Beim informellen Treffen der EU-Handelsminister in Bratislava stehen gleich mehrere Großprojekte auf der Tagesordnung. Die Europäische Kommission wird dafür kämpfen, das grüne Licht für die vorläufige Inkraftsetzung des CETA-Abkommens mit Kanada zu erhalten. Sicherlich wird in diesem Zusammenhang auch das aktuell blockierte TTIP-Abkommen mit den USA eine Rolle spielen. Und zum dritten wird Brüssel sich darum bemühen, eine gemeinsame EU-Handelsstrategie gegenüber China zu verabreden, die die WTO-Verpflichtungen der EU ernst nimmt und zugleich einen funktionierenden Schutz gegen chinesische Dumping-Exporte gewährleistet. Letztes Thema wird zumeist unter der Überschrift „Marktwirtschaftsstatus für China“ erörtert.
Seit 1979 ist Außenhandel in der EU ausschließliche Kompetenz der europäischen Ebene. Deshalb konnte Europa hier, anders als in vielen Fragen der Außen- und Sicherheitspolitik, seit langem mit einer Stimme sprechen und dadurch international gemeinsames Gewicht gewinnen. Im Vertrag von Lissabon haben die Mitgliedsländer zudem der Europäischen Kommission auch noch die Zuständigkeit für Investitionsabkommen abgetreten. Manche tun seither so, als sei das quasi aus Versehen passiert oder ein bedauerlicher Verzicht auf heilige Vorrechte nationaler Souveränität. Aber in Wirklichkeit liegt ja auf der Hand, dass die EU – zu 28 oder 27 – gemeinsam ihre Interessen und Wertvorstellungen eher durchsetzen kann, als wenn die Mitgliedsländer jeweils auf eigene Faust versuchen müssten, gegenüber großen Wirtschaftsmächten nicht unter die Räder zu kommen.
Von 1979 bis heute, das sind 37 Jahre. 34 davon hat die Handelskompetenz der EU in der Öffentlichkeit so gut wie keine Rolle gespielt; erst seit 2013 TTIP auf den Tisch kam, änderte sich das. Handelspolitik, die früher als arkane Beschäftigung ausgefuchster Rechtsexperten galt, ist heute zum emotional tief rührenden populären Aufregerthema geworden. Viele Stimmen empören sich darüber, dass „die in Brüssel“ überhaupt so viel Entscheidungsmacht haben sollen. „Die in Brüssel“ sind irritiert. Von ihnen regen sich Viele darüber auf, dass man jetzt auf einmal „Hinz und Kunz“ Auskunft geben und Rechenschaft liefern soll über Themen, für die sich früher nur professionelle Lobbyisten interessierten. Die Lobbies sehen sich gestört in ihrem gut bezahlten Geschäft und verbrämen die eigennützige Ablehnung von Transparenz gerne als Appell an Rationalität. Und in den Mitgliedsländern nutzen Etliche, die sich sachlich für Handelsfragen wirklich nicht interessieren diese ganze Situation dazu aus ihre Agenda zur Renationalisierung Europäischer Politik zu befördern. Da läuft offensichtlich viel schief.
“The traditional politics of trade is broken”, sagte bei einer handelspolitischen Tagung der US Chamber of Commerce und der American Chamber of Commerce, an der ich teilnahm ein Redner vom Podium. Niemand widersprach ihm energisch. Es ist ja auch zu offensichtlich. Obwohl es in den USA die spezifischen europäischen Probleme mit unserer Kompetenzverteilung und unserer transnationalen Mehrebenendemokratie nicht gibt, ist die Opposition gegen die herkömmliche Handelspolitik eher noch größer als in Europa. Es ist gerade lachhaft, wenn manche Nostalgie-Transatlantiker die breite TTIP-Kritik des „Anti-Amerikanismus“ zeihen während in den USA glühende Patrioten von Links und Rechts die Handelspolitik der Obama-Administration mit fast allen Mitteln blockieren. Um Anti-Amerikanismus geht es nicht, das war bei der großen CETA/TTIP-Demonstration in Berlin überaus deutlich zu sehen. Es geht vielmehr, hier wie in den USA, um eine fundamentale Beunruhigung über die ökonomischen Folgen der Globalisierung für die eigene Zukunft. Diese Beunruhigung breitet sich aus wie ein Waldbrand.
Kanzlerin Merkel hatte vor vielen Jahren eine Zeit lang versucht in Deutschland wie im Ausland dafür zu werben, dass wir in globaler Kooperation eine internationale öko-soziale Marktwirtschaft entwickeln müssten. In jüngerer Zeit habe ich von Merkel dazu nichts Profiliertes mehr gehört. Obwohl die Entwicklung dem Gedanken, den sie da aufgegriffen hatte, Recht gibt. „What goes around, comes around“, was wir lostreten, das erwischt irgendwann uns selbst. Die Globalisierung, die seit dem Ende der Blockkonfrontation eine unglaublich machtvolle Entwicklung genommen hat, wurde nicht ökologisch und sozial eingehegt. Man konnte sich eine Weile der Illusion hingeben, wir, jedenfalls in den reichen Ländern oder auch nur wir, in den reichen Ländern, die wir nicht am unteren Ende der sozialen Skala stehen, würden dauerhaft von einem Prozess profitieren, der alle die Balancen untergräbt, die national durch sozial- und wohlfahrtsstaatliche Verabredungen geschaffen worden waren ohne ihnen auf größerer Ebene Funktionsequivalente folgen zu lassen. Aber eine solche Illusion führt zwangsläufig zur Ent-täuschung.
