Zum Ergebnis der deutsch-amerikanischen Verhandlungen über Nord Stream 2 erklärt Reinhard Bütikofer, außenpolitischer Koordinator der Grüne/EFA-Fraktion im Europaparlament:
„Die zwischen Bundeskanzlerin Merkel und Präsident Biden getroffene Verabredung ist nur in einem Punkt eindeutig: Biden sieht es nicht als Aufgabe der USA an, Berlin daran zu hindern, sich bei Nord Stream 2 über die Interessen der Ukraine, Polens und anderer europäischer Partner hinweg zu setzen. Präsident Biden war es offenbar vordringlich wichtig, diesen Streit vom Tisch zu bekommen, auch wenn die Verabredung den geostrategischen Kern des Problems großzügig ignoriert. Von Berlin gibt es recht bescheidene finanzielle Ankündigungen und ansonsten eine Reihe völlig vager politischer Versprechungen. Es ist verständlich, dass Präsident Putin sehr zufrieden war, als ihm Frau Merkel über dieses Ergebnis berichtete, und dieses auch stolz in die Welt hinausposaunte.
Doch der deutsch-amerikanische Deal bedeutet keineswegs das endgültige grüne Licht für Nord Stream 2. Er hat nur zur Konsequenz, dass die US-Regierung nicht mit weiteren Sanktionen dagegen halten will. Nord Stream 2 wird deswegen nun eben zu Ende gebaut. Doch bevor die Pipeline in Betrieb genommen werden kann, muss das Betreiberkonsortium zunächst darlegen, dass es europäisches Energierecht einhält. Der Konflikt kehrt damit dahin zurück, wo er ohnehin primär spielt: Es ist ein Konflikt zwischen Deutschland-zuerst-Politik der Bundesregierung, von der geostrategisch Moskau profitiert, und einer europäischen Perspektive, wie sie im Europäischen Parlament, im Rat und in der Kommission mehrheitlich vertreten wird. Die Regierung Biden, die Berlin offenbar nicht traut, hat in die Verabredung hineinschreiben lassen, die Bundesregierung werde sich an Geist und Buchstaben des EU-Energierechts halten. Dass eine solche Selbstverständlichkeit überhaupt betont werden muss, ist schon bemerkenswert. Zugleich identifiziert dieser Hinweis die nächste Phase im Konflikt um Nord Stream 2. Der deutsche Regulierer wird entscheiden müssen, ob Gazprom sich an das EU-Energierecht hält. Dafür wird die neue Bundesregierung die politische Verantwortung haben. Zugleich aber entscheidet die deutsche Seite nicht autonom, sondern unter Aufsicht der Brüsseler Kommission. Darauf wird das Europäische Parlament dringen, dass diese Aufsicht nicht vernachlässigt wird.
Biden wird von der Bundesrepublik für sein Zugeständnis bei Nord Stream 2 Gegenleistungen erwarten. Das wird noch interessant. Gegenüber etlichen europäischen Partnern aber, insbesondere Polen, den baltischen Staaten und Ukraine, hat die Regierung Merkel mit ihrem Vorgehen viel politisches Kapital ruiniert. Niemand sollte sich einbilden, dass der Preis dafür nicht bezahlt werden muss, nur weil die USA die Interessen dieser Länder in dem vorliegenden Fall zu opfern bereit sind, um den Streit zu beenden.“