#197 Kein Kotau vor Chinas Autoritarismus! Neue Kritik am CAI-Abkommen | BÜTIS WOCHE

Das europäisch-chinesische Investitionsabkommen CAI (Comprehensive Agreement on Investment) ist, so kann man es derzeit im Europäischen Parlament von fast allen Seiten hören, seit den von der Volksrepublik gegen Mitglieder des EP verhängten Sanktionen in die Tiefkühltruhe gepackt worden. Bundeskanzlerin Angela Merkel hat zuletzt, ohne dies explizit zu sagen, mehrfach signalisiert, dass sie es für richtig hielte, Chinas provokative Sanktionen im Wesentlichen zu ignorieren und zum merkantilistischen business as usual zurückzukehren, also zu ihrer in Europa inzwischen weithin kritisierten Automobil-China-Politik. Doch in der Konferenz der Fraktionsvorsitzenden des Europäischen Parlaments fand sich nur eine Stimme, die sich so wie Merkel positionierte. Das war – welche Ironie! – ausgerechnet die Stimme des Vorsitzenden der GUE/NGL-Fraktion, des Abgeordneten Schirdewan von der Thüringer Linkspartei. Selbst Manfred Weber, der CDU-Vorsitzende der EVP-Fraktion, wollte so weit nicht gehen, obwohl es gerade unter den deutschen Mitgliedern seiner Truppe nicht wenige gibt, die, aus welchen Gründen auch immer, einer solchen Haltung zuneigen. Deutlich waren auf jeden Fall die Liberalen, die EKR-Konservativen, die Sozialdemokraten und wir Grüne; selbst die ID-Gruppe sprach sich für die Tiefkühltruhe aus.

Doch zunächst einmal ist das Europäische Parlament noch gar nicht am Zug. Die Europäische Kommission ist immer noch mit dem Legal Scrubbing beschäftigt, d. h. mit einer rechtlichen Überprüfung der Vertragssprache, einer technischen Übung, wie es heißt. Danach muss der Text des Abkommens in die 24 Amtssprachen der Europäischen Union übersetzt werden. Dann allerdings, und so weit könnte es möglicherweise, wenn man sich beeilt, im September sein, könnte die Kommission versuchen, sich beim Europäischen Rat ein Mandat dafür zu holen, den CAI-Vertrag formal zu unterzeichnen. Das wäre natürlich ein schwerer Affront gegen das Europäische Parlament und würde einen erheblichen Konflikt heraufbeschwören. Die Äußerungen des exekutiven Vizepräsidenten der Kommission Dombrovskis in einem kürzlichen Interview ließen erkennen, dass diese Problematik jedenfalls bei einem Teil der Kommission durchaus angekommen ist. Doch das von Dombrovskis – ich unterstelle: absichtlich – gesetzte Signal, dass die Kommission ein bisschen gegenüber CAI auf Abstand geht, durfte offenbar nicht unwidersprochen bleiben. Man spekuliert wohl nicht besonders waghalsig, wenn man unterstellt, dass es da deutliche Anrufe aus dem Kanzleramt in den 13. Stock des Berlaymont-Gebäudes in Brüssel gegeben hat, wo Präsidentin von der Leyen residiert. Dombrovskis musste dann so tun, als habe er sich etwas ungeschickt ausgedrückt. Kanzlerin Merkel, die ja ansonsten bei wichtigen Debatten gerne auch eine ganze Weile abtaucht, ließ es sich denn auch nicht nehmen, sehr zeitnah zu betonen, wie wichtig es ihr sei, dass CAI noch unter Dach und Fach komme.

Frau Merkel könnte allerdings die Zeit davonlaufen. Schließlich ist am 26. September Bundestagswahl. Wenn ich mich aber daran erinnere, mit welcher Entschiedenheit und auch Rücksichtslosigkeit die Bundeskanzlerin ganz kurz vor dem Jahreswechsel ihre auslaufende Ratspräsidentschaft noch nutzte, um die CAI-Verhandlungen zum Abschluss zu bringen, dann scheint mir die Warnung gerechtfertigt, dass sie versuchen könnte, mit einem ähnlichen Coup auf den letzten Metern ihrer Kanzlerschaft die Unterzeichnung von CAI durchzudrücken. Bei der chinesischen Seite, unterstelle ich, ist sie da im Wort. So jedenfalls lese ich das gemeinsame Bekenntnis mit Chinas Ministerpräsident Li Keqiang bei den jüngsten deutsch-chinesischen Regierungskonsultationen zu einer Forcierung von CAI. Frau Merkel ist es, denke ich, völlig egal, ob sie sich Freunde oder Feinde macht. Sie ist auf einer Mission, auf einer höchst fragwürdigen Mission: Sie möchte gerne die Win-win-China-Politik festschreiben, an die Europa so lange ganz fest geglaubt hat und die seit der Zementierung der Alleinherrschaft von Xi Jinping in China zur Illusion geworden ist. Die U.S.A. haben sich von der Illusion im parteiübergreifenden Konsens verabschiedet. Das Europäische Parlament auch. Auch, sofern man Meinungsumfragen Gewicht beimessen kann, die überwiegende Mehrheit der europäischen Öffentlichkeit. Und selbst in Kreisen der deutschen Wirtschaft ist die Zahl der naiven Win-win-Gläubigen drastisch zurückgegangen. Dafür stand schon das China-Strategiepapier des BDI vom Januar 2019. Unter den Regierungen der europäischen Mitgliedstaaten ist das Bild gemischt. Und in der Kommission auch. Ein Merkelscher Versuch, Xi Jinping einen letzten Gefallen zu tun, wäre auf dieser Ebene möglicherweise nicht von vornherein aussichtslos. Doch andererseits werden sich die Mitgliedsländer, die schon Ende Dezember Vorbehalte hatten gegen das von Merkel, Macron und von der Leyen betriebene Durchzocken, nicht noch ein zweites Mal überrumpeln lassen.

