EU-China Gipfel: Im Osten nichts Neues | BÜTIS WOCHE #270

Das 24. Gipfeltreffen zwischen der EU und der Volksrepublik China, das am 7. Dezember 2023 in Peking stattfand, war bestimmt von großen Dissonanzen. Die beiden Seiten waren sich im Nachhinein überraschend noch nicht einmal einig, auf welcher Ebene genau dieser Gipfel stattgefunden hatte. In der Presseerklärung der europäischen Seite heißt es, Charles Michel, der Präsident des Rates, und Ursula von der Leyen, Präsidentin der Kommission, hätten sich zu diesem Gipfel mit Chinas Präsident Xi Jinping getroffen und anschließend auch noch einen Austausch mit Chinas Premierminister Li Qiang gehabt. In der chinesischen Berichterstattung dagegen heißt es – wie auch in früheren Jahren -, der Gipfel habe zwischen Premier Li Qiang und den beiden Europäern stattgefunden. Die europäische Pressemitteilung weicht insoweit von früheren Beispielen ab. Anscheinend sollte damit Augenhöhe mit Xi Jinping signalisiert werden. Doch Chinas Führung wich nicht davon ab, Europa den USA gegenüber als zweitrangig zu behandeln. Amerikanisch-chinesische Gipfel sind selbstverständlich solche zwischen Xi Jinping und Biden. Doch der EU sagt Peking: Euer Gesprächspartner ist unsere Nummer 2; dass Xi auch mit Euch redete, war eine freundliche Zugabe des Parteikaisers. 

Dass es bei den zwei Gesprächen in Peking besonders viele Freundlichkeiten gegeben hätte, muss man nicht vermuten. Beide Seiten brachten offenbar deutlich ihre jeweilige Unzufriedenheit mit dem Stand der Beziehungen zum Ausdruck. Allerdings ist auch wieder interessant, in welcher Weise diese Unzufriedenheit präsentiert wird. Von chinesischer Seite hagelte es offenbar in den Gesprächen Belehrungen. Belehrungen darüber, wie China richtig gesehen werden müsse. Belehrungen darüber, dass es keinerlei Rivalität zwischen der Volksrepublik und der EU gebe. Belehrungen darüber, dass die EU nicht ständig Dinge verwechseln solle. Belehrungen darüber, dass die EU sich mehr für beidseitige Kooperation einsetzen solle. Belehrungen, Belehrungen, Belehrungen, … . Von EU-Seite wurde auch kritisiert. Aber hier lag der Akzent nicht darauf, wie die andere Seite uns sehen oder reflektieren solle, sondern was die andere Seite praktisch tun solle. 

Die EU will eine Reduzierung des dramatisch hohen chinesischen Außenhandelsüberschusses, dass China sich um “lange bestehende Forderungen” bezüglich wirtschaftlicher Fairness der EU endlich kümmern solle, wie zum Beispiel durch Schaffung von mehr Transparenz im Geschäftsumfeld für europäische Unternehmen in China, durch verlässliche Lieferketten, Beseitigung von Handelsverzerrungen wegen industrieller Subventionen und Beseitigung von branchenspezifischen Handelsbarrieren. Die EU betonte auch, dass die kürzlich versprochene Erleichterung von Datenflüssen über die chinesische Grenze hinweg tatsächlich aktiviert werden müsse. Als Motto für das Auftreten der EU-Seite könnte man vielleicht sagen: “Der Worte sind genug gewechselt, nun lasst uns Taten sehen!” Chinas Motto dagegen ist offenbar: “Eure konkreten Anliegen müssen zurückstehen; erst müsst Ihr lernen, richtig zu uns zu reden.” Die EU sprach zu China als einem erhofften Partner. China dagegen sprach nicht von gleich zu gleich, sondern von oben nach unten. 

