Herr Xi Jinping dreht auf | BÜTIS WOCHE #246

Nach 3 Tagen Besuch in Moskau ist der chinesische Militär-, Partei- und Staatschef Xi Jinping nach Peking zurückgereist. Diese Moskau-Reise sollte offenkundig nach dem Willen der chinesischen Führung einen mächtigen Markstein setzen. Xi Jinpings Botschaft war in einem Satz zusammengefasst: „Ich bin die neue Weltordnung“.

Die allermeisten BeobachterInnen hatten im Vorfeld des Besuches ihre Überlegungen auf die Frage konzentriert, was bei diesem Zusammentreffen des chinesischen Diktators mit dem russischen in Hinblick auf das Verhältnis dieser beiden Länder und auf Russlands Aggressionskrieg gegen die Ukraine wohl herauskommen werde. Tatsächlich waren das aber für Xi Jinping Nebenthemen. Er hat es in Moskau ausdrücklich so gesagt: Es gehe ihm bei dieser Visite ganz zentral um die Schaffung einer „modernen globalen Ordnung“. An dieser Aussage ist gleich dreierlei wichtig. 

Erstens: Chinas außenpolitische Zielstellungen haben den Rahmen seiner Weltregion hinter sich gelassen. China geht es um die globale Ordnung. Das hatte sich schon angedeutet, als Xi und Putin am 4. Februar letzten Jahres wenige Wochen vor der neuerlichen Invasion Russlands in der Ukraine gemeinsam ein weitschweifiges Strategiepapier unterschrieben, in dem China zum ersten Mal den Anspruch erhob, zusammen mit Russland die europäische Sicherheitsordnung mitzugestalten. In demselben Papier signalisierten die beiden autoritären Alleinherrscher auch ihren Anspruch, die Prinzipien und Begriffe zu prägen, nach denen die internationalen Beziehungen in Zukunft zu gestalten sein würden. Umfänglich ließen sie sich darüber aus, dass sie im eigentlichen Sinne für Demokratie stünden. Ich glaube nicht, dass dabei die Erwartung war, irgendjemand werde diese Begriffsverwirrung als neuerliche Aufklärung begrüßen. Vielmehr sollte der Anspruch formuliert werden, dass Moskau und Peking gemeinsam darüber entscheiden, welche Begriffe, welche Sprache, welche Interpretationen von Prinzipien zu gelten haben. Wer die Sprache diktiert, will die Realität diktieren. 

Zweitens: Die Weltordnung, um die es gehen soll, muss gegen die USA, die Europäer und alle ihre Verbündeten durchgesetzt werden. Das machte Xi klar, indem er es sich nicht nehmen ließ, die Verantwortung für Russlands Ukraine-Aggression bei den USA abzuladen. Auch das ist nicht ganz neu, diese Propaganda hört man aus Peking schon seit Beginn des russischen Aggressionskrieges. Und es entspricht auch dem chinesischen Versuch, die Allianz der BRICS-Staaten und die Shanghai Cooperation Organisation (SCO) von „nicht westlichen“ in „anti-westliche“ Strukturen zu verwandeln. 

Drittens: Xi Jinping erhob den Anspruch, China und die sich um China gruppierenden Länder stünden für die Zukunft, während die USA und Europa nur eine immer schwächere Vergangenheit repräsentierten. Das kommt in der Rede von der „Modernen Globalen Ordnung“ zum Ausdruck. Auch diese Botschaft wurde in Peking seit einiger Zeit vorbereitet. Wenn von dort etwa verkündet wurde, Xi wolle eine „Community of common destiny“ anstreben, während gleichzeitig den USA und den Europäern unterstellt wurde, sie wollten mit ihrer angeblichen Kalte-Kriegs-Mentalität zurück in die Vergangenheit, dann war das Xis Variante der alten kommunistischen Parole: „Mit uns marschiert die neue Zeit“.

