EZB Untersuchung der Carbon Bubble warnt vor systemischem Risiko für Finanz- und Wirtschaftssystem

Das Europäische Risiko und Stabilitätsausschuss (ESRB) der Europäischen Zentralbank (EZB) hat sich im Februar zum Thema finanz- und wirtschaftspolitische Risiken bei einer Nichtanpassung an den Klimawandel, speziell die Risiken der fossilen Wirtschaft, in einer Studie positioniert. Ich halte das für eine wichtige Stellungnahme. Im Dezember 2014 hatte ich zusammen mit anderen Kolleg*innen mich in einem Schreiben an EZB Präsidenten Mario Draghi gewandt.

Von der EZB wollten wir wissen, ob und gegebenenfalls wie sie  in ihren Risikoanalysen dem Carbon Bubble Risiko Rechnung trägt Präsident Draghi antwortete uns freundlich. Er werde unser Anliegen im Risikoanalysegremium der EZB, dem European Stability and Risk Board zum Thema machen und untersuchen lassen.

Er hat Wort gehalten. Am 4. Januar 2016 tagte der ESRB Vorstand und legte intern das Ergebnis der Analyse auf den Tisch, am 11. Februar schließlich wurde diese Studie veröffentlicht.

Die Ergebnisse sind von erschreckender Deutlichkeit und ein dringlicher Appell zum Handeln. Unter dem Titel „Too late, too sudden: Transition to a low-carbon economy and systemic risk” beschreiben die Autor*innen der Studie zwei grundsätzliche Szenarien. Das eine geht davon aus, wir würden unser Wirtschaft- und Finanzsystem angesichts der Klimakrise und Pariser Klimaschutzzielen effizient und zügig umbauen. Rasch Kurs setzen weg von Kohle, Öl und Gas, Kapital und Innovation umlenken auf Erneuerbare und Effizienz. Schon mittelfristig würden sich diese Investitionen rechnen. Die Abfederung der unvermeidlichen Auswirkungen einer beschränkten Klimaerwärmung würde gelingen. Ein „soft-landing“-Szenario, wie die Autoren schreiben. Allein: Dass wir den Umbau so gezielt anpacken, dafür finden sich wenige Anzeichen. Alle Erfahrung mit früheren politischen Klimaschutzverpflichtungen lassen daran zweifeln. Zudem erschweren technische Unwägbarkeit und die schwierige Prognostizierbarkeit, dass alle Akteure, die nun handeln müssten, die Dringlichkeit dieses Kurses rechtzeitig erkennen und tätig werden.

In einem zweiten Szenario beschreiben die Autor*innen daher ein Szenario, in welchem die nötige Transformation erst verspätet und abrupt angepackt wird. Dieses Szenario führt d zu äußerst negativen Auswirkungen: einem „hard-landing“ für unsere Gesellschaften, für Wirtschaft- und Finanzsystem. Die Liste der Konsequenzen ist erschreckend: Energieknappheit und „abnormal“ hohe Energiepreise schwächen nicht nur Wirtschaft und belasten private Haushalte, sie führen auch zu makroökonomischen Schocks. Vermehrt auftretende Extremwetterereignisse erzeugen erhebliche Schäden und führen zu enormen Verlusten für die Versicherungsbranche. An den Finanzmärkten kommt es durch eine rasche Abwertung von Wirtschaftsbranchen, die mit dem fossilen Energiesektor verknüpft sind, zu erheblichen Turbulenzen. Die negativen Auswirkungen würden nicht nur auf den fossilen Energiesektor direkt beschränkt bleiben. Dadurch dass auch andere Sektoren Aktien und Anleihen des Energie-Sektors halten, und ihn über hohe Kredite finanzieren, wären auch sie von Abschreibungen betroffen. Europaweit könnten diese bis zu 400 Milliarden Euro ausmachen. Entsprechende Kettenreaktionen können zu Schockeffekten für das europäische Finanzsystem führen. Große materielle Werte wie Fahrzeuge und Maschinenparks, deren Betrieb auf fossiler Energie beruht, würden obsolet werden. Zentrale Aktienindizes könnten um 15 bis 20 Prozent einbrechen. Global würden diese Schockeffekte letztlich unterschiedlich stark ausfallen: Vor allem aufstrebende Ökonomien und „Petrostates“, deren Staatssektor und Wirtschaftssystem noch viel stärker vom fossilen Energiesektor abhängt, wären enormen Druck und Destabilisierung ausgesetzt.

Um diesem Szenario entgegenzuwirken, legen die Autor*innen einige Vorschläge auf den Tisch. Diese reichen von gesteigerter Transparenz in Bezug auf fossile Vermögenswerte an den Finanzmärkten, über den Aufbau von Kapitalpuffern zur Abmilderung späterer Schocks, Höchstgrenzen für Investitionen in stark fossil geprägte Finanztitel und Wirtschaftssektoren, bis hin zur Integration von Klimaaspekten in den europäischen Bankenstresstest.

Der Fakt, dass diese Prognosen und dringenden Handlungsforderungen von der EZB kommen, sollte wohl auch die konservativen Bastionen aufrütteln. Die Zeit der besorgten aber folgenlosen Klimarhetorik muss vorüber sein. Schon jetzt bleiben uns kaum „nicht-radikale“ Instrumente übrig, um unser Wirtschafts- und Finanzsystem so umzubauen, dass es uns auch in Zukunft noch unsere existentiellen Grundlagen sichert.

 

Photo by Kiefer.