Der 21. August 2018, das ist der 50. Jahrestag des Einmarsches von Truppen der Sowjetunion und anderer Warschauer-Pakt-Staaten in die Tschechoslowakei, um dort den „Prager Frühling“ niederzuschlagen.
Ich war zum Zeitpunkt dieses Einmarsches 15 Jahre alt, und ich erinnere mich noch sehr lebendig, wie ich davon erfuhr. Die dramatische Nachricht von diesem Einmarsch ist fast die erste politische Erinnerung, die ich noch habe. Nur ein Ereignis vorher, die Ermordung von John F. Kennedy 1963, ist mir auch in Erinnerung geblieben. Ich befand mich am 21. August 1968 mit dem Fahrrad auf dem Nachhauseweg von der Schule, als auf der Hauptstraße meiner verschlafenen Heimatstadt Speyer hektografierte Flugblätter verteilt wurden. Das gab es sonst nie. Wer die Flugblätter damals unters Volk brachte, weiß ich nicht mehr; es waren wahrscheinlich die Jusos. Den Schock, den die Invasionsnachrichten bei mir auslösten, kann ich heute noch nachfühlen. Es war eine prägende Erfahrung.
Etwa 20 Jahre später erst besuchte ich selbst Prag, um an einem Treffen der Helsinki Citizens’ Assembly im Obecní dům teilzunehmen, mit Václav Havel und anderen Vorkämpferinnen und Vorkämpfern der Charta 77 und auch einigen Akteuren aus dem „Prager Frühling“. Die Gruppen der Helsinki Citizens’ Assembly waren auf der Grundlage des sogenannten Korbes III der Helsinki Schlussakte von 1975 aus dem Boden gesprossen. Inzwischen alte Freunde wie Elisabeth Weber und Milan Horáček traf ich dort zum ersten Mal.
Für Tschechen und Slowaken endete dann die bleierne Zeit mit der Samtenen Revolution 1989. Seit 2004 sind sie unsere Partnerinnen und Partner in der Europäischen Union.
Wer Geschichte nicht erinnere, sei dazu verurteilt, sie zu wiederholen, heißt es. Diese tschechoslowakische Geschichte des Kampfes um Freiheit, genauso wie die polnische, ungarische und ostdeutsche, ist ein besonders wertvoller Teil unseres gemeinsamen europäischen Erbes.
Deshalb habe ich etliche Freunde und gute Bekannte dazu eingeladen, in kurzen Texten Erinnerungen an den 21. August 1968 und Reflexionen dazu aufzuschreiben. Über 60 Texte von Menschen aus 22 Ländern kamen zusammen. Ich danke allen für ihren Beitrag zu diesem Projekt. Hier ist der Ertrag zu finden.
Mit hoffnungsvollen Grüßen
Reinhard Bütikofer