Dass der amerikanische Präsident Donald Trump einen Handelskrieg gegen China starten würde, damit war nach seinem Wahlkampf zu rechnen gewesen. Dabei würde Trump die Zuschreibung sicherlich nicht akzeptieren, dass er einen Handelskrieg anfängt. Er ist, genauso wie ein großer Teil seines Teams, der Meinung, dass China eigentlich unter Ausnutzung von Schwächen der WTO-Ordnung seit langem einen faktischen Handelskrieg gegen die USA führe, viel zu lange damit durchgekommen sei und jetzt endlich von ihm damit konfrontiert werden müsse, dass die USA nicht weiter bereit sind, einen unfairen Status quo zu akzeptieren. Doch jenseits aller möglichen semantischen Übungen bleibt festzuhalten, dass China und die USA in eine neue Phase der Konfrontation eingetreten sind. Gegenüber Deutschland argumentiert Trump übrigens ganz ähnlich wie gegenüber China.
Viele Beobachter auf beiden Seiten sind der Auffassung, dass der Handelskrieg nur die Oberfläche dieser Konfrontation darstellt. Amerikanische Experten sagen, es gehe in Wirklichkeit um einen Technologiekrieg, also eine sehr rabiate und strategisch fundamentale Auseinandersetzung darüber, wer in den nächsten Jahrzehnten bei modernen Technologien von künstlicher Intelligenz über High-Performance Computing über Additive Manufacturing bis zu E-Mobilität und erneuerbaren Energien die Dominanz gewinnen wird. Die chinesische Seite hat mit ihrem Programm „Made in China 2025“ ihre Ambition offengelegt, diese Vorherrschaft für das eigene Land zu erringen. Manche Stimmen in China sagen nun, das sei vielleicht etwas zu vorlaut gewesen, und infolgedessen wird das Programm „Made in China 2025“ in chinesischen Medien seit einiger Zeit systematisch heruntergespielt bzw. ganz weggeschwiegen, ohne dass sich an der Ausrichtung der Beijinger Politik irgendetwas geändert hätte. Die USA und der mit ihnen mehr oder weniger verbündete Westen wollten einfach nur Chinas Vorankommen aufhalten, heißt es aus Peking. In diesem Zusammenhang wird dann das chinesische Lippenbekenntnis zu einer internationalen Kooperation zum gegenseitigen Vorteil ergänzt und teilweise überlagert durch Appelle der kommunistischen Führung, man müsse das „Vertrauen auf die eigene Kraft“ wieder stärker betonen. Unter dieser Parole hatte Chinas Führung zu Maos Zeiten versucht, sich gegen internationalen Einfluss, vor allem den aus der Sowjetunion, abzuschotten. Seit 1978, als Deng Xiaoping die Politik von „Reform und Öffnung“ begann, hatte China mit großem Erfolg auf eine Strategie der internationalen Kooperation gesetzt. Wenn jetzt maoistische Parolen zurückkehren, spricht das für eine Wetterwende. Entsprechend sagen ernst zu nehmende Stimmen aus Peking, wie z. B. der frühere Premierminister Zhu Rongji, der Konflikt mit den USA werde lange andauern.
Der chinesisch-amerikanische Handelskonflikt ist aber offenkundig nicht der einzige. Europa und Japan formulieren gegenüber China ganz ähnliche Kritiken wie die USA, nur dass sie nicht auf dieselbe Konfrontationsmelodie setzen. Die USA wiederum gehen auch mit der EU, mit Japan und mit anderen Verbündeten in einen handelspolitischen Clinch, dessen Eskalation seinen Höhepunkt noch nicht gesehen hat. Die EU versucht, sich mit unterschiedlichen Gegenmaßnahmen gegen die USA sich ihrer Haut zu wehren. Sie schwankt dabei zwischen Beschwichtigung und Vergeltung, zwischen der Einladung zur Eindämmung des Konfliktes und Schritten zu seiner Eskalation. Aus meiner Sicht ist die EU in eine sehr ungemütliche Lage geraten. Sie hat das Hegemonialpotential nicht und auch nicht die Hegemonialambition, die Washington und Peking jeweils haben. Sie muss, um überhaupt handlungsfähig zu sein, ständig eine Vielzahl interner Widersprüche bändigen und sie wird von beiden Supermächten zunehmend unter Druck gesetzt. Zwar hat Bundesaußenminister Maas interessante Gedanken zu einer möglichen Positionierung der EU formuliert, indem er dafür plädierte, sie solle sich international mit gleichgesinnten Ländern zusammentun. Dabei hatte er z. B. Japan, Australien, Südkorea, Kanada oder Mexiko im Blick, also Länder, die sowohl das Bekenntnis zur Demokratie und zum Multilateralismus als auch das zum Pariser Klimaabkommen teilen. Aber bisher ist nicht zu sehen, dass die EU auf der Ebene der Handelspolitik auch nur ansatzweise eine solche Strategie verfolgen würde. Wenn Frankreich etwa vorschlägt, die EU solle nur noch solche Handelsabkommen eingehen, die ein verbindliches Bekenntnis zum Pariser Klimaabkommen beinhalten, hört man aus Berliner Regierungskreisen dazu keinerlei Zustimmung. Es ist auch symbolisch nicht irrelevant, dass Maas seinen Diskussionsvorstoß zur Allianz der Gleichgesinnten im Alleingang als deutscher Außenminister gemacht hat, nicht etwa koordiniert mit Paris oder anderen europäischen Hauptstädten.
