No. XXVI Othmar Karas, Österreich

Das Ende der Mär eines „Sozialismus mit menschlichem Antlitz“

Der Prager Frühling hat seinen Ursprung im Mai 1963. Die Intellektuellen setzten damals mit einer Tagung des tschechoslowakischen Schriftstellerverbandes, die so genannte Kafka-Konferenz, erste Impulse für einen Demokratisierungsprozess. Im Mittelpunkt standen die Werke des damals im Osten weitestgehend verbotenen Schriftstellers Franz Kafka, die eine Diskussion über Dogmatismus, Bürokratismus und deren Folgen auslösten.

Dieses intellektuelle Feuer begleitet die CSSR übrigens bis zu deren Ende 1989 und konnte auch nicht durch die Niederschlagung des Prager Frühlings ausgelöscht werden.

Erst nach der Kafka-Konferenz begann man auch über eine Reform der Wirtschaft nachzudenken. Noch nach dem Zweiten Weltkrieg zählte die Tschechoslowakei zu den wirtschaftlich gut aufgestellten Ländern Europas. Der Niedergang setzte mit der konsequenten Umsetzung der kommunistischen Planwirtschaft ein. Kritische Köpfe, wie Ota Sik, Eduard Goldstücker beginnen öffentlich über Alternativen nachzudenken.

Zuletzt kommt es innerhalb der kommunistischen Bewegung zu einer Führungs-Diskussion, die im Jänner 1968 zur Ablöse des „strenggläubigen“ KPC Generalsekretärs Antonin Novotny führt. Es ist nicht ganz zufällig, dass mit Alexander Dubcek ein slowakischer Politiker die Führungsrolle übernimmt. In der Zeit der KP-Diktatur sind die Slowaken die flexibleren, weniger dogmatischen Politiker als die Tschechen.

Dubcek weiß um die Notwendigkeit einer Wirtschaftsreform. Er will eine Abkehr von der Plan- und eine Hinwendung zur Marktwirtschaft. Auch der Druck auf die veröffentlichte Meinung lässt nach und es kommt zu einer Öffnung der Medienberichterstattung. Dubcek ist davon überzeugt, dass all die wirtschaftlichen Reformen, die Zulassung von Meinungsfreiheit auch unter dem Mantel eines kommunistischen Regimes möglich sind.

Höhepunkt des Prager Frühlings ist sicher die Veröffentlichung des „Manifests der 2000 Worte“ Ende Juni 1968. Für die Alt-Kommunisten stellt es den Aufruf zur Konterrevolution dar. Ab diesem Zeitpunkt entgleitet Dubcek die Entwicklung.

Aus den Schilderungen von Pavol Dubcek, dem Sohn des politischen Bannerträgers des Prager Frühlings geht hervor, dass es nicht so sehr Leonid Breschnew in der UdSSR sondern vor allem Walter Ulbricht in der DDR und Władysław Gomułka in Polen waren, die um das Übergreifen des „Prager Virus“ auf ihr Land fürchteten und gewissermaßen den roten Knopf betätigten. Und so marschierten am 28. August 30 Divisionen an Truppen der Warschauer Pakt Staaten (ohne DDR Verbände) in die Tschechoslowakei ein und bereiteten dem Prager Frühling ein Ende. Ein „Sozialismus mit menschlichem Antlitz“ hat sich als ein nicht realisierbares Projekt erwiesen. Ein Schlag nicht nur für den so genannten Euro-Kommunismus, der damals vor allem in Frankreich, Spanien und Italien grassierte.

Im August 1968 stand die Sorge im Raum, dass man angesichts dieser Truppenstärke bis an die einstige Demarkationslinie in Österreich durchmarschieren und auch noch das abtrünnige Jugoslawien zur Räson bringen könnte. Es blieb bei den Drohgebärden. Der Westen war gewarnt. Er hätte wohl nur verbal und mit Sanktionen reagiert.

Im November 1968 bekräftigt dann die Breschnew-Doktrin den Hegemonieanspruch Moskaus auf die kommunistischen Satellitenstaaten. Doch wie schon in Ungarn 1956, in Polen 1980, die Gedanken, die Worte waren stärker als jede Diktatur. 1989 brach das kommunistische System wie ein Kartenhaus zusammen. Man wollte keinen „Sozialismus mit menschlichen Antlitz“, keinen dritten Weg zwischen Kapitalismus und Sozialismus, man wollte Pluralismus und parlamentarische Demokratie.

Dr. Othmar Karas M.B.L. (1957), seit 1999 MdEP, Vizepräsident des Europäischen Parlaments a.D., Vorsitzender der EU-Russland-Delegation des Europäischen Parlaments, Gründer und Sprecher des Bürgerforum Europa, Präsident des Hilfswerk Österreich.