Xis Botschaften an sein heimisches Publikum und an die Welt waren klarer und herrischer formuliert als in der Vergangenheit. Der Mann gibt sich, als könne er, seitdem er mehr Macht akkumuliert hat, als Mao je besaß, vor Kraft kaum laufen. Und er inszenierte seinen Moskauer Auftritt mit Hilfe des zum chinesischen Vasallen absteigenden Wladimir Putin in imperialer Weise mit imperialem Glanz und mit imperialer Geste. Putin, der so gerne Imperator werden möchte, wurde dazu benutzt, dem wahren Anführer des neuen weltweiten Lagers autoritärer Herrscher den Reichsgründungsprunk zur Verfügung zu stellen. Kann es sein, dass Xi wirklich glaubt, dass er schon fast gesiegt habe und dass der Wind der Geschichte prall in Chinas Segeln stehe? Daran zweifle ich. Zu sehr hat er auf der anderen Seite beim 20. Parteitag letztes Jahr und bei vielen anderen Gelegenheiten auf die Risiken hingewiesen, denen China begegnen müsse. Viel zu sehr verfolgt ihn die panische Angst vor einer Farben-Revolution. Xis Auftrumpfen klingt tatsächlich etwas hohl, wenn man seine vielen strategischen Fehler nicht vergisst und beim Gesundbeten der vielen Schwächen Chinas nicht mitmacht. Doch er scheint sich vor dem Hintergrund so vieler Fehler, Missstände und Selbstzweifel bei uns und in den USA zu sagen: Frechheit siegt. Vielleicht kann ja derjenige, der ein unbändiges Selbstvertrauen projiziert, tatsächlich siegen, ohne gekämpft haben zu müssen, wie Sun Tzu es gelehrt hatte. Am besten hat diesen Aspekt von Xi Jinpings großem Staatstheater wahrscheinlich der japanische Ministerpräsident Kishida verstanden, der es sich nicht nehmen ließ, in Kiew aufzuschlagen, während Xi an der Moskwa war. Kishidas Besuch war eine ganz besondere politische Demonstration. Er sagte damit: Wir haben auch ein starkes Selbstbewusstsein, wir wissen, wofür wir eintreten und wir wissen, wo unsere Freunde sind. Das hat Kishida gut gemacht. Das war sozusagen Zeitenwende auf Japanisch. 

Wer nach diesen 3 Tagen von Moskau – wie manche Politiker in Berlin, Brüssel und anderen europäischen Hauptstädten – immer noch dem Wahn folgt, man könne vielleicht durch Gefälligkeiten gegenüber Peking China daran hindern, zu stark an Russlands Seite zu rutschen – Charles Michel ist so einer – der hat gar nichts begriffen. Die Gravitation funktioniert längst andersherum. Russland rutscht Stück für Stück in die Subalternität gegenüber China. Dass Putin nicht auf Augenhöhe mit Xi spielt, kam indirekt etwa darin zum Ausdruck, dass der Chinese es dem Russen überließ, darüber zu klagen, die Ukraine und der Westen wollten leider keinen Frieden. Natürlich ist diese Wortwahl eine Unverschämtheit. Was Putin da als Frieden bezeichnet, ist das Gegenteil, nämlich die Unterwerfung unter seine imperialistischen Kriegsziele, aber indem er sich damit herumschlagen muss, dass er diese verdammt noch mal nicht durchsetzten kann, ist der liebe Freund Xi schon auf einer ganz anderen Ebene unterwegs und entwirft eine neue, ihm gefällige Weltordnung. Xi profitiert von der Fortdauer des Krieges. Putin nicht. Xi kann hoffen, die USA ein Stück weit vom indopazifischen Raum abzulenken. Er kann hoffen, dass die Europäer mit den Problemen, die sich aus Russlands Überfall ergeben haben, heftig und streitig beschäftigt sind. Er kann auch hoffen, dass Russland mehr und mehr gar keine Alternative hat, als zur billigen Tankstelle für China zu werden. Nur ganz verlieren sollte Putin aus Xis Sicht natürlich nicht. In der Hinsicht gab es nach meiner Interpretation ein sehr zynisches Signal aus Peking. Nach halbwegs glaubhaften Berichten hat Peking eine geringe Zahl von Waffen von sehr begrenztem militärischen Wert an Russland geliefert. Geliefert wurde nicht genug, dass die USA, die eigentlich Waffenlieferungen zur roten Linie erklärt hatten, jetzt dramatisierend aufschreien könnten und eine Chance hätten, auch die Zögerlichen unter den Europäern wie zum Beispiel Kanzler Scholz für strafende Sanktionen gegen China zu gewinnen. Militärisch unbedeutend, aber politisch sehr bedeutend ist dieser kleine Schritt. Übersetzt heißt er: Ihr sagt uns nicht, wo die rote Linie ist. Die Zeit ist vorbei, in der wir uns nach euren Kriterien richteten. Dabei glaube ich nicht, dass Xi jetzt dabei wäre, in großem Umfang Waffen zu liefern, das wäre wiederum für China mit zu hohen politischen Risiken verbunden. Aber man sieht an diesem kleinen Spiel die Wiederkehr einer in der Vergangenheit für China sehr erfolgreichen Salami-Taktik (Beispiel Südchinesisches Meer).

