Morgen findet in Brüssel das 21. Gipfeltreffen zwischen der Europäischen Union und China statt. Wie ist die aktuelle Stimmung in den EU-Institutionen?
Der Gipfel wird spannend, weil ein neuer Wind zu wehen anfängt in den EU-China-Beziehungen. In einer Mitteilung, welche die Europäische Kommission und der Auswärtige Dienst der EU zum Gipfel publiziert haben, wird China zum ersten Mal als „systemic rival“ der EU bezeichnet. Zudem signalisiert die Mitteilung, dass die EU langsam die Geduld verliert mit chinesischen Hinhaltetaktiken bei schwierigen Themen. Statt Kompromisse zu erarbeiten, hat es sich die chinesische Führung zur Übung gemacht, Dinge wiederholt zu versprechen und nie zu liefern. So sind etliche Zugeständnisse, die beim letztjährigen Gipfel auf dem Papier erreicht worden waren, bis heute nicht umgesetzt worden. Ein Beispiel: Bis zum vergangenen Oktober sollte eine Vereinbarung zwischen der EU und China über den Schutz geographischer Herkunftsbezeichnungen – also Parmaschinken oder Schwarzwälder Kirschtorte oder Champagner – abgeschlossen sein. China hat das aber mit der zweifelhaften Begründung verweigert, man wolle es sich mit den USA nicht verderben, die solche EU-Herkunftsbezeichnungen nicht anerkannt haben. Tatsächlich haben aber Kanada und Mexiko diesbezügliche Verabredungen mit der EU geschlossen, ohne dafür mit Washington Probleme zu ernten. In Brüssel sagen derzeit alle Institutionen, also Kommission, Auswärtiger Dienst, Rat und Parlament gemeinsam, man sei nicht bereit zu einem bloßen Wohlfühlgipfel, wie ihn die chinesische Seite anstrebe, sondern man verlange handfeste Ergebnisse. Diese Position kann sich auf eine ausführliche China-Debatte im Europäischen Rat stützen, wo angeblich zuletzt nach dem Tiananmen Zwischenfall 1989 so ernsthaft über die China-Beziehungen diskutiert worden war. Dabei sei wesentlich mehr Gemeinsamkeit unter den Mitgliedsländern deutlich geworden, als öffentlich erkennbar ist.
Welche Themen werden im Mittelpunkt stehen?
Thematisch stehen Fragen der Wirtschafts- und Handelspolitik im Zentrum, so also etwa das seit vielen, vielen Jahren ohne Ergebnis behandelte Investitionsabkommen. Auch Fragen der multilateralen Ordnung stehen auf der Tagesordnung, die EU will zum Beispiel Druck machen für ernsthafte Bemühungen für eine WTO-Reform. Ohne eine solche droht dem Handelsmultilateralismus die Luft auszugehen. Die chinesische Seite steht aber trotz Lippenbekenntnissen zu einer WTO-Reform mit beiden Beinen auf der Bremse. Und drittens wird es um Menschenrechte gehen und um regionale Fragen der internationalen Politik, wie die Korea-Frage, die Lage im südchinesischen Meer oder auch die Lage in der Ukraine.
Was sind Ihre Erwartungen an den Gipfel?
Meine Erwartung an den Gipfel ist eine dreifache: Die EU darf sich nicht scheuen, Realitäten klar anzusprechen. Dass China in Xinjiang den schlimmsten Polizeistaat errichtet hat, den es heute auf der Welt gibt, darf nicht unerwähnt bleiben. Zweitens sollte die europäische Seite sehr strikt sein bei der Klarstellung, dass die EU eine Ein-Europa-Politik von China erwartet und Verstöße dagegen nicht hinnimmt. Drittens geht es in der Tat um praktische Ergebnisse. Wenn solche nicht zu erzielen sind, ist es besser, man spart sich ein lyrisches Abschlusscommuniqué und demonstriert dabei die Entschlossenheit, Gerede nicht länger mit Fortschritt zu verwechseln.
Die italienische Regierung unterzeichnete Ende März eine Absichtserklärung im Rahmen der gigantischen Infrastrukturpläne Chinas zum Ausbau von Luft-, Straßen-, Schienen- und Seewegen, auch „One Belt, One Road“ (OBOR) oder „Belt and Road Initiative“ (BRI) genannt. International hat das Bedenken ausgelöst. Wie bewerten Sie diesen Schritt?
Ich bedaure den italienischen Schritt, aber die Kritik daran sollte auch im Rahmen bleiben. Substantiell haben die Italiener der chinesischen Seite keine besonderen Zugeständnisse gemacht. Negativ fällt ins Gewicht, dass Italien es durch diesen Alleingang schwerer gemacht hat, gegenüber China mit einer Stimme zu sprechen. Eine solche Kritik müssen sich aber, wenn man genau hinschaut, auch andere Länder gefallen lassen, insbesondere die großen, Frankreich und Deutschland, die in der Vergangenheit keineswegs immer eine europäische Chinapolitik befördert haben, sondern vor allem eigensüchtig auf vermeintlich nationale Interessen achteten. Wenn man da mit dem Finger auf Italien zeigt, weisen drei Finger auf den Kritiker zurück.
