In Schweden trafen sich am 30. und 31. Mai VertreterInnen der USA und der EU zum vierten transatlantischen Trade & Technology Council (Rat für Handel und Technologie). Zum ersten TTC 2021 hatte ich bereits eine Bütis Woche verfasst. Dieses Mal habe ich mich mit meinem Bundestagkollegen Tobias Bacherele zusammengetan und einen Gastbeitrag für Tagesspiegel Background verfasst. Dieser Text ist im Folgenden zu finden.
TTC – hört auf zu kuscheln!
Heute und morgen tagt schwedischen Luleå zum vierten Mal der transatlantische Rat für Handel und Technologie. Die Themen KI-Regulierung und technologische Standards gehören zu Recht auf die Agenda. Das Format zur Digital- und Handelspolitik muss seinen Horizont aber erweitern, meinen die Grünen-Politiker Reinhard Bütikofer und Tobias Bacherle.
von Reinhard Bütikofer MdEP und Tobias Bacherle MdB
veröffentlicht am 30.05.2023
Es war eine wichtige Weichenstellung, dass sich die USA und EU beim vergangenen transatlantischen Rat für Handel und Technologie (Trade & Technology Council, TTC) auf die Einführung einer gemeinsamen KI-Roadmap geeinigt hatten. Diese Verabredung fand statt, noch bevor mit ChatGPT KI-basierte Anwendungen, die Inhalte genieren können, in die öffentliche Debatte katapultiert wurden. Seither gewinnt neben dem Wettbewerb, welches Unternehmen wohl das beste Sprachmodell und damit die Grundlage für den besten Chatbot auf den Markt bringen wird, die Frage an Dringlichkeit: Wie können wir die Chancen von KI so nutzen und fördern, dass die Risiken sinnvoll und zielgerichtet eingehegt bleiben?
KI gemeinsam einzäunen
Die transatlantische Zusammenarbeit muss in der Entwicklung vertrauenswürdiger KI den Menschen in den Mittelpunkt stellen. Künstliche Intelligenz muss durch Menschen steuerbar und kontrollierbar bleiben. Sie darf (und soll!) Gesellschaft und Wirtschaft weiterbringen, aber sie muss dabei die elementaren Grundrechte schützen: KI-gesteuerte Maschinen dürfen nicht über Leben und Tod von Menschen, etwa im Gesundheitsbereich, entscheiden. Menschliche Kontrolle und vor allem Nachvollziehbarkeit sind bei solch kritischen Entscheidungen elementar.
Aber auch Grundrechte und die Privatsphäre im Netz müssen im Zeitalter von KI geschützt bleiben. Dazu gehört eine klare Absage an automatisierte Gesichtserkennung in der Öffentlichkeit. Ebenso wie ein Recht auf Verschlüsselung und grundlegend der Schutz privater Kommunikation im Netz, auch im Post-Quanten-Zeitalter, kurz: hohe Datenschutzstandards, nicht zuletzt als Alleinstellungsmerkmal und Verkaufsargument für transatlantische Produkte.
Wir wollen innovative Entwicklung voranbringen, zugleich müssen dort klare Grenzen gezogen werden, wo der Chancenraum ins Risiko kippt – für Menschenrechte, für kritische Infrastruktur und für nationale Sicherheit. Das kann nur gemeinsam mit den USA gehen, wo nun mal die meisten der Digitalriesen ihren Hauptstandort haben. Ohne transatlantischen Schulterschluss beim Festlegen von Leitplanken für KI, ist die Gefahr nicht zu bannen, dass menschenrechtliche Standards verloren gehen.
Technologische Standards mit Verbündeten festlegen
Zugang zu digitaler Infrastruktur ist Voraussetzung für digitale Teilhabe und muss im 21. Jahrhundert zur Daseinsvorsorge zählen. Digitale Konnektivität ist daher elementarer Bestandteil der internationalen Zusammenarbeit bei Digitalthemen. Doch um die Standardisierungsverfahren, etwa in Fragen der digitalen Infrastruktur, tobt bereits eine heftige Konkurrenz. Längst klopft China mit eigenen Angeboten für digitale Normen und Infrastrukturen an die Türen vieler Staaten.
Im Rahmen der Internationalen Fernmeldeunion ITU versuchte China bereits, eigene Leitideen durchzusetzen, die autoritären Regimes zupasskommen sollten, indem sie etwa Zensur und Überwachung erleichtern. Aber dort, wo dies scheitert, sorgt China auch über die Belt-and-Road-Initiative für exklusive Marktzugänge zugunsten seiner Firmen, die dann an internationalen Gremien vorbei eigene Standards setzen. Kompatibilität, mit der auch europäische und amerikanische Unternehmen arbeiten können, bleibt auf der Strecke. Nur wenn wir ernst machen mit digitalen Partnerschaften, etwa im Rahmen der Global-Gateway-Initiative, können wir hoffen, im Spiel um die Industriestandards der Zukunft die notwendigen Verbündeten zu finden.
EU und USA müssen im globalen Wettbewerb um digitale Standardsetzung echte und attraktive Angebote für andere Staaten schaffen: Angebote, die Mitspracherechte schaffen und die Souveränität der Partner stärken, anstatt sie nach dem Modell Chinas in neue Abhängigkeiten zu drängen. Dass EU und USA im Rahmen des TTC die Zusammenarbeit in Sachen digitaler Infrastruktur und Konnektivität mit weiteren Staaten, etwa Costa Rica und den Philippinen, ausbauen wollen, ist eine gute Nachricht. Jetzt muss das aber auch umgesetzt werden.
