass auf amerikanischer wie auf französischer Seite starke innenpolitische Motive im Spiel sind. Biden wollte, so scheint mir, durch einen fast hastigen Abschluss von AUKUS seinen republikanischen Kritikern den Boden entziehen, die ihm lautstark vorwerfen, er habe mit dem Afghanistan-Abzug die Stellung der U.S.A. gegenüber ganz Asien dramatisch geschwächt. Ohne die sich aus der innenpolitischen Befindlichkeit ergebende Hektik hätte Bidens Team sich vielleicht die Zeit genommen, die Widersprüche genauer zu analysieren, mit Paris und anderen Europäern zu reden, das Timing zu verbessern, mögliche Kompromisse zu suchen. Tatsächlich aber musste alles so schnell gehen, dass Paris erst Stunden vor der Veröffentlichung überhaupt informiert wurde, von Konsultationen ganz zu schweigen, und der Hohe Repräsentant der EU für Außenpolitik Borrell nach eigenem Bekunden von der ganzen Chose erst aus den Medien erfuhr. Frankreichs scharfe Reaktion hinwiederum hat, denke ich, auch innenpolitische Motive, denn Macron, der keineswegs sicher davon ausgehen kann, dass er die nächste Präsidentschaftswahl sowieso gewinnt, will sich nach dieser bitteren Niederlage und dem herben ökonomischen Verlust auf keinen Fall als gegenüber den U.S.A. schwach porträtieren lassen. Und selbst in ganz normalen Zeiten ist es in Frankreich immer populärer, die U.S.A. zu kritisieren, als eine Gelegenheit dazu zu versäumen.

Für Deutschland ist es besonders schwierig, dass unsere beiden engsten Verbündeten, die U.S.A. und Frankreich, sich dermaßen hart zoffen, doch liegt es natürlich nahe, darauf mit einem Doppelschritt zu antworten: Einerseits zeigen wir Solidarität mit Frankreich. Das hat Außenminister Maas inzwischen getan und das wird auch einschließen, dass Deutschland die Verschiebung des TTC mitträgt. Andererseits muss Deutschland Wege finden, zu verhindern, dass der Bruch im transatlantischen Verhältnis, den Frankreich als U.S.-amerikanischen Verrat charakterisiert, so tief und breit wird, dass unser strategisches Interesse an transatlantischer Kooperation dem zum Opfer fällt. Die zweite Aufgabe ist zweifellos schwieriger und bis jetzt ist nicht zu sehen, ob das gelingt. Vielleicht klappt es ja, die TTC-Verschiebung zeitlich eng zu begrenzen. Das wäre sehr wichtig, denn gerade diese Zusammenarbeit ist außerordentlich stark im beiderseitigen Interesse. Der TTC war auch eine europäische Initiative. Und je länger wir dort keine Nägel mit Köpfen machen, desto länger geben wir China einseitigen Vorsprung mit Blick auf die Entwicklung internationaler Standards für entscheidende Zukunftstechnologien.

Was mit AUKUS passierte, mag, wie gesagt, ein schlimmer Patzer sein, aber es treten damit auch Risse zutage, die nicht zugekleistert oder irgendwann durch eine mehr oder weniger fröhliche Rückkehr zu business as usual behoben werden können. Diese Risse haben sich schon früher angedeutet, etwa als Ende letzten Jahres Paris Berlin dabei half, das Investitionsabkommen mit China (CAI) in rüder Weise gegen den Widerstand anderer europäischer Partner und gegen den ersichtlichen Wunsch der sich gerade formierenden Biden-Regierung noch vor deren Amtseinführung durchzuziehen. Insgesamt eher gemäßigte Proteste aus Washington wurden damals sogar höhnisch mit dem Hinweis abgetan, es gelte nun einmal, Europas strategische Autonomie zu demonstrieren. Dass China den schnellen CAI-Abschluss als Spaltkeil gegen das transatlantische Verhältnis anstrebte, war zwar offensichtlich, aber für Berlin und Paris anscheinend keiner Beachtung wert. Bemerkenswert war auch, wie kühl und unambitioniert Präsident Macron und Kanzlerin Merkel bei einer Online-Veranstaltung der Münchner Sicherheitskonferenz auf das warme Werben von Präsident Biden um die Wiederbelebung der transatlantischen Partnerschaft reagierten. Und beide ließen es sich angelegen sein, öffentlich zu erklären, sie sähen keinerlei Bedarf dafür, dass Europa mit den U.S.A. gegenüber China ein gemeinsames Lager bilden solle. Nicht sehr lautstark, aber eben auch nicht völlig hinter vorgehaltener Hand, hört man deshalb in Washington schon länger Stimmen, die argumentieren, die U.S.A. würden in ihren Bemühungen, auf die chinesische Herausforderung zu reagieren, auf die Europäer nicht ewig warten.

