Am 14. Juli, gerade noch rechtzeitig vor dem Ausbruch der allgemeinen Sommerpause, präsentierte die Europäische Kommission das umfangreichste und ehrgeizigste Klimaschutzprogramm, das bis jetzt irgendwo von exekutiver Seite vorgeschlagen worden ist. Das Programm ist auf Streit angelegt. Ungewöhnlich viel Zores, der dazu noch in die Öffentlichkeit getragen wurde, gab es bereits innerhalb der Europäischen Kommission. Dabei vermischte sich Kritik am überzentralisierten autoritären Führungsstil von Kommissionspräsidentin von der Leyen mit Opposition gegen die Substanz des Vorhabens oder jedenfalls einzelner seiner Teile. Es ist absehbar, dass die Behandlung im Europäischen Parlament sehr kontrovers ausfallen wird, und niemand, der halbwegs realistisch ist, kann heute darauf wetten, dass große Teile dieses Maßnahmenpakets die erforderliche Unterstützung in Ratsgremien der EU auf jeden Fall bekommen werden. Dabei ist sonnenklar: Selbst wenn das Paket 1:1 realisiert würde, würde es die EU nicht auf den erforderlichen 1,5-Grad-Pfad bringen.
Den 1,5-Grad-Pfad zu erreichen, das haben wir Bündnisgrüne uns in unserem Bundestagswahlprogramm ausdrücklich vorgenommen. Dass wir damit einen allgemeinen Sturm der Zustimmung entfacht hätten, ist meine Erfahrung nicht. Ja, gerade wegen dieser Ambition unterstützen uns viel mehr Menschen als früher, werden Mitglied bei uns, nehmen sich vor, uns zu wählen. Viele von denen, die bereit sind, über die Fehler, die wir selbst bisher im Wahlkampf gemacht haben, hinwegzusehen, tun das vor allem deswegen, weil sie in der Klimapolitik so sehr auf uns setzen. Doch wo neue Politik zum Zug kommen müsste, wächst der Widerstand auch. Den gibt es in zweierlei Varianten: einmal als rabiaten Antiökologismus, der, je nach Geschmack, national, sozial- oder wirtschaftspolitisch verkleidet wird; zum anderen als fein verästelte Zögerlichkeit, die jedem energischen Reformvorschlag eine Taktik entgegensetzt, die dem Tod durch 1000 Schnitte ähnelt – Ablehnung durch die Verbreitung von 1000 kleinen Zweifeln, die auszuräumen systematisch verweigert wird. Der Kanzlerkandidat der CDU/CSU Laschet repräsentiert eine populistische Mischung zwischen beidem. Wie soll man annehmen, ein Politiker, der partout den Kohleausstieg erst im Jahr 2038 vollziehen will, der ein Tempolimit immer noch für unlogisch hält, der sogar angesichts der Flutkatastrophe in seinem eigenen Bundesland wörtlich erklärt, man könne nicht, „weil jetzt so ein Tag ist“, die Politik ändern, so ein Politiker werde gegen den schon angekündigten Widerstand bestimmter Mitgliedsländer der EU und wichtiger Teile der eigenen Europaparlamentsfraktion von der Leyens Plan unterstützen? Dabei ist dieser Plan, ich wiederhole das, gemessen an den Pariser Klimazielen, ungenügend. Ich bin fest überzeugt, dass von der Leyens European Green Deal, der mit dem Programm Fit for 55 umgesetzt werden soll, nur eine Chance hat, wenn wir Grüne nach der Bundestagswahl ein starkes Wort in der nächsten Bundesregierung mitzureden haben werden. Natürlich dreht sich der Bundestagswahlkampf nicht nur ums Klima. Viele andere Fragen spielen dabei auch eine Rolle. Aber ohne ein massives klimapolitisches Signal als Resultat der Wahl wird die entsprechende Politik in der Europäischen Union Stückwerk bleiben müssen.
