#153 Handelsstreit zwischen USA, China, EU: Konflikt, Schneckenfortschritt, Waffenstillstand | BÜTIS WOCHE

In der Dreiecksbeziehung zwischen den handelspolitischen Großmächten USA, China und EU hat sich seit Jahresanfang einiges verschoben. Ohne große Veränderung ist nur die Entwicklung auf einer der drei Achsen, der zwischen China und der EU. Da wird ja seit 2013 über ein Investitionsabkommen verhandelt, von dem es gegen Ende des letzten Jahres zunehmend hieß, es solle unbedingt bis zu Kanzlerin Merkels EU-China-Gipfel am 14. September in Leipzig finalisiert werden. Das klang nach erheblicher Beschleunigung, aber der Schein trog. Von Berlin aus wurde auf einen baldigen Abschluss kommunikativ viel Druck gemacht. Das war nach meiner Beobachtung weniger einer nüchternen Einschätzung der sehr zähen Fortschritte bei den Verhandlungen zuzuschreiben als der Hoffnung im Umfeld der Kanzlerin, durch eine Verabredung zum „Comprehensive Agreement on Investment (CAI)“ beim Leipziger China-Gipfel ein „Deliverable“ vorweisen zu können, ein handfestes Ergebnis, das als Errungenschaft des Gipfels dann das politische Erbe Merkels mehren würde.

In Brüssel und in Wirtschaftskreisen war diese Erwartung ganz überwiegend auf Zurückhaltung bis Skepsis gestoßen. Dabei sagt auch der Handelskommissar Hogan und sagen seine Beamtinnen und Beamten, es sei durchaus angestrebt, noch 2020 das Abkommen zustande zu bringen, aber sie fügen dann regelmäßig dazu: „Substanz geht über Geschwindigkeit.“ Nur so lässt sich nämlich vermeiden, dass man in den Verhandlungen gegenüber China in die Rolle des Bittstellers gerät, der unbedingt bis zu einem bestimmten Zeitpunkt abliefern muss und dem dann aus dieser Dynamik heraus umso weniger Zugeständnisse gemacht werden, je hektischer es wird. In Brüssel wird auch betont, man sei keineswegs bereit, sich mit der chinesischen Seite auf halbem Wege zu einigen. Europa sei für chinesische Investitionen außerordentlich offen; umgekehrt aber sei China von allen Industrieländern eines der allerprotektionistischsten. Ich teile diese Auffassung und finde die Vorsicht der Europäischen Kommission hier ganz richtig. Zuletzt wurden im Dezember zwischen der EU und China neue Angebote zur Marktöffnung ausgetauscht. Das chinesische Angebot war, wenn auch etwas besser als das allererste, doch noch weit von den europäischen Erwartungen entfernt und die Verhandlungen sind weiterhin widerspenstig. Eine Zeit lang wurde spekuliert, Beijing habe angesichts seines Handelskonfliktes mit den USA möglicherweise schlicht nicht genug Kraft und Aufmerksamkeit, um in den Verhandlungen mit der EU energisch nach vorne zu gehen. Inzwischen höre ich öfter, angesichts des handelspolitischen Waffenstillstandes zwischen Trump und Xi Jinping sehe die chinesische Führung sich so entlastet, dass Entgegenkommen gegenüber der EU eher weniger zu erwarten wäre. Wie auch immer, diese Verhandlungen gehen nur im Schneckentempo voran.

