Prag 68: Das ist für mich Jan Palach und der Wenzelsplatz. Das sind Panzer und fassungslose Menschen. Man sieht auf ihren Gesichtern, dass die Hoffnung auf Freiheit soeben niedergeschlagen wird.
Die militärische Intervention einer Großmacht ist für die Menschen in Prag nichts Neues.
NS-Deutschland erzwang die Zerschlagung des Landes, um es schließlich komplett zu besetzen. Mit der Wehrmacht und SS kam Reinhard Tristan Eugen Heydrich als stellvertretender „Reichsprotektor in Böhmen und Mähren“. Er war der deutsche Herrenmensch, mit ihm kamen Terror und Tod.
Nach der Niederlage Hitlerdeutschlands kam nicht die Freiheit. Stalin holte sich „seinen“ Teil Europas. Wieder kamen Unterdrückung, Geheimdienste, imperiale Herrschaft. Die Kommunistischen Parteien der östlichen Länder Europas waren nur Statthalter.
Wie beschämend, dass es vor allem Walter Ulbricht war, der ein hartes Eingreifen gegen jede freiheitliche Regung in der Tschechoslowakei verlangte. Welch eine Tragödie, dass das sowjetische Imperium nach Ostberlin 1953 und Ungarn 1956 erneut die Panzer gegen die Freiheit rollen ließ.
Wo standen wir? 1968 war auch im Westen ein Jahr des Aufbruchs. Die linken Studenten demonstrierten gegen Springer, gegen den vermeintlichen Polizeistaat und vor allem gegen die USA. Der Protest gegen den Bombenkrieg in Vietnam war berechtigt. Aber: Wo waren wir, wo war die Linke vor der russischen Botschaft in Berlin? Die Solidarität mit den osteuropäischen Reformern hielt sich in Grenzen. Schon damals sprachen viele dem Kreml das Recht zu, sein „realsozialistisches“ Imperium als Puffer gegen den „NATO-Imperialismus“ zu verteidigen.
Mich erinnert Prag 1968 an den getrübten Blick auf die heutige Unabhängigkeits- und Demokratiebewegung in der Ukraine. Sie ist der Prüfstein, an dem sich die Geister wieder scheiden.
Marieluise Beck ist Direktorin Mittel-Osteuropa im Zentrum Liberale Moderne.