Als Germanistik-Studentin in Westberlin seit 1962 war 1968 für mich vor allem das Jahr der Vietnamkonferenz, des Attentats auf Rudi Dutschke und der Versuche, Strukturen einer Kritischen Universität zu bilden. Die Ereignisse im Prag verfolgte ich mit Sympathie für die Dubcek-Reformen, aber nur am Rande. Der tiefe Einschnitt war der Einmarsch der sowjetischen Truppen am 21.8. 68. Plötzlich war alles ganz nahe. Mein Freundeskreis und ich gingen zu der Protestveranstaltung in der TU und anschließend zu der Kundgebung vor der tschechoslowakischen Militärmission, zeigten unsere Solidarität mit Prag und die grundsätzliche Ablehnung des Einmarschs. Wir riefen: Amis raus aus Vietnam, Russen raus aus Prag.
Mit diesem Tag begann für mich ein neues Nachdenken über meine politische Position. Ich war nie eine Anhängerin der Sowjetunion oder der DDR, war trotz Kritik am Vietnamkrieg keine Feindin der USA. Aber jetzt musste ich neu lernen, wie tief unsere Öffentlichkeit vom Kalten Krieg geprägt war. Wer den Vietnam-Krieg kritisierte, wurde als “Moskowiter” abgestempelt, wer gegen den Einmarsch in Prag protestierte, wurde in “linken” Kreisen von vielen als USA-hörig abgelehnt. Für eine Kritik an USA und Sowjetunion gleichzeitig gab es keinen Platz.
Auf der Suche nach diesem Platz gingen unsere Kreise verschiedene Wege, Trotzkismus, Anarchismus usw. Ich entschied mich, Maoistin zu werden, “links bleiben, aber gegen die beiden Supermächte USA und SU”. Von heute her gesehen natürlich ein seltsamer “Irrweg”, aus dem ich erst nach 1980 herausfand, als sich eine neue Situation und neue Themen entwickelten. Solidarität mit Solidarnosc, blockübergreifende Zusammenarbeit von demokratischen Bewegungen in West- und Osteuropa, Menschenrechte, Umweltschutz. Dieser neue Weg führte mich zu den Grünen, wo ich Einigen wieder begegnete, die auch am 21.8.68 gegen den Einmarsch in Prag protestiert hatten.
Und endlich lernte ich nach 1980 Menschen kennen wie Raissa Orlowa-Kopelew, die mir von den “7 auf dem Roten Platz” erzählten, die in Moskau gegen den Einmarsch protestierten und sofort ins Gefängnis kamen. Und Andere, die mir von Flugblättern in Ostberlin gegen den Einmarsch erzählten.
Es bleibt die Aufgabe, nachzudenken, ob und wie uns diese Erfahrungen für die Lösung der gegenwärtigen europäischen Aufgaben helfen können.
Elisabeth Weber, Lew Kopelew Forum e.V., Köln