Resiliente Lieferketten für kritische Rohstoffe
Beim G7-Gipfel haben sich die Beteiligten auf die Grundlinien einer Risikominderung gegenüber China geeinigt, um mehr ökonomische Sicherheit zu schaffen. Trotzdem singen EU und USA da nicht ganz vom selben Blatt. Die USA wollen den Aufstieg Chinas stoppen oder wenigstens bremsen, während die EU hofft, die Rahmenbedingungen für diesen Aufstieg so ausgestalten zu können, dass er nicht auf Kosten aller anderen Länder erfolgt. Diese Nuancen haben erhebliche praktische Bedeutung. De-risking gegenüber China als systemischem Rivalen bedeutet nicht Totalkonfrontation, darf aber auch nicht zur Beschwichtigungsfloskel werden, hinter der sich der Unwille versteckt, rote Linien zu ziehen und dann auch durchzusetzen.
USA wie EU stehen in der Versuchung, etwa bei der Sicherung resilienter Lieferketten für kritische Rohstoffe, ökonomische Sicherheit mit handfestem Protektionismus zu vermischen. Daraus ergeben sich dann konkrete Konflikte, wie um den Inflation Reduction Act (IRA), sodass wertvolle politische Energie mit transatlantischem Fingerhakeln vergeudet wird. Ohnehin sind wirksame Friendshoring-Strategien ohne mehr aktive Aufmerksamkeit für Partnerschaften mit rohstoffreichen Ländern im Globalen Süden nicht realisierbar. Den transatlantischen Horizont entsprechend zu weiten würde beiden Seiten in diesem Verhältnis nutzen.
Beim TTC nicht kuscheln
Ein transatlantisches Forum wie der TTC ist ein wichtiges, verbindendes Element. Aber es muss mehr als ein Kuschelort der Partnerschaft sein: Es muss Geeintes wie Widersprüchliches ausdiskutieren und einen offenen und transparenten Ort für Diskussion und Lösungsfindung schaffen. Das ist die Stärke von Demokratien. Schöne Überschriften wie „Green transatlantic marketplace“ machen allein nicht satt. Es ist auch nicht gut, wenn Themen ausgespart bleiben oder nur am Rande vorkommen, die strategische Bedeutung haben. Das gilt für die notwendige WTO-Reform, die von den USA lieber behindert als betrieben wird. Das gilt für die illegalen Zölle auf Stahl und Aluminium aus Europa. Es gilt für den Carbon-Border-Adjustment-Mechanismus. Es gilt für den transatlantische Datenschutzschild. Und es gilt für die von den USA weitgehend ignorierte Aufgabe, den Ländern des Indo-Pazifik ein handelspolitisches Angebot zu machen, das für sie interessant ist.
Transatlantische Kooperation ist kein Selbstzweck. Sie muss viel mehr beide Seiten in die Lage versetzen, ihre jeweiligen ebenso wie die gemeinsamen Interessen wirksamer zu verfolgen und dabei eine globale Vision zu entwickeln, die anderen Ländern, insbesondere in Afrika, Lateinamerika und Asien, mehr zu bieten hat als China.
Zur transatlantischen Kooperation gehört übrigens auch, dass die Parlamente systematisch eingebunden werden. Nur das Zusammendenken von technologischer Innovation, die digitale Grundrechte schützt, mit einer Handels- und Industriepolitik, die den ökologisch-sozialen Umbau vorantreibt, kann uns zu nachhaltigen Antworten bringen. Das braucht mehr als nur exekutives Handeln. Es ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe.
Tobias Bacherle ist seit 2021 Mitglied des Deutschen Bundestags für Bündnis 90/Die Grünen. Dort ist er als Obmann im Ausschuss für Digitales, Mitglied im Auswärtigen Ausschuss und stellvertretendes Mitglied im EU-Ausschuss unter anderem für internationale Digital- und Technologiepolitik, Datenpolitik, digitale Bürgerrechte und die europäisch-transatlantischen Beziehungen zuständig.
Reinhard Bütikofer ist seit 2009 Mitglied des Europäischen Parlaments für Bündnis 90/Die Grünen. Er ist Koordinator der Greens/EFA-Fraktion im Auswärtigen Ausschuss, Vorsitzender der China-Delegation und stellvertretendes Mitglied im Internationalen Handelsausschuss.
SONST NOCH
In dieser Woche habe ich am 27. Stockholm China Forum des German Marshall Fund (GMF) in Schweden teilgenommen. Ich sprach dabei zum Thema “Tensions in the Taiwan strait”.
Von Freitag bis Sonntag nehme ich am Shangri-La Dialog in Singapur teil. Der Shangri-La Dialog ist neben der Münchner Sicherheitskonferenz und dem indischen Raisina Dialog Forum eine der prominentesten geostrategischen Konferenzen weltweit. Organisiert wird er vom britischen Think Tank “International Institute for Strategic Studies”.
Quelle: Tagesspiegel Background (abgerufen am 31.05.2023): https://background.tagesspiegel.de/digitalisierung/ttc-hoert-auf-zu-kuscheln
Titelbild: © Europäische Union, 2023