Ich glaube, jede der beiden Seiten in dem aktuellen transatlantischen Schlamassel hat Grund, sich an die eigene Nase zu fassen, weil jede Seite auf berechtigte Erwartungen der anderen bis jetzt bestenfalls mit Halbheiten reagiert. Die U.S.A. erwarten zu Recht, dass Europa mehr für die eigene Sicherheit tut. Und sie erwarten zu Recht, das Europa daran mitwirkt, eine Phalanx von Demokratien gegenüber China wirksam zu machen. Europa bewegt sich tatsächlich bei beiden Themen, aber zu wenig. Bezüglich Europas Sicherheit stehen eher sophistische Auseinandersetzungen um das unangenehm vage Konzept einer strategischen Autonomie und ein Glaubenskrieg um das Zwei-Prozent-Evangelium der NATO im Zentrum als pragmatische Schritte. Gegenüber der chinesischen Herausforderung haben leider gerade Paris und Berlin auf Ambiguität gesetzt, haben an zu vielen Stellen klare Positionen eher verzögert als gefördert und teilweise den Eindruck zugelassen, als verstünden sie die Konflikte mit China überwiegend als Ausfluss eines Hegemonialkampfes zwischen Washington und Beijing, von dem Europa besser Abstand hält, und nicht in erster Linie als Ausdruck der systemischen Rivalität zwischen Demokratie sowie internationaler Herrschaft des Rechts und Autoritarismus sowie neuer Großmachtpolitik. Die U.S.-Seite wiederum hat zwar, seit Biden der Präsident ist, die Zusammenarbeit mit Alliierten wieder auf die Agenda geschrieben, aber benimmt sich doch zu oft so, als habe diese Zusammenarbeit auch in Zukunft dem Modell des Delischen Bundes aus der griechischen Antike zu folgen, in dem zahlreiche Städte sich Bundesgenossen schimpfen durften, aber Athen alle wichtigen Entscheidungen alleine traf. Die Biden-Administration hat bisher nicht verstanden, dass sie mehr tun muss, um die erforderlichen Allianzen neu zu begründen. Sie muss die Partnership in Leadership praktizieren, von der Präsident G. H. W. Bush vor über 30 Jahren sprach. Damals war er seiner Zeit voraus. Heute muss Biden neu entwickeln, wovon Bush damals träumte. Das ist auch keineswegs das Verlangen nach amerikanischer Großzügigkeit. Die U.S.A. sind heute auf ihre Verbündeten in einer Art und Weise angewiesen, wie das in den letzten 70 Jahren nicht der Fall war. Dem muss ein anderer Umgang entsprechen.

Wegen dieser Halbheiten gelingt es bisher nicht, die Zerrbilder von der jeweils anderen Seite im transatlantischen Verhältnis zu überwinden, die einer wirkungsvollen Verständigung im Wege stehen. Viele, die meinen, sie müssten sich weigern, mit den U.S.A. ein „Camp“ zu bilden, tun dies, weil sie glauben, dieses „Camp“ müsse unweigerlich eine Art „Bootcamp“ sein, wie es der berüchtigte ehemalige Sheriff von Maricopa County in Arizona Joe Arpaio kommandierte. Natürlich falsch, aber wirksam. Diejenigen in den U.S.A., die ihre Ungeduld gegenüber Europa nicht bändigen können, sehen nicht, dass man am Gras nicht ziehen sollte, damit es schneller wächst, dass gemeinsame Verantwortung stärker motiviert als einseitige Ansagen und dass man das Zerrbild von den „nit-picking, cheese-eating surrender monkeys“ von 2003 nicht alleine dadurch überwindet, dass man dann doch wieder „French fries“ sagt und nicht „freedom fries“.

