#164 Was bedeutet COVID-19 für die EU-Außenpolitik? | BÜTIS WOCHE

In der Auseinandersetzung der Europäischen Union und ihrer Mitgliedsländer mit der Corona-Krise sind wir in ein Stadium eingetreten, in dem die außenpolitische und außenwirtschaftliche Dimension zunehmend ins Blickfeld geraten. Ganz zu Beginn, als Chinas Führung in Wuhan und Hubei nach anfänglichem verhängnisvollem Zögern dann doch drastische Maßnahmen ergriffen hatte, glaubten viele bei uns nicht, dass diese Gesundheitskrise uns ebenso hart oder gar noch schlimmer in Europa treffen könnte.

Als die Krise bei uns eskalierte, reagierten die meisten politischen Entscheidungsträger rein national. Deutschland und Frankreich z. B. – ich muss dieses schamvolle Faktum doch noch einmal nennen – verhängten ein Exportverbot für medizinische Schutzgüter gegen die eigenen EU-Nachbarn, insbesondere Italien. Seither hat sich der Horizont schrittweise geweitet. Um beim Beispiel der medizinischen Schutzmittel zu bleiben: Die Exportverbote innerhalb der EU wurden aufgehoben; stattdessen gab es einen Genehmigungsvorbehalt für Exporte jenseits der EU-Grenzen; dann wurden die EFTA-Staaten von diesem ausgenommen; schließlich wurden auch die sechs Länder des Westbalkans ausgenommen, nicht zuletzt auf Druck aus dem Europäischen Parlament, an dem wir stark beteiligt waren. Doch was ist mit den Ländern des Globalen Südens, die dringend auf solche Schutzgüterimporte angewiesen sind, weil sie selbst diese nicht produzieren können?

Man muss wohl generell konstatieren, dass wir noch nicht auf der Höhe der tatsächlichen globalen Wirkungen dieser Pandemie operieren. Dabei drängt sich eine internationale Perspektive immer mehr auf. Schließlich ist es schwer vorstellbar, dass einzelne Länder für sich alleine erfolgreich aus dieser Krise hervorgehen könnten. Wenn für China z. B. prognostiziert wird, das Land könne dieses Jahr vielleicht auf ein Wachstum von 1,2 Prozent kommen, ist das nicht nur für die chinesische Innenpolitik eine besorgniserregende Aussicht, sondern auch für alle diejenigen weltweit, die starke wirtschaftliche Beziehungen zu China haben. Das sind fast alle, wobei Deutschland in dieser Hinsicht ganz vorne steht: Wir exportieren nach China mehr als Frankreich, Großbritannien, Spanien, Italien und die Niederlande zusammengenommen. Wenn aus den USA Befürchtungen kolportiert werden, der Wirtschaftsabschwung könne dort bei über 20 Prozent liegen, ist das auch offenkundig nicht nur ein US-amerikanisches Problem. Und dann die aktuell aufkeimende Diskussion darüber, dass in besonders armen Ländern Afrikas möglicherweise die Lebensmittelversorgung für größere Teile der Bevölkerung zusammenbrechen könnte. Was wären die Wirkungen?

Viel wird auch darüber spekuliert, wie sich internationale Kräfteverhältnisse verschieben. Weil China für den Rest des Jahres und für 2021 deutlich stärkere Wirtschaftszahlen haben könnte als die EU, vermuten manche Experten, die wirtschaftliche Abhängigkeit gegenüber China werde deutlich zunehmen. Mit allen darin eingeschlossenen politischen Konsequenzen. Andere dagegen sagen voraus, es werde systematische Bemühungen geben, die Abhängigkeit gegenüber China zu reduzieren. Japan und Australien haben schon angefangen, eine solche Politik zu verfolgen.

Und schließlich: Wie wirkt sich die Coronavirus-Krise auf unsere Fähigkeit aus, die anderen Krisen, die ja alle nicht verschwunden sind, international anzugehen? Wie sichert sich die Europäische Union in allen diesen Fragen eigene Handlungsspielräume, statt nur zwischen den Supermächten China und USA und deren Hegemonialkampf in die Zwickmühle zu geraten?

Was die Antwort der Europäischen Kommission auf solche Fragen sein soll, bleibt noch eine Weile im Unklaren. Der Recovery Plan der Kommission, in dem das gegebenenfalls hätte angesprochen werden sollen, ist nämlich ungeachtet der intensiven Werbemaßnahmen, die Kommissionspräsidentin von der Leyen in den sozialen Medien dafür schon betrieb, auf den 06. Mai verschoben worden. Dabei hatte von der Leyen mit dem #GreenRecovery schon viel versprochen, was neugierig machte. Wahrscheinlich hatte sie aber wieder vergessen, in verschiedenen europäischen Hauptstädten um Erlaubnis für ihre Vorhaben zu bitten, wie ihr das in ihrem Corona-Krisenmanagement schon mehrfach unterlaufen war. Und da Kanzlerin Merkel beim letzten EU-Gipfel pointiert darauf bestanden hatte, in Zukunft gefragt werden zu wollen, kann nun die Kommissionspräsidentin erst mal noch nicht liefern. (Ich glaube, sie steht wirklich in sehr großer Gefahr, zur Ankündigungsweltmeisterin zu werden, der die verheißungvollen Überschriften in ihrer Selbstpromotion vielfach wichtiger sind als die reale Politik.)

