Der Spitzenkandidat der deutschen Grünen bei der Europawahl, Reinhard Bütikofer, sieht in der Stärkung des Europäischen Parlamentes ein entscheidendes Instrument, die Rechte der Bürgerinnen und Bürger in Europa zu stärken.
Mit Bütikofer sprach Holger Möhle.
General-Anzeiger: Ihre Kollegin Rebecca Harms sagt, die Deutschen wüssten mehr über Barack Obamas Hund als über Europa. Warum ist es so schwierig, europäische Politik zu vermitteln?
Reinhard Bütikofer: Ich treffe bei meiner Wahlkampftour viele Menschen, denen bewusst ist, wie wichtig die europäische Bühne ist, um in der Wirtschafts- oder Finanzpolitik, beim Klimawandel oder in der Außenpolitik die Weichen neu zu stellen. Die Bedeutung der Europäischen Union muss ich nicht predigen. Die Frage aber, wie Bürgerinnen und Bürger darauf Einfluss nehmen können, die wird oft gestellt.
GA: Wir wollen Ihre Europa-Begeisterung nicht bremsen: Aber 2004 sind gerade 43 Prozent der Wahlberechtigten in Deutschland zur Wahl gegangen. Fehlt Europa die Legitimation?
Bütikofer: Gegenfrage: Welche Legitimation habe die vielen einflussreichen Lobbyisten und nationalen Bürokratien, ohne Einmischung der Bürger in Europa Entscheidungen zu treffen? Wer kein Europa der Lobbyisten und der Bürokratien will, der muss das Europäische Parlament stärken. Es ist die Vertretung der Bürgerinnen und Bürger in Europa.
GA: Wie erklären Sie den Menschen, dass der Lissabon-Vertrag die Rechte des Parlamentes stärkt, wenn er denn kommt?
Bütikofer: Die Bürger fragen weniger nach dem Lissabon-Vertrag, sondern was das Europäische Parlament “liefert”. Da verweise ich etwa darauf, dass es zu einer Schutzmacht für die Verbraucher wird. Die Menschen fragen, ob es ausreicht, wenn in Zeiten der Wirtschaftskrise nur die einzelnen Staaten handeln, ohne dieses Handeln zu koordinieren. Richtig ist aber auch: Der Lissabon-Vertrag stärkt die Rechte des Parlamentes – auch gegenüber der EU-Kommission. Und er wird die Gesetzgebungskompetenz der Abgeordneten verbessern.
GA: Stichwort Opel: Die Regierungen in Belgien und Großbritannien, wo es gleichfalls Werke gibt, sind einigermaßen verstimmt, weil die Bundesregierung sich sehr auf den Erhalt der vier deutschen Standorte konzentriert. Was ist also mit einer europäischen Lösung für Opel?
Bütikofer: Diese Verstimmung überrascht mich nicht. Ich finde es grottenfalsch, jetzt die Krise als Exerzierfeld für ökonomischen Nationalismus zu benutzen. Das wird sich bitter rächen. Die Bundesregierung versäumt nicht nur auf diesem Feld, Politik für Europa besser mit den Partnern zu koordinieren. Insbesondere Bundeskanzlerin Angela Merkel und Finanzminister Peer Steinbrück stehen meist dann auf der Bremse, wenn Europa gemeinsam handeln müsste. Merkel und Steinbrück haben kein europäisches Herz. Wenn Helmut Kohl so Europa-Politik gemacht hätte wie die beiden – wir hätten heute den Euro noch nicht.
GA: Wie bewerten Sie die Ergebnisse des Gipfels zu Opel?
Bütikofer: Die Gipfel-Ergebnisse? Ich sehe eher eine Liste von Fragezeichen.
GA: Europa kümmert sich um alles – bis hin zum Krümmungsgrad der Gurke. Warum dieser Regelungswahn in Brüssel?
Bütikofer: Die frohe Botschaft: Die Gurke darf sich ab 1. Juli wieder frei krümmen. Was am Beispiel der Gurke jetzt wieder abgeschafft wird, haben sich nicht einfach Bürokraten in Brüssel ausgedacht, sondern Lobbyisten bestimmter Handelsverbände durch Druck in Hinterzimmern oktroyiert. Das ist ein Beispiel dafür, dass Lobbys über den Umweg Europa etwas herausschlagen, was sie Zuhause im offenen Wettbewerb nicht schaffen. Auch dagegen brauchen wir ein stärkeres Europäisches Parlament.
GA: Die Agrarlobby hat anfangs der Woche in Sachen Milchquote mobil gemacht. Wie bekommen Bauern vernünftige Preise für ihre Milch?
Bütikofer: Auf jeden Fall nicht, indem die Bundesregierung den Agrardiesel für zwei Jahre subventioniert. Das hilft gerade den Milchbauern nicht. Eine klare Regulierung bei der Milchmenge wäre viel gescheiter, als ein politisches Betrugsmanöver auf Kosten der Steuerzahler.
GA: Die Grünen machen Wahlkampf “mit Wums” – so der Slogan. Was kann Ihre Partei für Europa tun?
Bütikofer: Uns geht es um einen grünen New Deal. Um einen Pakt, der gerade in der Wirtschaftskrise die Impulse so setzt, dass Energieeffizienz und die Förderung erneuerbarer Energien Kern einer industriellen Revolution werden. Wir wollen die Wirtschaft so in Schwung bringen, dass sie zugleich die Herausforderungen des Klimawandels beantwortet. Hier sind in Europa fünf Millionen neue Jobs möglich. Wenn das kein Angebot ist. . .
GA: Nach 11,9 Prozent für die Grünen 2004 – wo liegt die Messlatte für diese Wahl?
Bütikofer: Mindestens zwölf Prozent – und eine stärkere Fraktion in Straßburg, damit Europa grüner wird.
Bildnachweis: Cucumber Curlicue von mommamia – Lizenz: CC-BY-NC-SA