In offiziellen Erklärungen wiederholte die chinesische Regierung, sie wolle durch OBOR die Kooperation zwischen den teilnehmenden Ländern fördern, die Infrastruktur ausbauen sowie den Handel, Investitionen und den Austausch von Technologie und Know-how unterstützen. Was sind Ihrer Meinung nach die Absichten von OBOR?
Insgesamt ist die „One Belt, One Road“-Initiative vieles zugleich. Sie ist ein Rahmen für den Export chinesischer industrieller Überkapazitäten. Sie ist ein Instrument, um regionale Nachbarn enger an China zu binden. Sie ist die geschickte Nutzung von Infrastrukturentwicklungsbedarfen für eine strategisch denkende Politik zur Vermehrung des chinesischen Einflusses. Sie ist im Einzelnen, in dem sie zur Überschuldung der angeblich beglückten Länder führt, ein Ausdruck von Neokolonialismus. Sie ist geostrategisch betrachtet der Versuch, den Rest der Welt unter chinesischer Führung gegen die USA zusammenzufassen; Nordamerika ist der einzige Kontinent, den die OBOR-Initiative nicht umfasst. Die maritime Seite hat auch eine militärische Dimension zur Machtprojektion vor allem im Indischen Ozean. Und OBOR stellt den Versuch dar, den Handelsmultilateralismus zu ersetzen durch eine neue Ordnung, die Peking-zentriert ist. Für Handelsstreitigkeiten entlang der sogenannten „Neuen Seidenstraßenroute“ errichtet China gerade einseitig und ausschließlich unter chinesischem Recht sogenannte Gerichtshöfe. Das Versprechen, von OBOR würden alle profitieren, ist bis heute offenkundig nicht so. Etwa 90 % aller Verträge für Entwicklungsprojekte, die in diesem Zusammenhang abgeschlossen worden, gingen an chinesische Unternehmen. Und unter dem Nachhaltigkeitsgesichtspunkt ist interessant, dass OBOR sprichwörtlich Hunderte von neuen Kohlekraftwerken finanzieren soll. Während man in China das eine oder andere Kohlekraftwerk schließt, weil die Luft zum Schneiden ist, exportiert man die dreckige Technologie in abhängige Länder. Zum kommenden OBOR-Gipfel wollte die chinesische Seite gerne eine Studie publizieren, die demonstriert hätte, wie grandios OBOR mit den Sustainable Development Goals zusammenpasse. Als die ersten Ergebnisse der angefragten europäischen Wissenschaftler nicht so ausfielen wie gewünscht war, wurde die Studie einfach abgesagt.
Italien ist nicht das einzige Land, das eine Absichtserklärung mit China unterzeichnet hat. Zahlreiche mittel- und osteuropäischen Länder werden im Rahmen des 16+1-Formats von China umworben, unter ihnen 11 EU-Mitgliedsstaaten. Wie schätzen Sie das CEE-China-Format ein?
Das ist offenkundig ein Spalterformat. Wenn ein chinesischer Diplomat ganz besonders keck ist, dann sagt er auch schon mal, man müsse doch den Ungarn helfen, ihre Souveränität gegenüber Brüssel zu verteidigen. Und bei einer Diskussionsrunde in Brüssel beantwortete ein chinesischer Professor von der Beida meine Kritik an 16+1 mit der wütenden Replik, diese Kritik zeige doch nur die deutsche Herrschsucht in der EU. Allerdings muss man auch sehen, dass wir leider, gerade auch wir Deutschen, China zu solchem Spaltungsversuch geradezu eingeladen haben, weil wir eben keine gemeinsame europäische Chinapolitik betrieben haben, von der auch unsere Nachbarn profitieren würden, sondern damit zufrieden waren, wenn nur für unsere Unternehmen der Weizen blüht. Dann kommt China, wedelt mit 10 Milliarden Investitionsversprechen und mit der Gelegenheit, dass auch die Chefs kleinerer Mitgliedsländer einen chinesischen Staats- oder Parteiführer treffen können. Letzthin allerdings ist bei manchen 16+1 Ländern wie Polen viel Frust entstanden, weil China auch in dem Rahmen nicht tatsächlich liefert. Ich ärgere seit längerer Zeit manchen chinesischen Gesprächspartner mit der Forderung nach einer chinesischen Ein-Europa-Politik. Durchsetzen können wir diese Forderung aber nur, wenn wir selbst gemeinsam als Europäer handeln.