In unserer Europaparlamentsfraktion, der Greens/EFA-Fraktion, haben wir im größeren Zusammenhang eines eigenen Positionspapiers zum #GreenRecovery auch einige Absätze zur internationalen Dimension formuliert, die ich im Folgenden hier noch einmal zugänglich machen will. Ich tue das mit der Absicht, in dieser Bütis Woche einmal sozusagen den Spieß umzudrehen und alle Leserinnen und Leser nach ihrer Meinung zu fragen. Was von dem, was wir da kurz aufgeschrieben haben, kommt Euch/Ihnen als besonders wichtig vor? Was fehlt? Was von dem, was wir ansprechen, ist abseitig? Ich möchte gerne einmal um Feedback bitten. Ich verspreche: Wer schreibt, kriegt Antwort. Und in der nächsten Bütis Woche berichte ich dann über die Resonanz. Ich freue mich schon auf Eure/Ihre Beiträge. Und hier ist der Text, um den es geht:

Fostering solidarity, protecting human rights and strengthening multilateralism

This is a global crisis and as such, it needs a global response. All measures against this pandemic will fail if they are not pursued at international level. To this effect, the EU needs to live up to its responsibility and play a leading role in the context of growing instability, competing global value systems and a shifting international disorder – trends that were accentuated but not created by the Covid-19 crisis. This is all the more pressing with the US and China having shown in this crisis a lack of will and of ability to drive efforts towards a shared, effective, just and sustainable answer to global challenges. The EU must not shy away from the threefold task of fostering international solidarity, of protecting human rights and of being the international actor which pushes forward multilateral solutions, thus standing up for the free and democratic values on which our Union has been founded and, thereby, protect our shared values. It is time that Europe takes the lead in establishing a status for the global commons and require a new Global and European Pact for the environment.

To protect and promote freedom, solidarity and human rights, the EU must treat freedom of the media, freedom of speech, protection of human rights defenders and whistle-blowers, and digital rights as particularly high priorities. These core freedoms need to be respected at home and promoted abroad, and the EU must actively oppose the global autocratic wave. The EU should demand full transparency with regard to the COVID-19 crisis management in all countries. It should insist on an inclusive approach, bringing on board all governments and including all social stakeholders, in particular women, LGBTI* and minorities in the common efforts of the global community. The EU should support the establishment of a legally binding multilateral redress mechanism for the victims of human rights violations based on the UNGP. Moreover, it should emphasize multilateral partnerships for a Green New Deal oriented transition strategy in overcoming the present crisis. The EU must stand tall in the universal fight against racism and xenophobia. Moreover, millions of people in some of the world’s poorest countries are facing devastating health, social and economic crises as a result of the COVID-19 pandemic. The EU should take strong leadership to support humanitarian aid, medical support and debt relief, including complete cancellation of debt obligations held by all impoverished countries, without which many countries that need international help could not avoid terrible national catastrophes.

It is important for the EU to strictly monitor and screen foreign direct investment in order to avoid that strategic assets and in particular sensitive infrastructure come under the control of foreign governments, some of which are actively promoting autocratic policies. The EU should also urgently implement the international procurement instrument and insist on human rights proofing of European companies’ supply chains. The EU must act on the risk of feeding into militarisation strategies of third countries through technology transfer where these countries pursue strong civilian-military fusion policies. The EU must push-back against illegal subsidies that distort international competition.
The COVID-19 outbreak has also demonstrated the lack of cooperation at the international level and certain multilateral fora, such as the WHO, are at stake. The EU should remain firm and demand that, while globalisation must be rethought, multilateralism and cooperation remain the ways to deal with global problems at the international level. In parallel, EU trade policy must be completely reviewed.
The overarching goal of a Green trade policy is to ensure that trade achieves the maximum human well-being and resilience, for the minimum use of energy and resources. The distance between production and consumption should be as short as reasonably possible, ensuring an appropriate level of access to the products needed for a satisfying life. The future trade system must combine a reshoring of strategic productions like food, medical products and pharmaceutical, a strong focus on circular economy, and resilient and sustainable supply chains.

 


 

Sonst noch
  • Dem Europäische Auswärtigen Dienst wird vorgeworfen, einen Bericht zu Desinformationen bezüglich der Corona-Pandemie auf Druck von China entschärft zu haben. Ich denke, die Kommunikation der EU über den Report war nicht sachgerecht, aber der Report selbst ist in Ordnung. Ich habe dazu ein Interview mit der italienischen Nachrichtenwebsite formiche.net geführt und wurde in vielen Medien zitiert. Hier ein Artikel aus dem Tagesspiegel und hier (ab 12:06) ein Interview mit der Deutschen Welle.
  • Am 09.04. habe ich gemeinsam mit meinem Kollegen Rasmus Andresen das Webinar „US elections and the Corona crisis – what impact for the world economy and future relations?“ veranstaltet. Eine Aufzeichnung des Webinars findet Ihr hier.
  • Gemeinsam mit meiner Kollegin Jutta Paulus habe ich am 20. bzw. 23.04. zwei Webinare veranstaltet: „Containment Strategies against Covid-19: Experiences from the Republic of Korea“ mit Botschafter Yoon Soongu und „Containment Strategies against Covid-19: Experiences from Taiwan“ mit Botschafter Harry Tseng. Die Aufzeichnung des ersten Webinars könnt Ihr Euch hier und des zweiten Webinars hier anschauen.
  • Am 02.05. findet ein digitaler Länderrat von Bündnis 90/Die Grünen zur Corona-Krise statt. Hier findet Ihr weitere Informationen.
  • Weitere Webinare plane ich derzeit zur Situation in Hongkong, zu Neuseelands Erfahrungen in der Corona-Krise und zur Verwendung uigurischer Zwangsarbeit in den chinesischen Zulieferketten internationaler Konzerne. Hinweise finden sich über meine Website, meinen Facebook-Account und meine Twitter-Postings.