Schlagzeilen machte der 18. Asiatische Sicherheitsgipfel, der vom 31. Mai bis 2. Juni in Singapur stattfand, bei uns vor allem durch Äußerungen des chinesischen Verteidigungsministers, General Wei, der im Brustton der Selbstgerechtigkeit das Tiananmen-Massaker vor 30 Jahren genauso rechtfertigte wie die polizeistaatliche Unterdrückung der Uiguren im Nordwesten Chinas heute. General Wei hielt gewiss nicht die klügste, aber die eindrucksvollste Rede bei diesem Zusammentreffen von über 600 Teilnehmer*innen aus mehr als 60 Ländern, unter ihnen zwei bis drei Dutzend Minister*innen. Zum ersten Mal seit 2011 nahm wieder ein so hochrangiger Vertreter Chinas an diesem Treffen teil, das meistens nach dem Hotel, in dem es stattfindet, als Shangri-La-Dialogforum bezeichnet wird. Dialog gibt es natürlich in vielen verschiedenen Geschmacksrichtungen. Diesmal war der konfrontative “Dialog” beherrschend, den sich der amtierende amerikanische Verteidigungsminister Shanahan mit General Wei lieferte. Der Rest Asiens und die anwesenden Repräsentant*innen Europas – neben Frau Mogherini sprachen auch die Verteidigungsminister von Großbritannien und Frankreich im Plenum, Frau von der Leyen hatte keine Zeit – konzentrierten ihre Beiträge zu 70-80% darauf, den beiden Supermächten gut zuzureden, dass Wettbewerb doch nicht unbedingt in Konflikt ausarten müsse. Die zum Teil fast verzweifelnd bittende Tonlage, die dabei angeschlagen wurde, zuerst von Singapurs Premierminister Lee Hsien Loong, signalisierte allerdings, dass die meisten ihren eigenen Appellen wenig Aussichten einräumten, gehört zu werden. Der 18. Shangri-La-Dialog war eine Manifestation des sich zuspitzenden Hegemonialkonflikts zwischen den USA und China, wie es sie vorher so wohl noch nicht gegeben hat.
Es sind vor allem vier Reden, die nachzulesen wertvoll ist. Die von Lee Hsien Loong, die von seinem Verteidigungsminister Dr Ng Eng Hen sowie die Rede von Minister Patrick Shanahan und die von Minister Wei Fenghe. Sie sind hier zu finden.
Lee Hsien Loong hatte seine Rede mit dem Hinweis ankündigen lassen, er wolle thematisieren, wie kleine Länder unter den Bedingungen der amerikanisch-chinesischen Konfrontation trotzdem die internationale Entwicklung mitgestalten können. Wer deswegen neue Ideen erwartet hatte, wurde enttäuscht. Den Großteil seiner Ansprache verwendete Lee darauf, fast beschwörend auf die USA und die Volksrepublik China mit dem Argument einzuwirken, dass für sie jeweils Kooperation wertvoller wäre als Konfrontation. Gleichzeitig beschrieb er durchaus realistisch, dass sich in Washington wie in Beijing das Bild des jeweiligen Gegenübers weitgehend verdunkelt hat und er vermerkte zu Recht, dass es zwischen diesen beiden Mächten kein “strategisches Vertrauen” mehr gebe. Meinungsminderheiten in beiden Hauptstädten, die noch ein günstigeres Bild zeichnen wollten, seien weitgehend isoliert. Klar benannte Lee auch den Umstand, dass die amerikanische Wirtschaft, die lange der stärkste Verbündete Chinas in den USA gewesen war, ihre Haltung grundlegend verändert habe. Das entspricht Entwicklungen, die wir auch in Europa erleben. Positiv vorzuschlagen wusste Premierminister Lee drei Dinge: ökonomische Zusammenarbeit, regionale Integration, Stärkung multilateraler Strukturen. Bei letzterem hob er vor allem die Notwendigkeit einer fundamentalen WTO-Reform hervor, deren Wahrscheinlichkeit er gleichzeitig nicht eben übertrieb. Viele Beobachter attestierten der Rede strategische Hilflosigkeit. Immerhin muss man dem Gastgeber zubilligen, dass er die Entwicklung nüchtern zu beschreiben versuchte, ähnlich wie zu Ende des Dialogforums sein Verteidigungsminister, während andere Teilnehmerinnen und Teilnehmer, einschließlich Frau Mogherini, dieses Niveau gar nicht erreichen.