In dieser Situation ist in der vergangenen Woche in der medialen Öffentlichkeit ein Aspekt des CAI-Abkommens ins Blickfeld geraten, das bis dahin in Anhang 2 des umfangreichen Vertragswerkes versteckt war: CAI würde, falls ratifiziert, der chinesischen Seite ermöglichen, die Tätigkeit europäischer Nichtregierungsorganisationen/Non-Profit-Organisationen noch wesentlich drastischer einzuschränken, als dies nach dem seit 2017 gültigen Gesetz über ausländische NGOs bereits der Fall ist. Das ist ein absoluter Skandal!

Als das Foreign NGO Law in China 2017 zur Debatte stand und schließlich verabschiedet wurde, hatte es vonseiten der EU und auch von deutscher Seite gegen die darin vorgesehenen Einschränkungen der Spielräume für die betroffenen Organisationen erhebliche Proteste gegeben. Und es gab Versuche, auf diplomatischem Wege Verbesserungen, Abschwächungen der Restriktionen zu erreichen. Doch diese Versuche waren weitestgehend erfolglos. Seit das Gesetz in Kraft getreten ist, ist die Arbeit etwa der deutschen politischen Stiftungen in China, also der Adenauer-Stiftung oder der Böll-Stiftung außerordentlich eingeschränkt. Zum Teil erfahren die Stiftungen, die seither das Jahresprogramm ihrer beabsichtigten Arbeit zur Genehmigung vorlegen müssen, erst nach vielen Monaten, was sie überhaupt machen dürfen. Eines allerdings war bisher nicht angetastet, nämlich die Möglichkeit für die jeweilige Zentrale in Berlin, darüber zu entscheiden, wer das Büro in Peking leiten solle. Dieses ganz fundamentale Recht will Peking nun beseitigen. Nach dem Wortlaut des CAI-Entwurfes (Annex II, Entry 9) sollen solche Büros in China in Zukunft nur noch von chinesischen Staatsbürgerinnen oder Staatsbürgern geleitet werden dürfen. Faktisch hieße das, dass in Zukunft die Kommunistische Partei darüber entscheiden würde, wer das Adenauer-Büro und das Böll-Büro, das Ebert-Büro und das Seidel-Büro in Peking leitet. Es ist ja schlechterdings nicht vorstellbar, dass die KP in diesen Funktionen chinesische Personen akzeptieren würde, die ihr nicht passen. Bei der Luxemburg-Stiftung der Linkspartei würde diese Veränderung wohl am wenigsten ins Gewicht fallen, denn von der wird heute schon berichtet, dass sie in allerbestem Einvernehmen mit den chinesischen Behörden agiere. Erfasst würden von der Regelung aber nicht nur Stiftungen, sondern auch andere europäische Non-Governmental Organizations/Non-Profit Organizations, wie z. B. die Büros bestimmter Wirtschaftsverbände. Sollte es dazu kommen, könnte man die Büros wohl einfach schließen.