Im Handelsstreit zwischen den USA und China hat es einen Waffenstillstand gegeben. Das „Phase-1“-Abkommen, das von Präsident Trump und dem chinesischen Vizepremier Liu He unterzeichnet wurde, wird, so die vorherrschende Einschätzung, bis auf Weiteres eine Fortsetzung der Eskalation der Handelsspannungen ganz oder jedenfalls weitgehend verhindern und so beiden Seiten etwas Luft verschaffen. Präsident Trump kann mit diesem Teilabkommen behaupten, er habe insbesondere für seine Landwirtschaftsklientel etwas herausgeschlagen, und vermeidet zugleich, die Kosten, die seine Zollpolitik in der Landwirtschaft verursacht hatte, weiter zu verschärfen. Bis zum Wahlnovember 2020 reicht ihm das für einen „Tweetable Victory“. Xi Jinping seinerseits erreichte ein Zwischenergebnis, bei dem er keine großen strategischen Zugeständnisse machen musste. Die zu Beginn der Eskalation aus Washington heraustrompeteten großen Strukturfragen, etwa zur Rolle chinesischer Staatsunternehmen, wurden alle eventuellen späteren Verhandlungen vorbehalten. So gewinnt Xi Zeit dafür, seine heimische Strategie voranzutreiben, mit der er ganz gezielt die für China beengende technologische Abhängigkeit von den USA in verschiedenen Bereichen durch größere technologische Autonomie ersetzen will. Trump müsste, wenn er sich nicht mit dem insgesamt vergleichsweise oberflächlichen Ergebnis des bisherigen Teilabkommens zufrieden geben will, auf eine möglichst baldige zweite Phase der Verhandlungen dringen. Dem steht allerdings der Wahlkampf im Weg. Und China hat erkennen lassen, dass man es mit einer nächsten Phase jetzt nicht besonders eilig habe. Xi kann sich sogar ein bisschen darin sonnen, dass die USA bereit waren, zu dem vor der Eskalation üblichen strategischen Dialog in Handelsfragen zurückzukehren. Hinnehmen musste er allerdings, dass die Zollzugeständnisse Trumps sehr überschaubar blieben; die meisten Zölle bleiben. Nur auf 110 Milliarden US-Dollar chinesischer Exporte in die USA werden die von Trump eingeführten Zölle von 15 Prozent auf 7,5 Prozent reduziert.

Was hat Trump, der großspurig behauptet hatte, Handelskriege seien leicht zu gewinnen, tatsächlich erreicht? Beim Schutz intellektuellen Eigentums verspricht China gewisse Verbesserungen in den Bereichen Pharma und Medizintechnik, ohne allerdings die institutionellen Veränderungen zuzugestehen, die eigentlich nötig werden, damit aus solchen Versprechen auch Realität wird. Beim erzwungenen Technologietransfer versprechen beide Seiten sich gegenseitig, einen solchen nicht zu verlangen. Das ist noch nicht einmal heiße Luft, sondern nur lauwarme, weil chinesische Verhandler seit langem schlicht behaupten, erzwungenen Technologietransfer gebe es gar nicht. Das Argument geht sinngemäß so: Es müsse ja niemand in China investieren. Wenn aber jemand so unbedingt nach China wolle, dass er dafür bereit sei, Technologietransfer anzubieten, dann sei das offenkundig nicht erzwungen. In verschiedenen Kapiteln des Abkommens wiederholt die chinesische Seite Versprechen, die es früher schon gegeben hat, oder bietet, wie etwa im Bereich von Finanzdienstleistungen, bescheidene Verbesserungen. Nur in einer Hinsicht geht es wirklich zur Sache: China soll in den Jahren 2020 und 2021 insgesamt für 200 Milliarden US-Dollar mehr aus den USA importieren als zuvor. Dafür gibt es Quoten, schön aufgeteilt auf Industriegüter, landwirtschaftliche Produkte, Energieexporte und Dienstleistungen. Würde China den für das laufende Jahr versprochenen Zuwachs an Importen tatsächlich realisieren, dann wäre das eine drastische Erhöhung um 40 Prozent gegenüber den Importen von 2017. Und im nächsten Jahr käme dann noch einmal eine ähnliche Steigerung obendrauf. Wenn man ein Freund von „Managed Trade“ ist und bereit ist, zu dessen Gunsten die strukturellen Problemen hintanzustellen, dann sieht das gut aus. Allerdings ist nicht garantiert, dass es so auch kommt. Als Hintertür ist nämlich in das entsprechende Kapitel sechs des Vertrages hineinformuliert, man werde „kommerzielle Überlegungen respektieren“. Das steht zu einem Handel nach Quoten in einem logischen Widerspruch, aber eignet sich gegebenenfalls als Ausrede, wenn die Zuwächse dann doch kleiner bleiben. Schließlich wurde auch hart gerungen über einen Streitbeilegungsmechanismus. Die US-Seite behauptet, sie habe dabei einen Durchbruch erzielt. Ich glaube, das ist großteils Selbstbetrug. Im Konfliktfall soll nämlich zunächst vor allem viel geredet werden, was ja auch gut und richtig ist. Aber wenn das nicht hilft und eine Seite sich so beschwert fühlt, dass sie versucht, durch einseitige Maßnahmen Abhilfe zu erzwingen, dann versagt der Vertrag, könnte die Seite, gegen die sich die Beschwerde richtet, den Vertrag aufkündigen, wenn sie sich entgegen Treu und Glauben behandelt fühlt.