Es ist irreführend schlicht gegen Globalisierung zu Felde zu ziehen. Das tun gegenwärtig zur Verblüffung manches linken Globalisierungskritikers lautstark diejenigen, die die Abkehr von internationaler Öffnung und die Rückkehr zu nationaler Borniertheit in allem für die Lösung halten. Vielmehr geht es darum, einer Globalisierung, die durch Verzicht auf faire Regeln die gesellschaftliche Stabilität und gesellschaftliche Reproduktion zu untergraben droht, Rahmenbedingungen zu setzen. Die Propaganda von freien Märkten ohne solche Rahmenbedingungen ist einfach Unsinn. Märkte wachsen nicht auf Bäumen. Sie haben sich seit jeher nur entwickeln können, wo die Verabredung von Rahmenbedingungen verhinderte, dass das Gesetz des Dschungels siegt. Nicht ob Märkte unter Regelungen gestellt werden, sondern wie, müssen wir diskutieren. Wenn etwa im Rahmen der Verhandlungen über das TISA-Abkommen (Trade in Services Agreement) versucht wird, Handelsregeln durchzusetzen, die die Förderung Erneuerbarer Energien maximal behindern und gleichzeitig den fossilen eine langfristige Zukunft zusichern, dann ist das nicht nur ein erstaunlicher Verstoß gegen die Ziele auf die sich die ganze Welt vor einem Jahr beim Pariser Klimagipfel verpflichtet hat, es ist auch ein bösartiger Angriff auf die elementaren Zukunftschancen von Milliarden Menschen.
Die massive handelspolitische Kritik, die wir erleben, wird sich nicht in Luft auflösen. Die Ablehnung etwa der Absenkung von Standards bei TTIP oder CETA, der Kampf gegen die Untergrabung des Vorsorgeprinzips, die banale Forderung, dass bei Regelungen, die tief in unser aller Alltag eingreifen würden, ein Maximum an Transparenz schon in der Verhandlungsphase unverzichtbar ist, das alles würde ich zusammenfassen unter der Formulierung: „Wir verteidigen mit Selbstbewusstsein den europäischen Way of Life“. In seiner Rede zur Lage der Europäischen Union im Europäischen Parlament hat vor kurzem EU-Kommissions-Präsident Juncker gesagt, die Verteidigung des Europäischen Way of Life sei einer der zentralen Aufgaben der EU. Da muss ich feststellen: diese Aufgabe wird derzeit eher auf der Straße wahrgenommen als in den Büros der Generaldirektion Handel der Europäischen Kommission.
Bei CETA sollte unsere Position einfach sagen, dass ein privilegierter Investorenschutz unakzeptabel bleibt, auch wenn er ein bisschen sozialdemokratisch poliert wurde. Und dass der Verweis auf spätere Nachbesserungen, die einem jetzt geforderten „Ja“ folgen sollen, nur als Dummenfang abgelehnt werden kann.
Bei TTIP bewegt sich die US-Seite in zahlreichen für uns in Europa wichtigen Fragen kein Iota. Deswegen muss verhindert werden, dass noch vor Ende der Amtszeit Obamas ein Schein-Deal festgeklopft wird. Den kann es faktisch nur geben, wenn Europa auf breiter Front einknickt.
Bei den handelspolitischen Auseinandersetzungen mit China hat es in diesem Jahr eine interessante Entwicklung gegeben. Noch Anfang des Jahres wollte die Kommission die Kritik schlicht ignorieren. Seither ist in der Öffentlichkeit deutlich geworden, dass die von China vorgetragenen Forderungen, die faktisch auf eine Öffnung der Schleusen für Dumpingexporte hinauslaufen würden, keinesfalls alternativlos sind. In der Kommission findet allerdings weiterhin ein Kampf zweier Linien statt, so dass noch keineswegs klar ist, ob wir am Ende doch noch eine ganz unzureichende Lösung vorgesetzt bekommen.
Ich bin mir ziemlich sicher, alle diese Fragen werden im aufziehenden Bundestagswahlkampf eine große Rolle spielen. Wir als Grüne sollten übrigens auch dafür sorgen, die Seiten der Europäischen Außenhandelspolitik nicht zu vergessen, durch die Europa etwa in Afrika so viel wirtschaftlichen Schaden anrichtet, dass selbst die seit Jahrzehnten versprochene Erhöhung der Mittel für Entwicklungszusammenarbeit auf 0,7% des BIPs das nicht ansatzweise ausgleichen könnte.