Xi und Putin haben sich große Mühe gegeben, ihre neoimperiale Gemeinsamkeit mit wunderschönen Worten zu bemänteln. Natürlich wollen sie die nationale Souveränität aller Länder schützen. Außer, wenn sie es gerade nicht tun, wie im Fall der Ukraine. Natürlich verteidigen sie die UNO-Charta, außer, wenn sie sie brechen. Wie bei Chinas Unterstützung für Russlands Ukraine-Überfall. Natürlich sind sie für Multilateralismus und internationales Recht, außer wenn sie demonstrierten, dass ein Haftbefehl des Internationalen Strafgerichtshofs gegen den Kriegsverbrecher Putin ein bedeutungsloser Fetzen Papier sei, der keine Erwähnung verdient.

Wir können uns gegenüber dieser chinesisch-russischen Herausforderung nicht in der Scheinsicherheit wiegen, es sei ja allen sowieso klar, dass wir recht haben und nicht die. Für die meisten Menschen bei uns ist das klar. Von so Typen wie Sahra Wagenknecht einmal abgesehen. Und auf der Ebene einer Abstimmung in der Generalversammlung der Vereinten Nationen haben wir jetzt mehrfach deutliche Mehrheiten gegen Russland und China zusammenbekommen. Aber täuschen wir uns nicht, die Auseinandersetzung über die künftige Weltordnung geht gerade erst richtig los, und als die Verteidiger der bisherigen Ordnung mit all ihren Altlasten werden wir diese Auseinandersetzung nicht bestehen. Wir müssen der Welt eine bessere Zukunft anzubieten haben als die autoritären Machthaber. Das wird anstrengend.

SONST NOCH

In der letzten Woche habe ich der NZZ ein Interview zu den chinesischen Wirtschaftsverflechtungen als Mittel imperialer Politik gegeben.

Am Wochenende fand der Europakongress von BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN in Berlin statt. Gemeinsam mit meiner Fraktionskollegin Anna Cavazzini und Moderatorin Melanie Müller habe ich auf einem Podium zum Thema: „Die Zukunft der europäisch-chinesischen Beziehungen“ gesprochen. 

Am Montag habe ich dem Deutschlandfunk ein Interview zum Thema: „Partnerschaft Russland-China“ gegeben.

Am Freitag, dem 31. März, nehme ich an den Coburger Kamingesprächen teil.

Ilham Tohtis Tocher, Jewher Ilham, stellt am 29. März um 13:30 Uhr in in der European Parliament’s Library ihr Buch: „Because I Have to – the Path to Survival, the Uyghur Struggle“ vor, zu dieser Veranstaltung lade ich herzlich ein.

In dieser Woche reise ich auf Einladung der dortigen Regierung nach Japan für Gespräche mit VertreterInnen der Politik, der Wirtschaft und der Wissenschaft. Hauptthemen: Europäisch-japanische Beziehungen, Fukushima, China, Konnektivität.

Titelbild: Kremlin.ru, CC BY 4.0 https://creativecommons.org/licenses/by/4.0, via Wikimedia Commons