Im Juli hatte Kommissionspräsident Juncker bei einem Besuch im Weißen Haus zur allgemeinen Verblüffung erreicht, dass die Handelsauseinandersetzungen zwischen den USA und Europa vorerst auf Eis gelegt wurden. Doch spätestens seitdem die Zwischenwahlen in den USA vorüber sind, ist der Konflikt lautstark zurück. Ohnehin war hinter den Kulissen immer klar, dass der Aufschub keineswegs eine Lösung war. Die USA haben z. B. gleich nach dem Trump-Juncker-Waffenstillstand angefangen, den Inhalt der in Washington getroffenen Verabredung infrage zu stellen. Zwischen Juncker und Trump war nicht davon die Rede, dass bei einem möglichen US-EU-Handelsabkommen der gesamte Landwirtschaftsbereich einbezogen werden würde. Juncker hatte ein entsprechendes Ansinnen des US-Präsidenten ausdrücklich zurückgewiesen und es fand keinen Eingang in das gemeinsame Kommuniqué. Doch seither bestehen die USA mit großer Härte darauf, dass genau dies geschehen müsse. Damit machen sie an einem besonders schwierigen Punkt großen Druck, bei dem Paris und Berlin recht verschiedener Auffassung sind. Paris versucht sich in Gegendruck, doch Berlin fürchtet, in einem voll ausbrechenden Handelskonflikt besonders harte Einbußen gewärtigen zu müssen. Die Stahl- und Aluminiumsonderzölle, die Trump verhängt hat, bestehen weiter. Die 25-prozentigen Zölle auf Automobilexporte in die USA, mit denen er immer wieder drohte, gelten in deutschen Industriekreisen schon weithin als wahrscheinlich. Eine solche Entwicklung hätte wesentlich härtere Auswirkungen als der Kampf um Aluminum und Stahl. Zudem setzt Trump Europa auch sonst wirtschaftlich unter Druck, durch die Iran-Sanktionen und durch die Androhung von Sanktionen wegen Nord Stream 2.
Nun hat die EU zusammen mit China, Mexiko, Kanada, Russland bei der WTO Klage eingereicht gegen die USA. Die Klage bezieht sich darauf, dass Trumps Administration die Stahl- und Aluminiumzölle damit begründet hat, diese seien notwendig, um die nationale Sicherheit der USA zu verteidigen. Auch die angedrohten Automobilzölle sollen, wie aus Washington immer wieder zu hören war, so begründet werden. Diese Klage von EU und anderen berührt nun einen besonders heiklen Punkt. In der Handelsordnung der WTO spielt die Frage der nationalen Sicherheit eine besonders sensible und weitgehend unklare Rolle. Niemand, schon gar nicht die USA, hat sich je bereit erklärt, die Frage der Gewährleistung nationaler Sicherheit in Verbindung mit Außenhandel internationaler Streitbeilegung zu unterwerfen. Wieweit die Berufung auf nationale Sicherheit möglich sein würde, blieb im Vagen, weil man sich darauf verließ, dass von dieser Berufung nicht exzessiv Gebrauch gemacht würde. Genau diesen exzessiven Gebrauch hat jetzt aber Trumps Administration als Strategie gewählt. Lässt man ihn damit durchkommen, dann gibt es faktisch keine Handelsordnung mehr, weil dann jedes Land jeweils dort, wo es beliebt, Handel unter Berufung auf nationale Sicherheit einschränken kann. Dem wollen EU, China und andere nun Grenzen setzen lassen und ziehen also zur WTO. Doch dieser Schritt impliziert auch Risiken. Entweder die WTO-Klage scheitert. Dann ist die faktische Zerstörung der Handelsordnung festgeschrieben. Oder sie ist erfolgreich, dann könnten die USA, so wurde von dort schon gedroht, die WTO insgesamt verlassen. An die Regeln der WTO halten sich die USA ja derzeit schon überall dort nicht, wo sie ihnen nicht passen. Sie begründen das damit, dass diese Regeln ungeeignet seien, faktischen chinesischen Missbrauch einzuhegen. An der Begründung ist etwas dran, weshalb die EU auch sowohl mit den USA und Japan als auch mit China Gespräche über eine WTO-Reform betreibt. Aber die Ordnung ganz zu zerbrechen, weil sie reformiert werden müsste, wäre natürlich ein böser Rückschlag. Es ist auch ein Schildbürgerstreich, wenn die USA die Bestellung von WTO-Schiedsrichtern verhindern und damit die Durchsetzung von WTO-Recht letztlich unmöglich machen.
