Der 21. August 1968: Ein Schock und ein Wendepunkt
Der Einmarsch sowjetischer Truppen in Prag war für mich ein Schock. Natürlich hatte ich eine solche Aktion der sowjetischen Führung – formal eine Entscheidung des Warschauer Paktes unter Beteiligung von Soldaten auch aus Bulgarien und Ungarn – immer für möglich gehalten, jedoch gleichzeitig immer noch gehofft, dass meine Befürchtungen sich als unwahr erweisen würden.
Noch wenige Tage vorher hatte ich Ellen Weber, die der Führung der illegalen KPD angehörte, nach der Möglichkeit eines Einmarsches gefragt. Sie erläuterte mir lang und breit, warum die Sowjetunion niemals einmarschieren würde. Nach dem Einmarsch erläuterte sie mir mit der gleichen Verve, warum dieser Einmarsch absolut unvermeidbar war.
Der SDS, die Jusos und andere Frankfurter linke Gruppen organisierten noch am 21.8. eine Spontan-Demonstration. Allerdings betonte der SDS dabei gleichzeitig seine Vorbehalte gegenüber Alexander Dubcek. Für den folgenden Tag riefen die Frankfurter SPD und der DGB zu einer Groß-Kundgebung vor dem Frankfurter Römer auf. Ihr Motto: Für einen demokratischen Sozialismus.
Viele undogmatische Linke, darunter auch viele Jusos zogen später mit roten Fahnen Richtung Frankfurt-Niederrad, wo bis 1990 das Haus der sowjetischen Militäradministration (SMAD) lag. Wie ich vom Frankfurter OB erfuhr, drohten, die sowjetischen Vertreter mit dem Einsatz von Schusswaffen, lehnten aber einen Schutz durch die deutsche Polizei ab. Dieser wurde dann im Sinne der Rechte der vier Sieger-Mächte durch amerikanische Soldaten übernommen.
Am 12.9. nahm ich als Gast an der SDS-Bundesdelegierten-Konferenz teil. Dort wurde die kommunistische Fraktion aus dem SDS ausgeschlossen. Eine klare Trennungslinie zwischen dogmatischen und undogmatischen Sozialisten.
Karsten D. Voigt, geboren 1941, war 1969-1972 Vorsitzender der Jusos, 1976-1998 Mitglied des Bundestages, 1999-2010 war er Koordinator der Bundesregierung für deutsch-amerikanische Zusammenarbeit.