Ludwig Uhland, von dem diese geringfügig veränderte Zeile stammt, hat schon vor über 150 Jahren die geopolitische Rolle unserer heutigen Europäischen Union damit treffend beschrieben. Uhland war Dichter, Literaturwissenschaftler, Jurist und – Politiker. Er war Abgeordneter in der Frankfurter Nationalversammlung. In seinem Gedicht „Schwäbische Kunde“, in welchem er das Wort „Schwabenstreiche“ berühmt machte, finden sich verschiedene Formulierungen, die in den allgemeinen Sprachgebrauch übergegangen sind. Doch groß ist der Trost nicht, dass wir die Unzulänglichkeit europäischer Politik so sprichwörtlich beschreiben können. Ich schwanke zwischen Zorn und Depression, wenn ich mir alleine die aktuelle Woche anschaue.
Die EU hatte ein Gipfeltreffen mit dem amerikanischen Präsidenten. Nein, sie hatte eigentlich zwei Gipfeltreffen, denn Ratspräsident Michel und Kommissionspräsidentin von der Leyen trafen sich getrennt mit Joe Biden. Noch fürs Foto standen sie nebeneinander. Ein humorvoller Zeitgenosse witzelte zu diesem Foto, Biden habe Friedensverhandlungen zwischen von der Leyen und Michel moderiert. Das ist zum Weinen lustig. In der Sache war der Gipfel dann eine Nullemission oder, wie man in den USA vielleicht sagen würde, ein Nothingburger. Vorher war lange Zeit in Aussicht gestellt worden, bei diesem Gipfel werde man ein Global Arrangement for Sustainable Steel and Aluminium (GASSA) verabreden und mit einem Rohstoffabkommen der europäischen Industrie einen etwas breiteren Zugang zu US-Subventionen nach dem Inflation Reduction Act (IRA) eröffnen. Beides fand nicht statt. Im Kommuniqué hieß es dann verrückterweise, man habe beim Gipfel die Fortschritte bei diesen beiden Themen zur Kenntnis genommen. Wer so etwas formuliert, obwohl jeder halbwegs Kundige sieht, wie verlogen das ist, nimmt weder sein Publikum ernst noch sich selbst. Und wir können ja nicht vergessen, was es bedeutet, wenn angesichts all der aktuellen Krisen sich die USA und die EU bei einem lange vorbereiteten Gipfel eine solche Blamage leisten!
Anderes Thema. Diese Woche fand auch ein Europäischer Gipfel (EUCO) statt. Die Tagesordnung war überreich mit aktuellen Krisen bestückt. Ganz im Vordergrund: Der Nahostkonflikt, das heißt der brutale, terroristische Angriff der Hamas auf Israel, Israels Gegenwehr und die Lage in Gaza. Vor dem Gipfel hatten alle Europäer den Hamas-Terror entschieden verurteilt und natürlich auch erklärt, dass Israel das Recht auf Selbstverteidigung habe. Allerdings meinten etliche EU-Länder offenbar, Israel habe zwar das Recht auf Selbstverteidigung, solle von diesem aber auf keinen Fall weiteren Gebrauch machen; sie forderten daher einen sofortigen Waffenstillstand, von dem meiner Meinung nach die Hamas vor allem profitieren würde, die immer noch rund 200 Geiseln hält. Ich will an dieser Stelle nur vermerken, nicht darüber rechten, dass fast alle europäischen Äußerungen, die auf Einhaltung der Prinzipien der Humanität in diesem Konflikt gerichtet sind, an Israel adressiert werden, während die Hamas, die israelische Kinder umbringt und dann palästinensische Kinder als Schutzschilde benutzt, eher selten an die Humanität erinnert wird. Deutschland, Österreich, Tschechien und vielleicht auch einige andere EU-Länder wollten sich einer Forderung nach einem sofortigen Waffenstillstand nicht einfach anschließen. Also nahm man zur sprachlichen Kreativität Zuflucht. Die Formel „humanitäre Pause“ wurde ins Spiel gebracht. Das Wort habe ich vorher noch nie gehört. Niemand ist in der Lage, dafür eine Definition zu liefern. Es handelte sich, um einen auf Unklarheit setzenden Versuch einen Waffenstillstand zu fordern, ohne das Wort Waffenstillstand zu benutzen. Diejenigen, die mit dieser Forderung nicht einverstanden waren, kamen dann auf die Idee von „humanitären Pausen“ zu sprechen. Plural statt Singular. Damit sollte gesagt werden: Ja zur Unterbrechung der Kampfhandlungen damit humanitäre Korridore und humanitäre Unterstützung eine Chance haben, ohne aber das als Forderung nach einem Waffenstillstand gegen Israel zu wenden. Über den einen Buchstaben, Pause oder Pausen, wurde stundenlang gestritten. Unabhängig davon, was meine Meinung in der Sache ist, muss ich einfach feststellen: So etwas kann man sich nur leisten, wenn man ohnehin nur eine Randrolle spielt. Ich hätte mir auch vorstellen können, dass die EU eine Initiative ergreift. Zum Beispiel eine Initiative gegenüber der Palästinensischen Autorität in Ramallah, die in dieser ganzen schrecklichen Katastrophe eigentlich gar nicht vorkommt, weil sie ihre seit 2006 nicht mehr in Wahlen begründete Autorität und Glaubwürdigkeit inzwischen völlig eingebüßt hat. Wenn das israelische Ziel, dass die Hamas nach diesem von Vernichtungswillen gegenüber Israel geprägten Terrorangriff keine Rolle mehr spielen darf, eine Chance haben soll, dann müsste es eine halbwegs glaubwürdige palästinensische Alternative zur Hamas geben, die Ramallah derzeit nicht darstellt. Aber von so etwas war nichts zu hören.