Sollten sich EU-Mitgliedsstaaten weiterhin an von China dominierten Institutionen wie der AIIB (Asian Infrastructure Investment Bank) beteiligen oder sich zurückziehen?
Zahlreiche EU-Mitgliedsstaaten beteiligen sich bereits. Sie haben zusammen ein Stimmgewicht von etwa 22% und damit für sich alleine keine Veto-Möglichkeit, die China allerdings mit seinem Stimmenanteil hat. Ich halte diese Beteiligung für richtig, aber man muss sie dann auch richtig machen. Nachdem die AIIB bei ihrer Gründung als multilaterale Finanzinstitution verkauft worden war, wird sie jetzt durch ihren chinesischen Präsidenten Stück für Stück „sinisiert“. Sie hat geringere Transparenzstandards und weniger verlässliche Standards zum Schutz von Umwelt sowie Arbeitnehmern als andere multilaterale Entwicklungsbanken. Sie redet von Accountability, macht die aber zu einem solchen bürokratischen Hürdenlauf, dass sie nicht funktioniert. Und der Präsident der AIIB redet inzwischen offen darüber, diese Bank sei ein Instrument der chinesischen OBOR-Politik. Die Bank hat drei europäische Vize-Präsidenten, die aber dort nicht ihre Länder vertreten und auch nicht die EU, sondern nur ihre eigenen Karriereinteressen. Zwischen den beteiligten europäischen Ländern findet bisher keinerlei Koordinierung statt. Die EU selbst, die gerne auch beigetreten wäre, wurde daran von Mitgliedsländern gehindert. Alle diese Fragen kann man wunderbar im Detail studieren in der neuen, von der Heinrich-Böll-Stiftung publizierten Studie zur AIIB von Korinna Horta. Öffentlichkeit und Politik müssen der AIIB wieder mehr Aufmerksamkeit schenken, sonst wird sie irgendwann tatsächlich nur ein chinesisches Machtinstrument in multilateraler Verkleidung sein.
‘The EU is slowly losing patience with Chinese delaying tactics’
The next EU-China summit will take place on 9 April. The head of our EU office, Eva van de Rakt, spoke to MEP Reinhard Bütikofer (Greens/EFA) about his expectations for the forthcoming talks and negotiations.
The 21st summit between the European Union and China is to take place in Brussels tomorrow. How would you describe the mood in the corridors of the EU institutions at the moment?
The summit will be very interesting, because a new wind is starting to blow in EU-China relations. In a communication published by the European Commission and the European External Action Service ahead of the meeting, China was described for the first time as a ‘systemic rival’ of the EU. The communication goes on to suggest that the EU is starting to lose patience with Chinese delaying tactics on difficult subjects. Instead of forging compromises, the Chinese leadership has made a practice of repeated promises that are never delivered upon. This has led to a situation in which quite a few of the concessions agreed on paper at last year’s summit have not yet been implemented. For example, an agreement was supposed to have been concluded between the EU and China by last October on the protection of geographical indications – things like Parma ham, black forest gateau and champagne. However, China has reneged on this, on the questionable grounds that it doesn’t want to get on the wrong side of the USA, which has not recognised these EU designations of origin. But in fact, Canada and Mexico have concluded talks with the EU on the same subject without running into any problems with Washington. In Brussels, all institutions, i.e. the Commission, the External Action Service, the Council and the Parliament, are united in saying that they have no interest in a summit of warm words, as the Chinese side is hoping for, but are insisting on tangible results. This position may be based on an extensive debate on China at the European Council, which was said to have been the most serious discussion on relations with China since the Tiananmen Square incident in 1989. During these talks, considerably greater unity between the member states came to light than has been publicly expressed.
What will the main topics of discussion be?
Economic and trade policy matters, such as the investment agreement that has been under negotiation for many, many years to no effect, will be at the centre of discussions. Questions concerning the multilateral order will also be on the agenda. For instance, the EU is hoping to press for serious efforts towards WTO reform, without which the multilateral trade system risks grinding to a halt. But despite paying lip service to WTO reform, the Chinese side has had both feet firmly on the brakes. And thirdly, human rights and regional questions of international politics, such as Korea, the situation in the South China Sea and Ukraine will also be important themes.
What are your expectations of the summit?
I have three expectations of the summit. Firstly, the EU cannot afford to shy away from addressing reality. The fact that in Xinjiang, China has created the worst police state that currently exists anywhere in the world must not go unmentioned. Secondly, the European side must be absolutely clear that the EU expects a “one Europe” policy from China and will not accept any infringements of this. Thirdly, practical results. If there are not going to be any, it is better to forego the lyrical final press release and demonstrate determination to stop mistaking talk for progress.