Es gibt übrigens noch eine handelspolitische Entwicklung, die uns in Europa Sorgen machen muss. In dem NAFTA-Nachfolgeabkommen USMCA hat Washington eine Bestimmung aufnehmen lassen, die die USA ermächtigt, das Abkommen mit Kanada und Mexiko zu kündigen, sollten Kanada oder Mexiko Handelsvereinbarungen mit einer „Nicht-Marktwirtschaft“ treffen, die den USA nicht passen. Mit „Nicht-Marktwirtschaft“ ist natürlich China gemeint. Der amerikanische Minister Ross hat diese Bestimmung stolz als eine „Giftpille“ bezeichnet und angekündigt, solche Bestimmungen auch in Abkommen mit Japan und der EU platzieren zu wollen. Solches Vorgehen folgt der schlichten Logik: Wer nicht für uns ist und agiert, wie wir wollen, der ist gegen uns. Schwierige Aussichten.
Von China als Treiber von Handelskonflikten ist in der Öffentlichkeit weniger die Rede als von den USA. Das liegt zum Teil daran, dass China Wege gefunden hat, die bestehende Handelsordnung in unfairer Weise aber effektiv zum eigenen Vorteil auszunutzen und insoweit mit dem Status quo nicht unzufrieden ist. Es liegt auch daran, dass Chinas Führung rhetorisch für Freihandel und Multilateralismus eintritt, und zwar ganz unabhängig davon, wie viel das mit der tatsächlichen eigenen Praxis zu tun hat. Und es liegt daran, dass die realen Auswirkungen der chinesischen Außenhandelspolitik unter dem Vorzeichen von „One Belt, One Road“ erst ansatzweise sichtbar werden, auch wo sie auf unfaire Handelspolitik und sogar auf neokolonialistische Praktiken hinauslaufen. Tatsächlich ist China ziemlich offensiv. So versucht es auch, hinter den Kulissen bei den aktuellen Verhandlungen über ein umfassendes Investitionsabkommen mit der EU eigene Vorstellungen festzuschreiben, die massiv in die Ausgestaltung des europäischen Binnenmarktes hineinwirken würden. China hat die bei seinem WTO-Beitritt 2001 bestehende Hoffnung, sich in Richtung Marktwirtschaft zu entwickeln, enttäuscht. Das Gewicht der Staatswirtschaft in China nimmt wieder zu. Unfaire Subventionspraktiken verzerren internationalen Wettbewerb. Und die Philosophie von Deng Xiaoping, die auf Öffnung des Landes setzte, hat einem neuen ökonomischen Nationalismus Platz machen müssen.
Ich sagte schon: Für Europa ist diese Lage ziemlich ungemütlich. „We are in danger of being squeezed between a U.S. rock and a Chinese hard place.“ Kann die EU mehr tun, als in verschiedene Richtungen Abwehrkämpfe zu führen? Kann die EU vielleicht gar aktiv dabei vorangehen, eine Reform der internationalen Handelsordnung zu betreiben, die nicht nur da und dort Schwächen repariert, sondern eine neue Orientierung entwickelt? Diese Diskussion hat noch gar nicht richtig angefangen. Könnte die gemeinsame globale Klimaverantwortung einen Ausgangspunkt bieten für eine neue Handelspolitik oder die 17 Ziele der Sustainable Development Goals? Welche Akteure könnte man zusammenspannen, um reale Bewegung zu erzeugen? Welchen Pragmatismus müsste man an den Tag legen, um zu verhindern, dass Reformüberlegungen nur theoretische Trockenschwimmübungen bleiben?
Es bleibt spannend. Und gefährlich.
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