Die Widersprüche zwischen Deutschland und Europa auf der einen und China auf der anderen Seite nehmen zu. Das ist schon seit längerem kein Geheimnis mehr. Ich habe darüber mehrfach berichtet.
Drei Erlebnisse aus dieser Woche werfen bezeichnende Schlaglichter auf die aktuelle Entwicklung.
Am Montag nahm ich in Hamburg am sogenannten Hamburg Summit teil. Das ist eine China-Veranstaltung besonderer Art, die derzeit noch alle zwei Jahre stattfindet, gesponsert vom Who’s Who des deutschen China-Geschäfts, von der Handelskammer mit 250.000 Euro bezuschusst. Wie viel der Hamburger Senat investiert und wie viel die chinesische Seite, weiß ich nicht. Überwiegend war es eine Werbeveranstaltung, bei der sich die allermeisten Podiumsteilnehmer erfolgreich darum bemühten, keine kritischen Fragen aufzuwerfen. Dementsprechend war der Erkenntnisgewinn nicht besonders üppig.
Bei einer Podiumsdiskussion ging es um die sogenannte chinesische Seidenstraßeninitiative. Ein Vertreter des European External Action Service, der an der Diskussion teilnahm, legte zu Recht Wert darauf, auch über die europäische Konnektivitätsstrategie zu reden, die vor kurzem als Antwort auf Chinas Initiative von Kommission und Rat vorgelegt worden war und die von den Wirtschaftsvertretern am Podium keiner Erwähnung wert befunden wurde. Der Moderator gab sich durchaus Mühe, der Debatte Profil zu geben. Er fragte etwa, ob es bei Chinas geostrategischer Initiative auch Schattenseiten gebe. Über solche Schattenseiten wird ja inzwischen ausführlich diskutiert. Eine dieser Schattenseiten liegt darin, dass manche Länder beispielsweise sich von China haben zu Infrastrukturinvestitionen überreden lassen, die sich nicht rechnen, sodass diese Länder jetzt in eine Überschuldung gegenüber China geraten. Die Wirtschaftsvertreter am Podium, überwiegend Deutsche, vermittelten den Eindruck, als hätten sie jedenfalls von solchen Schattenseiten noch nie gehört. Ich fragte dann aus dem Publikum, ob vielleicht die Errichtung eines Polizeistaats in Chinas westlicher Provinz Xinjiang eine solche Schattenseite sei. Schließlich ist bekannt geworden, dass rund eine Million Uiguren dort in Umerziehungslagern festgehalten werden, von denen China zynisch behauptet, es seien schlicht Weiterbildungszentren. Der Moderator fragte alle am Podium, wer darauf antworten wolle. Zunächst schüttelten alle Wirtschaftsvertreter so heftig den Kopf, dass der chinesische Teil des Publikums in ein schallendes, hämisches Gelächter ausbrach. Es war ein Moment zum maximalen Fremdschämen. Das Gelächter klingt mir noch in den Ohren. Für mich sagte es: Seht sie euch an, die gierigen Feiglinge! Gierige Feiglinge ist übrigens an der Stelle ein klassisches Zitat. Der frühere australische Premierminister Abbott sagte nämlich einmal auf die Frage, was Australiens China-Politik motiviere: „Gier und Furcht.“ Australien hat inzwischen größere Anstrengungen unternommen, um seine China-Politik neu aufzusetzen. Davon können in Europa viele etwas lernen. Immerhin gab der EEAS-Vertreter Wiegand dann noch eine gute Antwort.
