„Es genügt nicht, möglichst oft ,Nazi‘ zu sagen“
Der scheidende grüne Europaabgeordnete lehnt die Parole „Gegen rechts“ ab und fordert ein Bündnis mit der demokratischen Rechten gegen Rechtsextreme, Linksextreme und Islamisten.
Von Christoph von Marschall, 04. Juli 2024
Der Ex-Parteichef der Grünen und langjährige Europaabgeordnete Reinhard Bütikofer mahnt seine Partei, die Strategie und den Ton ihrer Auseinandersetzung mit der AfD zu überdenken. Beim „Kein Abschied“-Empfang in der Berliner Vertretung des Europäischen Parlaments (EP) sagte der 71-Jährige, der nach 15 Jahren aus dem EP ausscheidet: Im Kampf gegen Rechtsextreme helfe es wenig, „Abscheu zu artikulierten und möglichst oft ,Nazi‘ zu sagen“.
Er forderte die Grünen auf, eine schärfere Grenze zwischen Konservativen und Rechtsextremen zu ziehen und sich mit der demokratischen Rechten „gegen Rechtsextreme und, wo nötig, auch gegen Linksextreme“ und Islamisten zu verbünden. Für seine Thesen zur Verantwortung aller Demokraten in Deutschland erhielt er mehrfach starken Beifall.
Mit Blick auf den „befürchteten, großen Durchbruch“ der extremen Rechten bei der Parlamentswahl in Frankreich und dem drohenden Erfolg der Extremen bei den drei Landtagswahlen im Herbst in Brandenburg, Sachsen und Thüringen „müssen wir alle unsere politische Verantwortung noch mehr hinterfragen“, verlangte Bütikofer. Bei der Europawahl sei in Deutschland „nur noch eine demokratische Partei stärker als die AfD“ gewesen, nämlich die CDU.
Vier Ratschläge von Bütikofer an Demokraten
1. In der Sache argumentieren
„Wo die extreme Rechte Breitenverankerung hat, kann es nicht genügen, im Wesentlichen in das eigene, engere Milieu hinein Abscheu zu artikulieren und möglichst oft,Nazi‘ zu sagen. Wen die WählerInnen ernst nehmen, gegen den müssen wir verstärkt in der Sache argumentieren.“
2. Mit Rechten gegen Rechtsextreme
„Progressive müssen eine schärfere Grenze ziehen zwischen rechts im Sinne von demokratisch-konservativ und rechtsextrem. Zugespitzt gesagt: Ich bin nicht für die Parole ,Gegen Rechts!‘, weil ich hoffe, mit der demokratischen Rechten gegen Rechtsextreme und, wo nötig, auch gegen Linksextreme und sonstigen, zum Beispiel islamistischen Extremismus zusammen gehen zu können.“
3. Die AfD nicht zur einzigen Alternative machen
„DemokratInnen müssen ihre Parteikonkurrenz neu denken! Kein Anti-AfD-Einheitsbrei, weil dann die AfD plausibler behaupten könnte, die einzige Alternativezu sein. Demokratischer Streit muss aber so eingehegt werden, dass nicht die Anti-Demokraten gestärkt werden.“
4. Die Demokratie erneuern
„Wir müssen unsere Demokratie erneuern! Sie muss effektiver, weniger bürokratisch, transparenter, inklusiver, selbstkritischer werden. Weniger Recht haben und mehr zuhören! Wie kann es zum Beispiel sein, dass die Bundesregierung das Vorgehen der Brüsseler Kommission zum hochsubventionierten chinesischen Elektroautoexportrabiat ablehnt, obwohl außer der deutschen Autoindustrie alle anderen Industriebranchen dafür sind? Und dass diese merkwürdige Positionierung noch nicht mal öffentlich argumentiert wird?“
Und: „Demokratische Politik ist nur stabil, weil begeisternd, wenn sie Mitmachen mobilisiert, statt administrativ durchziehen zu wollen.“
„Wir müssen uns vergegenwärtigen, dass auch für die Demokratie gilt, was wir Grüne immer über die Notwendigkeit der Nachhaltigkeit gesagt haben: Wir haben keinezweite Welt im Kofferraum. Wir haben auch keine zweite Demokratie im Kofferraum!“
„Benjamin Franklin sagte 1787 auf die Frage, was das Ergebnis der amerikanischenRevolution sei: ,A republic, if you can keep it.‘ Lassen Sie uns alle unsere eigene, demokratische Republik und das demokratische Europa bewahren!“
Artikel abrufbar unter: https://www.tagesspiegel.de/politik/butikofer-mahnt-grune-im-kampf-gegen-afd-es-genugt-nicht-moglichst-oft-nazi-zu-sagen-11955176.html