Der Teilvertrag zwischen den USA und China hat darauf verzichtet, auf zum Teil sehr kritische Fragen einzugehen, aus denen sich jederzeit Funken erneuter Eskalation schlagen ließen oder bei denen vielleicht sogar das Risiko einer Selbstzündung groß ist. Dazu gehört insbesondere alles, was mit einer gewissen Abkopplung in sicherheitspolitisch sensiblen Bereichen zu tun hat, wie z. B. 5G-Technologie oder alles, was dem Investment Screening unterliegt. Wohin langfristig der Hase läuft, bleibt offen. Aber für eine Weile gibt es Entspannung.

Ich glaube, dass sich die Spannungen in unserem Handelsdreieck in nächster Zeit auf die transatlantische Schiene verlagern werden. Der amerikanisch-chinesische Deal selbst bringt voraussichtlich für die EU eine doppelte Belastung, wobei Deutschland wohl am meisten betroffen sein dürfte. Die starke Erhöhung chinesischer Importe aus den USA, die verabredet wurde, wird voraussichtlich zulasten von EU-Exporten nach China zu Buche schlagen. In einer Kurzstudie von EUTIP und Kieler Institut für Weltwirtschaft wird abgeschätzt, dass in den Bereichen Luftfahrt, Fahrzeuge, Maschinenbau, Optik, Medizintechnik, Pharmazie und Landwirtschaft mehr als zehn Milliarden US-Dollar EU-Exporte durch amerikanische ersetzt werden. Dazu kommt die Verletzung eines strategischen Grundinteresses der EU, nämlich des Handelsmultilateralismus. Durch die Verletzung des Most-Favoured-Nation-Prinzips wird WTO-Recht untergraben. China und die USA machen gemeinsame Sache dabei, die Herrschaft des Rechts durch das Recht des Stärkeren zu ersetzen.

Doch ich glaube, da kommt noch mehr auf uns zu. Präsident Trump hat sich in seine mehrfach wiederholte Drohung mit 25-prozentigen Sonderzöllen auf europäische Automobilexporte in die USA so verliebt, dass man damit rechnen muss, dass er diese Keule noch öfter einzusetzen gedenkt, um europäische Zugeständnisse zu erzwingen. Ich kann mir ganz gut vorstellen, dass es in sein Wahlkampfkonzept passen könnte, die Propaganda eines großen Erfolges gegenüber China mit einer Demonstration rücksichtsloser Härte gegenüber der EU zu verbinden. Die EU ist darauf schlecht vorbereitet. Die innere Geschlossenheit war schon mal größer. Dass Frankreich dem vom Europäischen Rat beschlossenen Mandat für die Verhandlungen mit den USA nicht zustimmte, hat die Spaltung dokumentiert. Dass aus Berlin verschiedentlich Signale kamen, wonach man im Interesse von Verabredungen über Industriegüter in Landwirtschaftsfragen vielleicht über Zugeständnisse nachdenken sollte, verfestigt das Misstrauen zwischen den beiden Seiten des Rheins. Dass Handelskommissar Hogan nach der Rückkehr von seiner ersten USA-Reise vage Andeutungen machte über mögliches Entgegenkommen gegenüber den USA im Agrarsektor, obwohl er dafür gar kein Mandat des Rates hat, hat viele verwirrt. Dass EU-Kommissionspräsidentin von der Leyen in Davos nach einem Gespräch mit Donald Trump verkündete, es werde in wenigen Wochen ein Handelsabkommen über den Atlantik hinweg geben, spricht für maximale Desorientierung. Ein solcher Zeitplan ließe sich nur halten, wenn die EU vorhätte, einfach einzuknicken. Frau von der Leyen erntete prompt Widerspruch, auch von mir. Doch selbst wenn die Kommission sich nicht durch loses Gerede selbst beschädigen würde, bliebe die Lage verflixt schwierig. Fortgesetzte Untergrabung des Handelsmultilaterlismus. Geringe Aussichten auf notwendiges Entgegenkommen von Beijing. Erhöhte Spannungen gegenüber Washington. Und für die erforderliche außenwirtschaftliche Absicherung des Green Deal durch einen Border Adjustment Tax, nennen wir es Umweltzölle, kein praktikables und WTO-kompatibles Konzept in Sicht. Das wird ein interessantes Jahr. Interessant im chinesischen Sinne, wonach in „interessanten“ Zeiten zu leben, das Gegenteil von wünschenswert ist.


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