Offener Brief an den Präsidenten von Belarus

Auf Initiative meines Kollegen Sergey Lagodinsky haben wir gemeinsam mit meinen Kolleginnen Viola von Cramon und Hannah Neumann einen Brief an Präsidenten von Belarus, Alexandr Lukashenka, geschrieben:

Sehr geehrter Herr Präsident,

mit Entsetzen verfolgen wir die neuste Repressionswelle in Ihrem Land. Wie viele andere politische Beobachterinnen und Beobachter hoffen wir seit Jahren auf Demokratisierung und Öffnung der belarussischen Gesellschaft.
Unsere letzten Hoffnungen wurden durch das Handeln der Ihnen unterstellten staatlichen Organe im Laufe des gegenwärtigen Wahlkampfs zunichte gemacht.
Die Nichtzulassung einer Reihe von Präsidentschaftskandidaten, darunter Wiktor Babariko und Walreij Zepkalo, sowie die unmittelbar darauf folgende Anklage gegen Herrn Babariko, die vorherige Verhaftung des Videobloggers Sergej Tichonowskij, sowie Repressionen gegen zahlreiche demokratisch gesinnten Bürgerinnen und Bürger sind allesamt Anzeichen dafür, dass Sie, Herr Präsident, sich endgültig gegen eine europäische Orientierung Ihres Landes entschieden haben. Und somit auch gegen freiheitliche Perspektiven für die Bürgerinnen und Bürger des eigenen Landes.
Einen der Höhepunkte der neusten Verfolgungen bildet die Festnahme von und Anklage gegen den prominenten politischen Berater und Kulturmanager Vitali Shkliarov Ende Juli. Herr Shkliarov ist in Europa, besonders in Deutschland, gut bekannt und wir beobachten die Verfolgungskampagne gegen ihn mit größter Sorge. Nach unseren Informationen sind alle Vorwürfe, wonach er Unruhen in Belarus organisiert, unterstützt oder daran teilgenommen haben soll (Art. 342 des Belarussischen Strafgesetzbuches), haltlos. Vitali Shkliarov befand sich in Belarus nach unseren Informationen zu rein privaten Zwecken. Seine gelegentlichen öffentlichen Äußerungen zur Lage in Belarus bewegen sich im Rahmen seines Rechts auf freie Meinungsäußerung gem. Art. 19 des Internationalen Pakts über bürgerliche und politische Rechte sowie Art. 19 der Allgemeinen Menschenrechtserklärung. Wir beobachten den Verlauf der Ermittlungen gegen ihn und die Umstände seiner Haft mit größter Aufmerksamkeit und außerordentlicher Sorge.
Herr Präsident, im Vorfeld der anstehenden Wahl, fordern wir Sie auf, Herrn Shkliarov wie alle anderen zu Unrecht festgehaltenen und verfolgten Bürgerinnern und Bürger unverzüglich frei zu lassen, das Wahlrecht und das Recht auf Information, Versammlung und Meinungsfreiheit aller ihrer Bürgerinnen und Bürger wiederherzustellen, politische Chancenfreiheit der an der Wahl noch teilnehmenden Oppositionskandidatinnen und -kandidaten, soweit noch möglich, zu achten und keineswegs zu behindern. Dazu gehört selbstverständlich auch das Recht aller Kandidatinnen und Kandidaten, ihre Wahlveranstaltungen frei und öffentlich abzuhalten!
Das sind die Mindestvoraussetzungen für jegliche Hoffnungen auf eine schrittweise Aufrechterhaltung, geschweige denn Verbesserung der Beziehungen Ihres Landes mit der Europäischen Union und der Weltgemeinschaft. Alles andere kann nur zunehmende Isolation, Sanktionen und Verschlechterung der bilateralen Beziehungen bedeuten. Dies wäre nicht im Interesse der Völker unseres Kontinents. Mit dem Wunsch des belarussischen Volkes nach Demokratie und Rechtsstaatlichkeit erklären wir uns ohne Abstriche solidarisch und stehen fest an der Seite aller demokratischen Kräfte in Ihrem Land.

Mit freundlichen Grüßen

Dr. Sergey Lagodinsky MdEP Viola von Cramon MdEP
Reinhard Bütikofer MdEP Dr. Hannah Neumann MdEP

Brief zum Download