Betroffene hatten sich schon vor einigen Wochen mit ihren Sorgen an das Kanzleramt gewandt. Dort hatte man die Frage an die Europäische Kommission weitergegeben und von dieser die Rückantwort bekommen, es bestehe kein Grund zur Aufregung. Die vorgesehene Bestimmung des CAI entspreche dem chinesischen Foreign NGO Law. Das ist nun erklärtermaßen falsch. Die Kommissionsauskunft ist also entweder Ausdruck eines dramatischen Ausmaßes an fahrlässiger Ignoranz oder schlicht eine Zwecklüge. Ich habe das Kanzleramt darauf hingewiesen, dass die Behauptung der Kommission unzutreffend sei. Weiteres habe ich aber bisher nicht gehört. Die Kommission ihrerseits hat mir gegenüber eine andere Linie eingeschlagen, ohne die vorherige Unwahrheit explizit einzugestehen. Jetzt lautet die Erklärung, die entsprechende Bestimmung sei Teil eines chinesischen Angebotes gewesen, gemacht im Dezember 2019, in dem sich China eben diese Einschränkung vorbehalten habe. Da habe die europäische Seite nichts machen können. Nun erinnere ich mich aber sehr genau, über dieses bewusste chinesische Angebot danach mehrfach mit der Kommission gesprochen zu haben. Regelmäßig wurde mir erklärt, das chinesische Angebot sei unbefriedigend. Man sei nicht bereit, das so zu akzeptieren. Allerdings wurde der bewusste Punkt bezüglich der NGOs nicht auch nur ein einziges Mal erwähnt oder angedeutet. Man muss also leider konstatieren: Während die Kommission an verschiedenen Stellen des chinesischen Angebots auf Nachbesserungen drängte, und das durchaus erfolgreich, tat sie das an dieser Stelle nicht. Sie sprach diesen Punkt, von dem sie eigentlich wissen musste, dass er gegebenenfalls im Europäischen Parlament und in der Öffentlichkeit auf massiven Widerspruch stoßen würde, auch in allen formellen und informellen Gesprächen nie an, selbst dann nicht, wenn von unserer Seite explizit gefragt wurde, was denn bei CAI möglicherweise chinesische Forderungen seien, die für uns problematisch sein könnten. Ich bin darüber außerordentlich empört. Ich halte das entweder für einen Ausdruck von gefährlicher Inkompetenz oder von Treulosigkeit nach dem Motto: Lass fahren dahin. Uns geht’s um den Gewinn.

Die Betroffenen, insbesondere die Stiftungen, halten sich bis jetzt mit Stellungnahmen in der Öffentlichkeit sehr stark zurück. Sie stehen in China ohnehin schon unter massivem Druck und wollen sich nicht zu Zielscheiben für zusätzliche Repressalien machen. Doch die deutsche und europäische Politik kann hier nicht die Augen zudrücken. Mit der Akzeptanz dieser chinesischen Einschränkung würden wir signalisieren, die EU ist im Zweifel bereit, Chinas autoritärem Regime die Hand zu reichen, wenn es darum geht, mehr Unfreiheit zu wagen, solange nur Wolfsburg und einige andere Konzernzentralen zufrieden sind. Zugespitzt formuliert: Das ist nicht eine Politik, die die systemische Rivalität ernst nimmt, sondern das ist eine Politik der systemischen Komplizenschaft.

Kann man an dieser Stelle nachbessern? Ich bezweifle es. Doch bis jetzt ist ja noch nicht einmal sicher, dass die Kommission wirklich bereit wäre, zu korrigieren, was sie hier anrichtet. Aus meiner Sicht ist dieser Punkt ein weiterer Nagel im Sarg von CAI. So etwas kann das Europäische Parlament nicht akzeptieren. Doch wäre es gut, wenn sich hier nicht nur das Europäische Parlament auf die Hinterfüße stellt. Die demokratische Öffentlichkeit, die Welt der Zivilgesellschaft, die Thinktank-Welt, die nationalen Parlamente, sie alle sind aufgerufen, hier klar Position zu beziehen. Und niemand soll uns sagen, das sei leider nun mal ein Preis, den man entrichten müsse. So viele Bestimmungen, die für Europas Wirtschaft wichtig wären, etwa beim Zugang zu öffentlichen Ausschreibungen in China oder zum Investorenschutz oder zur Garantierung der Wettbewerbsneutralität oder zum Schutz gegen die Einmischung der Kommunistischen Partei in Unternehmensgeschäfte oder gegen den Missbrauch des sogenannten Corporate Social Credit Systems, hat man sich in den CAI-Verhandlungen ausreden lassen oder hat wegen Aussichtslosigkeit darauf verzichtet. Doch hier geht es um eine sehr prinzipielle Frage, ebenso wie bei der Kritik an der Zwangsarbeit in China, die zu Beginn der CAI-Debatte im Zentrum stand. Einen Kotau vor Chinas Autoritarismus darf es nicht geben!

Sonst noch

  • Meine Pressemitteilung zum Kommissionsvorschlag zum Umgang mit unfairen ausländischen Subventionen findet Ihr hier.
  • TRIPS-Blockade beenden! – meine Pressemitteilung zum EU-Indien-Gipfel.
  • Aus Anlass des Weltladentags habe ich den Thüringer Weltläden einen Brief geschickt.
  • Zum Europatag habe ich 15 Wünsche für das vor uns liegende Jahr aufgelistet.
  • Meine Pressemitteilung zur Westbalkan-Diskussion des Rates für Auswärtige Angelegenheiten könnt Ihr hier nachlesen.
  • Meine Pressemitteilung zu den Raketenangriffen der Hamas gegen Israel ist hier zu finden.
  • In der nächsten Woche tagt das Europäische Parlament, hier die regelmäßig aktualisierte Tagesordnung.