Ich glaube, dass die Flutkatastrophe, bei der in Deutschland so entsetzlich viele menschliche Opfer zu beklagen sind und so irrsinnig große Verwüstung angerichtet wurde, im Bewusstsein unseres Landes einen ähnlichen Wendepunkt markieren kann, wie das 2011 die Reaktorkatastrophe im fernen Japan tat. Damals verstand Angela Merkel, die Bundeskanzlerin, die kurz zuvor noch den Atomausstieg abgesagt hatte, die Zeichen der Zeit und steuerte um. Dass sie dieses Mal die Kraft noch einmal hat, glaube ich nicht, auch wenn man sich das wünschen kann. Immerhin sprach sie nach ihrem Besuch in dem böse durch die unbändige Naturgewalt zerstörten Ort Schuld davon, man müsse nun eine Politik machen, die die Natur und den Klimawandel „mehr in Betracht zieht, als wir das in den letzten Jahren gemacht haben“. Mir scheint aber, dass es diesmal noch mehr von uns Grünen abhängt als 2011, ob die Wende gelingt. Von den GroKo-Parteien enttäuschte Wählerinnen und Wähler setzen in dieser Frage verstärkt auf uns. Das zeigen die Umfragen. Und wir haben auch mehr investiert, um praktikable Wege aufzuzeigen, wie die Wende gelingen kann, ohne dass soziale und wirtschaftliche Ängste überhandnehmen und ohne dass legitime soziale und wirtschaftliche Interessen unter die Räder geraten. Dafür steht z. B. unser Konzept des Energiegeldes zum Ausgleich für einen steigenden Co2-Preis. Dafür steht auch etwa unser Konzept der Contracts for Difference, mit dem wir Unternehmen, die notwendige Innovationsinvestitionen nicht scheuen, unter die Arme greifen wollen.
Das große Ausmaß der Solidarität, die die Menschen in unserem Land als Reaktion auf die brutale Zerstörung durch die Wasserfluten zeigen, spricht dafür, dass da eine emotionale Erschütterung stattgefunden hat, die sich in Handlungsbereitschaft umsetzen lässt. Ich glaube nicht, dass wir jetzt vor allem betonen müssen, dass Veränderung notwendig ist. Dass Veränderung notwendig ist, liegt auf der Hand. Wir müssen betonen, dass es Wege gibt, diese Veränderung verantwortlich, gemeinschaftlich und mit der richtigen Mischung von Entschlossenheit, Ambition und praktischem Augenmaß umzusetzen. Wir müssen demonstrieren, dass wir dazu beitragen können, dass die Solidarität mit den Opfern überführt wird in die Solidarität der Vorsorge, in eine solidarische Zukunftsgestaltung. Wir sind gewiss nicht die, die schon für alles eine Lösung bereithalten. Aber wir wollen die sein, die der Zusammenarbeit der Lösungswilligen Priorität geben.
Vor zehn Jahren haben wir Angela Merkels Atomausstieg unterstützt. Obwohl er schlecht gemacht war, wie man spätestens heute weiß. Obwohl sie ja diejenige war, die unseren früher und klüger bedachten Atomausstieg sabotiert hatte. Obwohl ihre Motive nicht nur inhaltlich, sondern sehr stark machtpolitisch-taktisch waren. Es war aber richtig, das zu tun. Heute müssen wir wieder die Hand ausstrecken an alle, die jetzt guten Willens sind, müssen nicht vor allem nach hinten schauen und immer wieder aufzählen, wer was wann falsch gemacht hat, sondern nach vorne blicken und einfordern, dass nun endlich Nägel mit Köpfen gemacht werden. So können wir dazu beitragen, dass unser Land fit wird für die Zukunft.
Sonst noch
- Mein Interview mit dem SWR zum Klimaschutzprogramm Fit for 55 könnt Ihr Euch hier anhören.
- Für den 13.7. hatte ich gemeinsam mit meinen Kolleginnen Anna Cavazzini und Heidi Hautala die Online-Veranstaltung „Ending Modern Day Slavery: Towards an EU Import Ban on forced labour“ organisiert. Hier die Aufzeichnung.
- Merkels Abschiedsbesuch in Washington – meine Pressemitteilung.
- Am 15.7. habe ich an der Online-Diskussion „A Transatlantic Response to the China Challenge“ des Progressive Policy Institute teilgenommen. Die Aufzeichnung findet Ihr hier.
- Am 30.7. besuche ich gemeinsam mit Heiko Knopf, Fraktionsvorsitzender der Jenaer Stadtratsfraktion Bündnis 90/Die Grünen, verschiedene Unternehmen in Jena.
- Nach dieser Bütis Woche ist bis Ende August Sommerpause. Ich wünsche einen schönen, gesunden, unfallfreien, erholsamen Sommer.
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