Auch beim EUCO: Eigentlich sollte der sich zuspitzende Konflikt zwischen Serbien und Kosovo im Westbalkan angesprochen werden. Auf der Tagesordnung stand es jedenfalls, wenn auch nur mit einem halben Satz. Die EU verfolgt in diesem Konflikt seit längerem eine verheerende Politik. Zuckerbrot für die aggressive serbische Seite und Peitsche für die Kosovaren. Das ist nicht gerecht, nicht klug, nicht Konflikt vermindernd, nicht nachhaltig. Trotzdem wird es von dem Triumvirat Borrell, Várhelyi, Lajčák im Bunde mit einigen Herrschaften im amerikanischen Außenministerium so verfolgt. Leider konnte der EUCO diesem Thema aber keine angemessene Aufmerksamkeit widmen. Fast muss man beten, dass Serbien das nicht weiter ausnutzt.
Nochmal EUCO: Ukraine. Russlands Aggressionskrieg gegen die Ukraine gerät angesichts der Explosion im Nahen Osten in den Nachrichtenschatten und auch in den Aufmerksamkeitsschatten wichtiger politischer EntscheidungsträgerInnen. Zudem muss Europa zur Kenntnis nehmen, dass es im US-Kongress gegenwärtig keine Mehrheit gibt für die von Präsident Biden vorgeschlagene weitere militärische Unterstützung durch die USA. Europa müsste also den eigenen militärischen Beitrag deutlich steigern. Deutschland müsste seine Zögerlichkeit gegenüber der Lieferung weiterreichender Raketen endlich aufgeben. Das fand nicht statt. Aber ganz sicher haben wieder ganz viele gesagt, dass wir der Ukraine zur Seite stehen, solange das nötig sei. Für mich klingt das inzwischen ansatzweise zynisch.
Was nicht auf der Agenda stand, ist auch vermerkenswert. Die von China angeheizten Spannungen gegenüber den Philippinen im Südchinesischen Meer zum Beispiel. Die Liste ließe sich leicht verlängern.
Und dann gab es zu Ende der Woche doch noch ein kleines bisschen Brot. Beim Global Gateway Forum zeigte die EU ihre Absicht, dieses internationale Infrastrukturentwicklungsprogramm nicht länger nur als Parole vor sich herzutragen, sondern auch die Umsetzung anzupacken. 90 hochrangige Gäste aus vielen Ländern waren dafür erwartungsvoll nach Brüssel gekommen. Ja, Global Gateway ist ein richtiger geostrategischer Ansatz. Ja, ich will nicht mehr darüber reden, dass seit Ende der Juncker-Kommission wegen bürokratischer Selbstfesselung 2-3 Jahre lang versiebt wurde, die Sache richtig anzupacken. Ja, ich freue mich, dass es jetzt voran geht. Ja, die EU kann damit Partnerschaft mit Ländern aus dem sogenannten Globalen Süden einen Weg zeigen.
Aber insgesamt ist es eine deprimierende Woche gewesen.
Sonst noch
- Am Samstag, dem 21.10. habe ich beim Grünen Ortsverband Elztal/ Waldkirch die Festrede zum 40-jährigen Bestehen gehalten.
- Am Montag habe ich vietnamesische MenschenrechtlerInnen getroffen. Wir haben über das seit 3 Jahren bestehende Freihandelsabkommen zwischen Vietnam und der Europäischen Union gesprochen.
- Am Dienstag fand ein Treffen der informellen Hong Kong Watch Group des Europäischen Parlaments statt, an dem ich teilgenommen habe.
- Am Mittwoch habe ich mit meinen SchattenberichterstatterInnen die Abstimmungsvorlage zu meinem Japanbericht für den Auswärtigen Ausschuss fertiggestellt.
- Dem Deutschlandfunk habe ich ein Interview zum Global Gateway Projekt der EU gegeben. Das Interview findet sich hier.
- Dem RBB habe ich ein Interview zur Haltung der Europäischen Union im Nahost-Krieg gegeben.
- Am Freitag spreche ich auf der von meinem Fraktionskollegen Dr. Sergey Lagodinsky veranstalteten Global Tech Conference auf dem Panel „Für und wider Freiheit: digital“.
- Am 13. und 14. November veranstalte ich die 2. Taiwankonferenz mit vielen hochrangigen Speakern und vier Experten-Panels in Berlin. Weitere Informationen und ein Anmeldeformular finden sich hier.
- Am Mittwoch und Donnerstag habe ich am Global Gateway Forum in Brüssel teilgenommen. Hier einige meiner Tweets:
- Comissioner Urpilainen
- Azali Assoumani
- Dammu Ravi
- Spanish Prime Minister
- Xavier Bettel
- António Costa
- Antonio Tajani