Ausweislich der EU-Presseerklärung war, wie erwartet, die wirtschaftliche Seite der Beziehung das Zentralthema. Aber nicht wie so oft in der Vergangenheit, um das Hohelied der wunderbaren wirtschaftlichen Beziehungen zu singen, sondern um wachsende Probleme anzusprechen. Die EU brachte offenbar eine große Anzahl von konkreten Erwartungen und Beschwerden zum Ausdruck, warnte vor den mit der chinesischen Subventionierung von industriellen Überkapazitäten verbundenen Gefahren. Explizit wurde die von Präsidentin von der Leyen angekündigte Untersuchung wegen chinesischer Subventionen für Elektromobilität nicht erwähnt, aber implizit kann man herauslesen, dass in Brüssel durchaus überlegt wird, ob ähnliche Untersuchungen nicht möglicherweise bald auch in anderen industriellen Bereichen erforderlich sein könnten. Hat die EU ökonomisch in den Gesprächen etwas erreicht? Ich hoffe, dass von der Leyen und Michel wenigsten eine Wirkung erzielt haben, nämlich von der europäischen Entschlossenheit zu überzeugen, gegen unfaire Handels- und Investitionspraktiken entschiedener vorzugehen. Benennbare Zugeständnisse Chinas dagegen gab es offenbar keine. 

In der Presseerklärung der EU-Seite wurde an zweiter Stelle Chinas Verantwortung als Mitglied des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen angesprochen und zwar insbesondere im Zusammenhang mit Russlands Krieg gegen die Ukraine. Danach formulieren von der Leyen und Michel, China solle Druck ausüben auf Russland, den Krieg zu beenden, und die russischen Versuche zur Umgehung der Sanktionen verhindern. Da scheint ungesagt eine Warnung auf, dass die EU nicht endlos zusehen könnte, wenn China weiterhin in mehreren Weisen nachweisbar Russlands Kriegsanstrengung aktiv fördert. Eine kleine diplomatische Nickeligkeit ist es, wenn die EU schreibt, “Russlands Aggressionskrieg gegen die Ukraine” sei zwischen den chinesischen und den europäischen Repräsentanten diskutiert worden. Denn ganz sicher haben weder Xi noch Li eine solche Terminologie verwendet. In der offiziellen chinesischen Berichterstattung über das Gespräch mit Xi wird dem Thema Ukraine nur ganz am Ende ein halber Halbsatz gewidmet. Im Vorbeigehen ist da von “regionalen Brennpunkten einschließlich Ukraine” die Rede. Während mit Blick auf den Nahost-Konflikt sich die EU-Seite klar zu Hamas äußerte und Israels Recht auf Selbstverteidigung betonte, war dieser schreckliche Konflikt Chinas Propagandisten auch nur eine Nebenerwähnung als regionaler Brennpunkt wert. 

Beide Seiten bedienen sich mehrfach in ihren Texten des beliebten Versuches, der jeweils anderen Seite die eigene Position unterzujubeln. So schreibt die EU, als wichtige Ökonomien müssten die EU und China weltweite Anstrengungen zur Reduktion von Treibhausgas-Emissionen anführen. Wer nicht genau liest, könnte versucht sein anzunehmen, da sei eine Gemeinsamkeit konstatiert, weil “the EU and China must”. Aber tatsächlich ist das eben nur die Position von europäischer Seite. China hat das nicht quergeschrieben. Ähnliche Vereinnahmungsversuche gibt es von chinesischer Seite auch. Man kann das aber als diplomatische Fisimatenten abtun. 

Was sich in der europäischen Presseerklärung findet, aber in der chinesischen gar nicht erwähnt wird, sind die Themen Menschenrechte und Taiwan. Taiwan ist ja nach chinesischer Lesart gar kein außenpolitisches Thema, also konnte die chinesische Seite mit der europäischen gar nicht darüber reden, sondern höchsten die europäische Zumutung zurückweisen, das überhaupt zum Thema machen zu wollen. Und selbst diese Zurückweisung, die es sicher gegeben hat, wird von Peking nicht berichtet, weil schon das dem europäischen Anspruch zu viel Platz einräumen würde, das Taiwanthema auf die Tagesordnung zu bringen. Trotzdem halten Michel und von der Leyen, und das tun sie zu Recht, fest: “Wir wenden uns gegen jeden unilateralen Versuch, den Status Quo durch Gewalt oder Zwang zu verändern”. Das bezieht sich übrigens nicht nur auf die Taiwanstraße, sondern auch auf das Ost-Chinesische Meer und das Süd-Chinesische Meer. Ausdrücklich wird die Bedeutung des internationalen Rechts und der UNO-Seerechtskonvention (UNCLOS) betont. Wie viel Zeit die Menschenrechtsthematik einnahm, kann man aus der EU-Presseerklärung nicht ersehen, aber anscheinend wurde da durchaus Klartext gesprochen. Die Rede war von “systematischen Menschenrechtsverletzungen” in Xinjiang und Tibet, von Zwangsarbeit, von der üblen Behandlungen von Menschenrechtsverteidigern und Personen aus ethnischen Minderheiten sowie von der andauernden Erosion der fundamentalen Freiheiten Hongkongs. Dass die EU allerdings anschließend betont, wie sehr sie sich auf den nächsten Menschenrechtsdialog mit China im Jahr 2024 freue, entbehrt nicht einer ironischen Komik. Nicht klar ist bis jetzt, ob einzelne Fälle angesprochen wurden, zum Beispiel der des Sacharow-Preisträgers Ilham Tohti. Nicht erwähnt wird auch die Frage der im März 2021 unter anderem gegen Mitglieder des Europäischen Parlaments, mich eingeschlossen, verhängten Sanktionen. Ich weiß von ihr selbst, dass Präsidentin von der Leyen die Aufhebung dieser Sanktionen fordern wollte. Ich bin gespannt noch zu hören, ob die chinesische Seite dazu überhaupt Stellung genommen hat. 

