Weshalb wir den Freihandelsvertrag mit Korea ablehnen

Brüssel gibt sich in diesem Herbst ziemlich asiatisch. Da ist das Gipfeltreffen der EU mit den 45 Teilnehmerstaaten des Asia-Europe Meetings (ASEM) – samt eines Gegengipfels, des Asia Europe People’s Forum (AEPF). Dann gibt es den EU-China-Gipfel. Und zudem quetscht sich ein weiterer Gipfel in die Agenda, der es eher nicht ins Rampenlicht schaffen wird, obwohl gerade er das verdient hätte: auf dem EU-Korea Summit werden am Mittwoch Herman Van Rompuy und José Manuel Barroso für die EU einen Freihandelsvertrag mit Lee Myung-bak, Präsident der Republik Korea, abschließen.

Der Vertrag soll am 1. Juli 2011 in Kraft treten. Vorher geht es nicht. Italien hatte sich bis vor wenigen Wochen gegen den Vertrag gewehrt und dadurch einen Aufschub von 6 Monaten erzwungen. Außerdem muss nach den neuen Regeln des Lissabonner EU-Vertrages das Europäische Parlament seine Zustimmung zu dem Vertrag geben. Das wird einige Monate dauern, denn das Parlament macht seine Zustimmung davon abhängig, daß der Rat schärfere Schutzmaßnahmen in den Vertrag einbaut.

Die Grünen im Europäischen Parlament werden gegen den Freihandelsvertrag mit Korea stimmen. Er setzt das falsche wirtschaftspolitische Signal zum falschen Zeitpunkt.

Als eine Konsequenz aus der Wirtschaftskrise hatte die Europäische Kommission zu Beginn dieses Jahres eine Überarbeitung der wirtschaftpolitischen Ziele der EU eingeleitet.  Die neue EU2020-Strategie, die der Rat dann zur Jahresmitte als Ertrag dieser Initiative beschloss, sollte unter anderem die Basis bilden für Antworten auf die Frage, in welchen wirtschaftlichen Bereichen eine industrielle Basis in Europa erhalten werden kann und soll und welche industriepolitischen Maßnahmen dazu notwendig sind. Noch warten wir auf die entsprechenden Vorschläge der Kommission. Die externe Dimension von EU2020 ist auch noch erst in der Vorbereitung.

Der Freihandelsvertrag mit Korea spannt nun, wie man so schön sagt, den Karren vor das Pferd. Er hat das Potential Fakten zu schaffen, die der notwendigen wirtschaftspolitischen Neuordnung der EU unzulässig vorgreifen. Damit sind wir nicht einvestanden. Europa darf nicht weiter seine Industriepolitik in erster Linie übe die Handelspolitik definieren.

Wenn, wie es der Freihandelsvertrag bewirken soll, Kleinwagen aus Korea in Zukunft auf dem europäischen Markt für 500-700 Euro weniger angeboten können, braucht man über die Perspektiven des entsprechenden Sektors der europäischen Automobilbranche nicht mehr lange beraten. Denn dies schafft eine Bedrohung für die Arbeitsplätze in der europäischen Kleinwagenindustrie. Italien’s Widerstand gegen den Vertrag wird hier verständlich. Man kann industriepolitisch entscheiden, dass Europa nicht auf dieses Segment setzt. Dann muss das zuerst offen so auf den Tisch. Auf diese Reihenfolge möchten wir gerne bestehen. Der Vertrag wird übrigens auch Auswirkungen auf die Berechnungen in den Chefetagen von Kia haben, ob sich die Aufrechterhaltung von Fertigungshallen für südkoreanische Autos in Slovenien noch rechnet. Weitere Arbeitsplätze sind da eventuell in Gefahr.

Die Europäische Kommission beschwichtigt. Die EU sei global hervorragend im Dienstleistungsbereich aufgestellt. Was die EU im industriellen Sektor durch den Vertrag mit Korea verlöre, werde bei den Dienstleistungen wieder eingeholt. Aber in der aktuellen Handelsbilanz mit Korea stehen Dienstleistungen nur für knapp 8 der insgesamt 54 Mrd Euro im Jahreshandelsvolumen. Und die Öffnung von Dienstleistungsmärkten in Korea und anderswo ist zum großen Teil eine Frage gemeinsamer Regelungen, die in Freihandelsverträgen nur gestreift werden können.

Wir Grünen machen uns stark für einen geordneten industriepolitischen Übergang in der EU zu einem “New Green Deal”. Unter allen klimapolitischen Aspekten ist es notwendig zu einer industriepolitischen Ausrichtung auf rohstoffärmere und effizientere Produktions- und Konsumptionsweisen zu gelangen. Kleinwagen – egal ob aus italienischer oder koreanischer Produktion – haben in dieser Vorstellung keinen Vorrang. Aber darum geht es hier nicht. Es geht um den geordneten – und in der EU gemeinsam entschiedenen und getragenen – Übergang. Das bedeutet auch, in klima- und zukunftsorientierten Bereichen so viele neue Arbeitsplätze zu schaffen, wie wir in veralteten Industriebereichen verlieren. Das ist eine der zentralen Aufgaben, an der die neue EU2020-Strategie gemessen werden muß.

Autointeressen spielen in dem Freihandelsvertrag noch ein zweites Mal eine Rolle, diesmal in die andere Richtung. Das Luxussegment europäischer Hersteller soll gefördert werden, indem Korea extra seine eigene CO-2 Gesetzgebung durchlöchert. Das Land will erfreulicherweise eine Gesetzgebung auf den Weg bringen, den CO-2 Ausstoß von Autos pro Kilometer auf 140 Gramm zu begrenzen. Das ist zwar weniger ehrgeizig als in der EU (130 g/km), aber es soll in einem kürzeren Zeitraum geschehen. Die europäischen Anbieter großer Kraftwagen liefen dagegen Sturm, und die Kommission macht nun im Freihandelsvertrag eine Änderung oder Ausnahmeregelung für europäische Importe zur Bedingung, anscheinend mit Erfolg. Klimapolitisch ist das zynisch. Ansonsten ist zu bezweifeln, dass Ferrari das ausgleichen kann, was Fiat gegebenenfalls durch den Freihandelsvertrag mit Korea verliert. Schade, dass man für den Handel mit politischer Scheinheiligkeit keinen Freihandelsvertrag braucht.


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