At the end of March, the Italian government signed off a memorandum of understanding in the framework of China’s gigantic infrastructure plans to develop air, road, rail and sea routes, also known as “One Belt, One Road” (OBOR). This has triggered concerns at the international level. How do you see the decision?
I regret the Italian decision, but criticism should not overshoot. In substance, Italians have not made any big concessions to China. The bad news is that by going it alone in this way, Italy has made it harder to speak to China with one voice. But if you look closely, other countries have also laid themselves open to the same criticism, particularly the large countries, France and Germany, which have by no means always supported a European China policy in the past, but have selfishly focused mainly on supposedly national interests. If we are to point the finger at Italy here, there are three fingers pointing straight back at the critics.
In official statements, the Chinese government has repeatedly stressed its hopes of promoting cooperation between the participating countries, developing infrastructure and supporting trade, investment and the exchange of technology and know-how through the OBOR. What are your thoughts on the intentions of OBOR?
Overall, the “One Belt, One Road” initiative is a lot of things at the same time. It is a framework for the export of Chinese surplus industrial capacities. It is an instrument to bind regional neighbours more closely to China. It is the skilful exploitation of infrastructure development requirements in support of the strategic policy to increase Chinese influence. At a more specific level, it is an expression of neocolonialism, as it will lead to the excessive indebtedness of the supposed beneficiary countries. From a geostrategic point of view, it is an attempt to bring the rest of the world together against the USA under Chinese leadership; North America is the only continent not included in the OBOR initiative. Its maritime side also has a military dimension in terms of power projection, primarily in the Indian Ocean. And OBOR represents an attempt to replace the multilateral trade system with a new Beijing-centric order. China is currently in the process of unilaterally creating courts to deal with trade disputes along the so-called ‘New Silk Route’ exclusively under Chinese law. The promise that everybody will benefit from OBOR has so far quite obviously not been kept. Around 90% of all contracts for development projects that have been concluded under the initiative have been awarded to Chinese companies. And from a sustainability point of view, it is interesting to note that OBOR is likely to literally finance hundreds of new coal-fired power stations. Whilst coal-fired power stations are being closed down in China because you could cut the air with a knife, this filthy technology is being exported to dependent countries. Ahead of the forthcoming OBOR summit, the Chinese side was keen to publish a study that was to prove, so they claimed, how brilliantly OBOR fits in with the Sustainable Development Goals. When the first findings of the European scientists they contracted were not quite as they had hoped, the study was simply dropped.
Italy is not the only country that has signed a memorandum of understanding with China. Many Central and Eastern European states have been courted by China in the framework of the 16+1 format, among which 11 EU member states. What is your opinion of the CEE-China format?
It is quite clearly a divide-and-conquer strategy. If a Chinese diplomat is particularly bold, they might say things like, we have to help Hungary protect their sovereignty against Brussels. And during a round of discussions in Brussels, a Chinese professor from Beijing University answered my criticism of 16+1 with a furious response that my criticism was simply a proof of German ambitions to dominate the EU. But you also have to admit that unfortunately, we, including us Germans, have only ourselves to blame for China’s efforts to divide us, as we have not pursued a common European China policy that would also have benefited our neighbours, but wanted to reserve the harvest for our own companies. Then along comes China, brandishing 10 billion euros’ worth of investment promises and the opportunity for the heads of smaller member states to meet a Chinese head of state or party. In recent times, though, some of the 16+1 countries, such as Poland, have grown extremely frustrated because China is not actually delivering within that framework either. I have been annoying certain Chinese interlocutors for a long time with demands for a Chinese “one Europe” policy. However, we will only be able to push through this demand if we ourselves work together as Europeans.
Should EU member states continue to participate in institutions that are dominated by China, such as the AIIB (Asian Infrastructure Investment Bank), or should they withdraw?
Many EU member states are already participating. They have around 22% of the vote between them and therefore do not, on their own, have a veto, as China does with its share of the vote. I feel that this participation is quite right, but it also needs to be done right. Whereas the AIIB was sold as a multilateral financial institution when it was set up, it has now been sinisised bit by bit by its Chinese President. It has no good standards of transparency and fewer reliable standards for the protection of the environment or workers than other multilateral development banks. It talks about accountability, but has made it such a bureaucratic obstacle race that it doesn’t function. And in the meantime, the President of the AIIB openly refers to the bank as an instrument of Chinese OBOR policy. The bank has three European Vice Presidents, but they represent neither their countries nor the EU; they are simply there in the interests of their own careers. So far, there has been no coordination whatsoever between the participating European countries. The EU itself, which was also keen to join, was blocked from doing so by member states. All of these subjects can be seen in great detail in the new study about the AIIB by Korinna Horta, published by the Heinrich Böll Foundation. The general public and policy-makers must start to pay more attention to the AIIB again, or else at some point it will become nothing more than a Chinese instrument of power dressed up as multilateralism.