Auf europäischer Seite sehe ich eine gemeinsame Verantwortung von Berlin und Brüssel dafür, dass wir die gefährliche Dynamik im transatlantischen Verhältnis korrigieren. Wir müssen das auch deswegen tun, weil uns sonst die europäische Seite auch in verschiedene Teile zerbricht. Man schaue sich nur an, wie verschieden unterschiedliche Teile Europas in den aktuellen Konflikten agieren. Wenn Frankreich gegenüber Washington härtere Worte findet als je gegenüber Moskau oder Peking und Litauen auf der anderen Seite sich herausgefordert sieht, unverbrüchliche transatlantische Treue zu bekunden, dann ist eine solche Divergenz für die EU selbst bedrohlich. Das Timing könnte schwieriger nicht sein. Erst die unvermeidlichen Unklarheiten im Umfeld der Berliner Regierungsneubildung, dann sechs Monate französische Ratspräsidentschaft unter einem Präsidenten, der um sein politisches Überleben kämpft. Mannomann!

Im Volksmund gibt es den Spruch: „Der Klügere gibt nach.“ Das gilt natürlich für internationale Beziehungen nicht. Aber der Stärkere hat die Verantwortung, mehr in den notwendigen Brückenbau zu investieren. Deshalb muss Washington gegenüber Paris und am besten gegenüber der ganzen EU Angebote machen, die dem bösen Eindruck, der mit der AUKUS-Gründung hervorgehoben wurde, aktiv etwas entgegensetzen. Offenkundig hat Präsident Biden das verstanden und deswegen in dem nun doch stattgefundenen Telefongespräch mit Präsident Macron selbstkritische und versöhnliche Signale gesetzt. Vielleicht gelingt es ja sogar, dass die EU den TTC doch nicht verschiebt oder nur um ein Geringes. Das Spiel, das wir da spielen, ist ein verdammt wichtiges. Wenn wir das nicht hinkriegen, profitieren am Ende ganz gewiss die Falschen. Schauen wir mal. 

Sonst noch

  • Solidarität mit Frankreich und transatlantische Vernunft unter einen Hut bringen – meine Pressemitteilung zum AUKUS-Abkommen.
  • Hier meine Pressemitteilung zur neuen Indo-Pazifik-Strategie der EU.
  • Traditionell berichte ich in meinen Plenarnotizen über die Plenartagung der vergangenen Woche. Thema der Woche war klar die Rede zur Lage der Europäischen Union von Kommissionspräsidentin von der Leyen. Ich habe im Plenum zu zwei Themen gesprochen: zu Afghanistan und zur neuen China-Strategie. Meine Pressemitteilung bezüglich der Plenardebatte zu China könnt Ihr hier nachlesen.
  • In ihrer Rede zur Lage der Europäischen Union stellte Kommissionspräsidentin von der Leyen u. a. die „Global Gateway“-Initiative vor. Meine Pressemitteilung dazu findet Ihr hier.
  • Meine Pressemitteilung zum 20. Jahrestag des Terrorangriffs auf das World Trade Center ist hier zu finden.
  • Zum ersten Jahrestag der Verabschiedung des sogenannten nationalen Sicherheitsgesetzes für Hongkong habe ich gemeinsam mit den anderen Ko-Vorsitzenden der informellen Hong Kong Watch Group des Europäischen Parlaments einen offenen Brief an Kommissionspräsidentin von der Leyen, Ratspräsident Michel und den Hohen Repräsentanten Borrell geschickt. Hier die Antwort.
  • In einem offenen Brief an Margrethe Vestager und Kadri Simson fordere ich gemeinsam mit mehr als 40 Mitgliedern des Europäischen Parlaments die Kommission auf, eine Untersuchung möglicher Marktmanipulationen durch Gazprom einzuleiten.