Mein Interview vom 16.5. mit dem DIHK zur Europäischen Normung und diesbezüglichen Herausforderungen für KMUs
Fragen des DIHK an Reinhard Bütikofer, MdEP
Deutsche Unternehmen beklagen die Bürokratie bei europäischen Förderprogrammen und Instrumenten. Warum ist europäische Normung vergleichsweise gut angesehen?
Bürokratie wird immer beklagt, egal wo. Ganz ohne Bürokratie geht’s natürlich nicht. Man kann Förderprogramme schließlich nicht allein auf Vertrauensbasis durchführen. Aber aktuell wird etwa die Forschungsförderung deutlich weniger bürokratisch gestaltet.
Ich freue mich andererseits, dass das Normungssystem nicht grundsätzlich in Frage gestellt wird. Es ist nicht nur erfolgreich weil es die Wirtschaft sehr aktiv einbindet, sondern auch, weil es die Anliegen gesellschaftlicher Interessen, etwa der Verbraucher oder der Arbeitnehmer, einbindet.
Die EU KOM hat im vergangenen Jahr einen umfassenden Vorschlag zur Novellierung der europäischen Normung vorgelegt. Stichwort KMU – was wird aus Ihrer Sicht konkret besser werden? Wo gibt es noch Handlungsbedarf?
Die EU-Kommission stellt eine Reihe von Anforderungen in ihrem Normungspaket um die Beteiligung von KMU im Europäischen Normungssystem zu verbessern. So sollen laut Artikel 5, die Europäischen Normungsorganisationen KMU besser in die verschiedenen Arbeitsprozesse integrieren und in ihren Jahresberichten detailliert bewerten wie gut KMU in ihre Arbeit eingebunden wurden (Artikel 19). Die EU-Kommission wird auch weiterhin Normungsinstitute der KMUs, wie zum Beispiel NORMAPME, finanziell unterstützen.
Bedauerlich ist, dass die EU-Kommission sich nicht mehr für ein Stimmrecht der KMU Organisationen in der Normung einsetzt, so wie sie es in vorherigen Entwürfen getan hat. Allerdings soll der Vorschlag eines Stimmrechts 2013 nochmal überprüft werden.
Handlungsbedarf gibt es vor allem auf der Ebene etlicher Mitgliedstaaten. Da können manche vom Deutschen Institut für Normung (DIN) lernen. Das DIN bietet zum Beispiel maßgeschneiderte KMU-Normungspakete für reduzierte Preise an. In anderen EU-Mitgliedstaaten gibt es vergleichbares bisher nicht.
Wesentlicher Bestandteil des Vorschlages ist ja die Ausweitung der Normung auf Dienstleistungen. Akteure in Deutschland, darunter auch der DIHK, befürchten durch die Anwendung von Normen aus Kompetenzen eine Aushöhlung der deutschen Berufsbildung. Teilen Sie diese Sorge?
Ja. Bei diesem Thema ist besondere Vorsicht geboten. Das ist der Kommission durchaus bewusst. Dienstleistungen können nicht einfach wie Produkte genormt werden. Gleichzeitig besteht schon einiges an Kodizes für Berufsstände auf europäischer Ebene. In manchen Bereichen wäre eine Norm deshalb sogar eine redundante Dopplung, für die man zahlen muss. Die EU-Kommission sollte zusammen mit Dienstleistungsunternehmen, Fachgremien und den Normungsorganisationen genau prüfen, in welchen Dienstleistungen sich eine Norm tatsächlich lohnt.
Normungsvorhaben kommen initiativ aus der Wirtschaft, das heißt tätige Unternehmen engagieren sich freiwillig in der Normung und formulieren konsensual Anforderungen und Schnittstellen für Produkte, Prozesse oder Services. Das erfordert viel Engagement, kostet Zeit und Geld. Warum ist also das geheime Erfolgsrezept der Normung so erfolgreich? Gibt es vielleicht andere Fragestellungen oder Themenfelder, die nach dem erfolgreichen Normungsprozess “bottom-up” angegangen werden sollten?
Nun ja. Der Europäische Normungsprozess ist nicht ausschließlich “bottom-up” organisiert. Das Erfolgsrezept des Europäischen Normungssystems ist ein dynamisches Zusammenspiel von “top-down” und “bottom-up”. Die Politik schafft einen Rahmen, setzt bestimmte Produktanforderungen und ko-finanziert die Europäischen Normungsorganisationen. Unternehmen wiederum wirtschaften in diesen Rahmen und erfüllen die Anforderungen, die ihnen gestellt werden durch innovative Lösungen, die dann in die Normung fließen.
Solch ein Ansatz sollte auch für andere Felder einer Europäischen Industriepolitik verfolgt werden. Leider war Industriepolitik viel zu lange als Thema tabu obwohl sie unter anderen Namen immer irgendwie stattfand. Jetzt, da deutlich wird, wie wichtig sie ist, kann sie vom Europäischen Normungssystem etwas lernen.
Abrufbar ist das Interview auch hier (bitte auf Seite 13 scrollen)