Patrick Shanahan hielt seine Rede stolpernd, als würde er sie zum ersten Mal lesen, und beantwortete die anschließenden Fragen erschreckend inkompetent und arrogant. Mir kam die Rede vor, das ist natürlich polemisch, wie die eines sowjetischen Generals fünf Jahre vor dem Ende der Sowjetunion. Shanahan konzentrierte sich darauf, sein Publikum mit Angeberei über militärische Fähigkeiten zu beeindrucken, ohne die zentrale geo-ökonomische Dimension des Konfliktes überhaupt zu adressieren. Es würde mich wundern, wenn nicht auch in Washington gesehen würde, dass der größte Teil des asiatischen Raumes, einschließlich der allermeisten ASEAN-Länder, Stück für Stück in Richtung Chinas “tilted”. Traditionell hatten insbesondere die zehn ASEAN-Staaten immer großen Wert darauf gelegt, nicht zwischen den USA und China wählen zu müssen, mit China ertragreiche Geschäfte zu machen und zusammen mit Amerika die eigene Sicherheit zu gewährleisten. Heute aber, wo die Sphären der Sicherheit und der Ökonomie sich immer stärker unentwirrbar vermengen, beginnt China in diesem Raum ein Übergewicht zu gewinnen, dem die stolze, aber langweilige Aufzählung von militärischen Potenzialen nicht beikommen kann. Einen merkwürdigen Eindruck machte Shanahan auch insoweit, als er sich nicht richtig zu entscheiden wusste, in welchem Maße er konfrontative mit beschwichtigender Rhetorik vermengen solle. Ich kann mir schwer vorstellen, dass es ihm gelungen sein könnte, den seit Jahren bei Shangri-La-Dialogen breit kolportierten Argwohn zu beschwichtigen, dass auf die USA wahrscheinlich am Ende doch zu wenig Verlass sei.
General Wei hatte sich für einfache Botschaften entschieden und präsentierte die mit einem Übermaß an Selbstbewusstsein: China ändert seinen Kurs nicht. Wenn die USA Konflikt wollen, bekommen sie ihn. Wenn sie den Konflikt nicht wollen, müssen sie sich bewegen. Dritte Länder müssen sich entscheiden, ob sie sich ins Lager der USA oder Chinas schlagen wollen. Nur an zwei Punkten gab es zwischen den Ministern Shanahan und Wei eine bemerkenswerte Übereinstimmung: 1.: den Klimawandel, der in den Reden der meisten anderen Teilnehmer*innen eine gewichtige Rolle spielte, erwähnte keiner von ihnen. Sie haben Wichtigeres vor sich: den Kampf um Hegemonie. 2.: Sie logen, dass sich die Balken bogen. Shanahan behauptete, die USA hätten in den letzten 70 Jahren in Asien verlässlich den Frieden gehalten! Wei behauptete, China habe sich gegenüber anderen Ländern noch nie als “bully” aufgeführt, als Schulhofschläger, und habe auch noch nie andere Länder angegriffen!
Und Europa? Frau Mogherini machte sich mit dem Satz lächerlich: “The EU is a defense player globally.” Ich glaube, sie sprach auch vom “global security provider”. Frankreich und Großbritannien wurden durch ihre Verteidigungsminister als relevante Akteure auch in Asien repräsentiert. Aber keiner von ihnen sprach von Europa, sondern jeder von seiner eigenen großartigen Nation. Ich würde sagen, auch wenn Europa viel größer ist als Singapur, haben wir faktisch nicht mehr zu bieten, wenn es um die Frage geht, wie der zerstörerischen Entwicklung des Hegemonialkonfliktes wenigstens ansatzweise beizukommen wäre, als die Vertreter Singapurs thematisierten. Deshalb wäre es gut, wir würden wenigstens das konsequent angehen. Einzelne Konzepte dafür gibt es ja durchaus. Aber deren praktische Relevanz lässt zu wünschen übrig. Die grundsätzlich völlig richtige Konnektivitätsstrategie der EU wurde zum Beispiel überhaupt nicht erwähnt, noch nicht mal von Mogherini.
Aber mit dem neuen Parlament und der demnächst zu bildenden neuen Kommission und den Mitgliedsstaaten, die demnächst gewiss anfangen werden, weniger eigensüchtig zu agieren, können wir das natürlich alles in Zukunft viel besser machen.
Sonst noch
- Interesse an einem Praktikum in Straßburg oder Brüssel? Die Bewerbungsfrist geht noch bis zum 10. Juni!
- 30 Jahre ist das Tiananmen-Massaker jetzt her. Meine Pressemitteilung dazu ist hier zu finden.
- Frankreichs Waffenexporte widersprechen europäischem Rech. Hiermeine Pressemitteilung dazu.
- Am nächsten Dienstag, dem 11. Juni, spreche ich auf einer Veranstaltung des Politico zum Thema: Does Europe need a new industrial strategy? Hier geht es zum Livestream.
- Am 15. Juni stimmen die Thüringer Grünen auf ihrer Landesdelegiertenkonferenz über ihr Wahlprogramm zur Landtagswahl im Herbst 2019 ab. Auch ich werde dort sein.