Nach dem nur online stattgefundenen EU-China Gipfel des letzten Jahres hatte Josep Borrell von einem “Dialog der Gehörlosen” gesprochen. Das war vielleicht ein wenig großzügig gegenüber den Herrschaften aus Peking, weil es implizit ja die Verantwortung für das Ausbleiben eines konstruktiven Dialogs auf beiderlei Schultern legte. Doch der Gipfel 2023 war kein Schritt in Richtung einer konstruktiven Wende in den Beziehungen. Beide Seiten haben auf verschiedenen Ebenen aneinander vorbei geredet. 

Wer gehofft haben mochte, Peking könne vielleicht zu Zugeständnissen bereit sein, weil es gegenwärtig an vielen Fronten unter Druck steht, müsste enttäuscht sein. Die hegemoniale Attitüde ist Xi Jinping so in Fleisch und Blut übergegangen, dass er allenfalls noch den globalen Gegenspieler, den er stürzen möchte, Präsident Biden, als gleichrangig ansieht. Über die Zeit, in der man andere von gleich zu gleich behandelte, ist Peking vor dem Hintergrund paranoider Selbstglorifizierung längst hinaus. Die EU wird sich darauf einstellen müssen, nicht nur zu bellen, sondern auch zu beißen, wo die Verteidigung unserer Interessen und die Beförderung unserer Werte das verlangen. Beschönigungen werden nicht helfen. 

Besonders beschönigend war vor einigen Monaten die Art und Weise gewesen, in der die Leute um Charles Michel von dessen Zusammentreffen mit Li Qiang berichtet hatten. Das klang, als schreibe man das Jahr 2011. So klingt die gemeinsame Presseerklärung von Michel und von der Leyen nun nicht. Wenn das zunehmende Gemeinsamkeit im Verständnis dessen, was die EU in den China-Beziehungen tun muss, zum Ausdruck bringt, dann ist das gut. Ich würde mich freuen, wenn Michel seine Positionierung als Weichei-Gegenpol gegen von der Leyen tatsächlich aufgegeben hätte. Aber mindestens kleine Zweifel bleiben. 

Dass die EU zum Beispiel lobend hervorhebt, man werde 2024 den sogenannten High-Level People-to-People Dialogue wieder aufnehmen, mutet merkwürdig an. In der Vergangenheit saßen da auf chinesischer Seite ausschließlich stromlinienförmige Parteikader, was allerdings aus chinesischer Sicht nicht im Widerspruch steht mit der Formulierung people-to-people, weil ja die Partei das chinesische Volk exzellent verkörpert. Aber vielleicht kommen von der Leyen und Michel ja auch auf die Idee, auf europäischer Seite all die Leute für den People-to-People Dialogue zu nominieren, die von der Volksrepublik sanktioniert wurden. Das könnte lustig werden. 

Sonst noch:


Von Sonntag bis Dienstag habe ich am Stockholm China Forum in Singapur teilgenommen.

Dem Sender France24 habe ich ein Interview zum EU-China Gipfel gegeben. 

Am Mittwochabend habe ich an einer Veranstaltung von Memorial in Berlin teilgenommen. Thema des Abends war: „Die Träger*innen des Friedensnobelpreises 2022 ein Jahr später – Die Arbeit geht weiter.“

In der nächsten Woche tagt das Europäische Parlament in Straßburg. Neben der Verleihung des Sacharow-Preises und verschiedenen Aussprachen zu China, USA und Taiwan steht auch die Abstimmung über meinen EU-Japan Bericht auf der Tagesordnung.