Das zweite Schlaglicht stammt von einer China-Konferenz, die, organisiert von Friends of Europe, in Brüssel stattfand, auch diese Woche. Ich nahm nur an einem Abendessen teil, bei dem ein berühmter chinesischer Wirtschaftsprofessor, der früher zum Teil erfolgreich für ökonomische Reformen gewirkt hatte, der aber heute keinen relevanten Einfluss mehr besitzt, den Europäern zum soundsovielten Mal die Reformen in Aussicht stellte, von denen wir gerne hören möchten, die aber unter der Ägide von Xi Jinping nicht stattfinden werden. Am Folgetag demonstrierte dann allerdings der chinesische Botschafter in Brüssel Realpolitik. Er machte das unter anderem mit einer eleganten Bemerkung. Unter Bezug auf die gerade getroffene europäische Verabredung zur europaweiten Zusammenarbeit bei der Überprüfung sensibler Direktinvestitionen aus Drittländern bemerkte er, er hoffe, diese Investment Screening-Praktiken würden WTO-kompatibel sein. Tatsächlich ist der Gedanke, sie wären es möglicherweise nicht, völlig aus der Luft gegriffen. Kein Fachmann sieht da ein Problem. Die Äußerung des Botschafters macht in anderer Weise „Sinn“. Sie lässt nämlich erkennen, wie China beabsichtigt, sein Versprechen, man wolle sich gemeinsam mit Europa um WTO-Reformen bemühen, um Schlupflöcher für unfaire Handelspraktiken etwa durch exorbitante chinesische Subventionen zu schließen, umzusetzen gedenkt. Chinas Führung will offenbar ein Gegengeschäft machen. Über WTO-Reformen kann man dann reden, wenn Europa bereit ist, seine Verteidigungsinstrumente gegen unfaire chinesische Handelspraktiken zur Disposition zu stellen. Das ist natürlich ein ganz exquisites Angebot!
Das dritte Schlaglicht handelt von 5G, der nächsten Revolution in der Kommunikationstechnologie. Der chinesische Telekomanbieter Huawei erhofft sich beim 5G-Ausbau in Europa ein großes Geschäft. Das erhoffen amerikanische und europäische Unternehmen sich natürlich auch. Doch geht es beim 5G-Ausbau nicht nur um Geschäft und potentere Telekommunikation, sondern auch um Cybersicherheit. In den USA, in Australien, in Japan und in Indien gibt es seit längerem Bedenken im Hinblick auf Huawei, weil die Firma nach dem chinesischen Geheimdienstgesetz verpflichtet ist, dem dortigen Geheimdienst auf Verlangen alle verlangten Daten zur Verfügung zu stellen. Wenn das kein Sicherheitsrisiko ist, weiß ich nicht, was eines ist. In Deutschland hat es eine breitere öffentliche Debatte um diese Fragen bisher nicht gegeben. Im Bundestag gab es gerade mal zwei kleine Anfragen, eine von Katharina Dröge und eine von der FDP. Doch nun kocht die Debatte hoch. Die USA haben offenkundig Deutschland geheime Informationen zur Verfügung gestellt. Die deutschen Dienste sehen die Angelegenheit sehr kritisch. Eine Handhabe, um Cybersicherheit zu gewährleisten, hat die Große Koalition bisher nicht entdeckt. Dabei könnte sie durchaus von Australien lernen. Nun machen die USA öffentlichen Druck und „warnen“. Die Deutsche Telekom allerdings hat sich schon fest mit Huawei eingelassen. Aktuell kann niemand sagen, wie die Sache weitergeht.
Es ließen sich viele andere Beispiele für wachsende Widersprüche finden. Ich bin mir ziemlich sicher, dass diese sich nicht alle mit einer einzigen Generalantwort erschlagen lassen, aber eine eingehende öffentliche Debatte über die Perspektive und das Verhältnis zu China wird immer dringender. Das wäre kein schlechtes Thema für den Europawahlkampf.
Sonst noch
- Vom 22. bis 25. November trafen sich ungefähr 500 Grüne aus 35 europäischen Ländern in Berlin, um sich auf die Europawahl 2019 vorzubereiten und ihre Spitzenkandidat*innen zu wählen. Es war ein spannendes Wochenende. Hier ein paar Einblicke. Außerdem gibt es eine Presseerklärung von Monica Frassoni und mir.
- Brexit hin oder her, jetzt wissen wir, dass Europa weiter vorangehen kann. Meine Presseerklärung zum Brexit-Gipfel am 25. November.
- „Europa muss seine Kräfte bündeln“ – mein Interview mit der Deutschen Welle zur chinesischen Konkurrenz für europäische Unternehmen.
- Wie werden die EU und ihre Mitgliedstaaten mit Killerrobotern umgehen? Auf wen hört die EU-Außenbeauftragte Federica Mogherini zu diesem Thema? Warum will sie der Zivilgesellschaft kein Ohr schenken? Bisher ist sie den MEPs eine Antwort schuldig.
- In dieser Woche fand das Miniplenum in Brüssel statt, Thema war unter anderem die Mazedonien-Resolution des Europäischen Parlaments samt starker Kritik an Ungarn wegen des Falls Nikola Gruevski. Die Resolution wurde mit 470:116:46 angenommen. Mein Redebeitrag sowie meine Presseerklärung.