21. August 1968
Heulend und fürchterlich fluchend kam unser alter Vorarbeiter an die Anlage und machte mir das Feuer im Kessel aus. „Was ist passiert?“, rief ich ihm zu. „Die Russen haben uns überfallen!“, war seine Antwort. Er war ein lieber Mensch und ehemaliger Professor der Technischen Hochschule in Brünn. Es war um 5 Uhr früh, an einem sonnigen Morgen am 21. August 1968. Die Straße, für die wir das Material in einem Steinbruch im Mittelgebirge Jeseníky (Altvatergebirge) in Nordmähren vorbereiteten, wurde durch die Panzerketten der Sowjetischen und Polnischen Okkupationseinheiten zerstört. Wir konnten nicht weiterarbeiten.
Mein Freund František diente vorher bei den Grenzgruppen. Im Gegensatz zu mir, denn ich musste wegen „politischer Unzuverlässigkeit“ bei einem Strafbataillon den Militärdienst abarbeiten. Bei Übungen der Hundeführer mit dem Ziel, mögliche Flüchtende zu erwischen, lernte František, die Grenzsicherungsanlagen zu überwinden. Er realisierte nämlich, dass wir tatsächlich in einem großen Gefängnis lebten, was ich in der Lehrzeit schon öffentlich behauptet hatte. In Prager Staatssicherheitsakten haben wir das nachgelesen.
Als der nach Moskau verschleppte Generalsekretär Dubček gezwungen war, das Dokument zur Stationierung der Armeen der Warschauer Pakt-Staaten zu unterschreiben, entschieden sich František und ich zu flüchten. Anfang September flohen wir dann in einer Nacht über die Grenze nach Österreich und gingen weiter nach Deutschland ins Exil. Die Hoffnungen auf ein freiheitliches Leben, die während des „Prager Frühlings“ entstanden und im August 1968 so brutal beendet wurden, konnten wir weitgehend verwirklichen.
Milan Horáček, gelernter Elektromonteur und ehemaliger Abgeordnete des Deutschen Bundestages und Europäischen Parlaments.