#78 Bütis Woche: Nord Stream 2 – Ein passender Kampf für uns Grüne

Zusammen mit Annalena Baerbock, MdB, und Claudia Müller, der Landesvorsitzenden und Spitzenkandidatin der Grünen in Mecklenburg-Vorpommern, widmete ich diese Woche einen ganzen Tag einem Thema: Nord Stream 2.

Es war mehr eine Erkundungsreise als eine Wahlkampftour, was wir zusammen mit drei Journalist*innen unternahmen. Wir sprachen in Stralsund mit zwei Vertretern von Nord Stream 2; mit dem Leiter des Bergamtes, der sich Verstärkung aus der Energieabteilung des zuständigen Ministeriums in Schwerin besorgt hatte; mit Vertretern von Verbänden sowie mit Landwirten, die sich mit Einwendungen und Stellungnahmen an der mündlichen Erörterung zu Nord Stream 2 beteiligt hatten. In Mukran sprachen wir mit Vertretern des malaysischen Unternehmens, das für das Pipelineprojekt insgesamt 90.000 Rohre mit Zement ummanteln soll.

Nord Stream 2 ist bekanntlich ein auf europäischer Ebene hoch umstrittenes Projekt. Erst im Juni dieses Jahres war eine Studie im Auftrag von Agora Energiewende, WWF, Europäischer Klimastiftung und E3G zu dem Ergebnis gekommen, dass für dieses Pipelineprojekt wie für insgesamt 80% der entsprechenden europäischen Pipeline-Infrastrukturprojekte gar kein Bedarf bestehe. Die Europäische Kommission geht zwar von einem höheren künftigen Gasverbrauch in der EU aus, als die Studie der Umweltverbände für nötig hält, aber auch sie hält die Zahlen für weit übertrieben, mit denen Gazprom, das russische Staatsunternehmen, die Rohrleitung rechtfertigen will. Bestritten wird in der öffentlichen Debatte seit Jahren darüber hinaus übrigens auch, dass das Unterfangen Nord Stream 2 mit den Zielen der europäischen Energiepolitik überhaupt vereinbar sei. Zudem betont die Kritik, besonders aus Polen und der Ukraine, es handle sich bei Nord Stream 2 um ein Projekt, das Europas Abhängigkeit von fossiler Energie aus Russland verstärken und die Erpressbarkeit einzelner Länder durch Russland erhöhen solle.

Wir Grüne haben uns der Ablehnung von Nord Stream 2 schon vor längerer Zeit angeschlossen; das gilt auch für die Bundestagsfraktion und die Europafraktion. Doch ist dieses Vorhaben, für das auf Bundesebene vor allem Gerd Schroeder und seine Genossen heftig kämpfen, überhaupt noch zu stoppen? Wohlgemerkt: bisher verfügt Nord Stream 2 über keine der erforderlichen Genehmigungen aus Finnland, Schweden, Dänemark oder Deutschland; die Prozesse laufen noch.

Man konnte bisher schon in der öffentlichen Debatte beobachten, und das mussten wir auch bei unseren Gesprächen zur Kenntnis nehmen, dass die russische Seite den Eindruck zu erwecken versucht, als handele es sich bei den erforderlichen rechtlichen Prüfungen letztlich nur noch um Formalitäten bei denen man sich, angesichts der schon getätigten vier Milliarden Euro teuren Investitionen, getrost auf die normative Kraft des Faktischen verlassen könne. Mit geradezu bräsiger Selbstgefälligkeit wiesen die Gazprom-Vertreter in unseren Gesprächen alle Überlegungen zurück, die sich um mögliche Erfolgsrisiken ihres Vorhabens drehten. Man werde Nord Stream 2 durchziehen, man habe schließlich auch Nord Stream 1 durchgezogen. Bis Anfang 2018 wolle man alle Genehmigungen beisammen haben.

Der zweite Eindruck aus unseren Gesprächen war der einer teils trotzigen, teils resignativen Verzweiflung, mit der sich betroffene Landwirte und Umweltverbände gegen das Megaprojekt stemmen. Zu offensichtlich sind die Hinweise darauf, dass ernsthafte Einwände eben nicht ernstgenommen werden. So mühte sich anscheinend sogar die Bundeswehr an einem Tag der Erörterung im Rahmen des Planfeststellungverfahrens sechs Stunden vergebens darum, Nord Stream 2 ein technisches Zugeständnis abzuringen, das sie für erforderlich hielt um bestimmte militärische Risiken bewerten zu können. Und kann man als Landwirt etwa auf die Neutralität der Landesbehörden in der Interessenabwägung vertrauen, wenn man zuvor von der Landgesellschaft Mecklenburg-Vorpommern mbH, einer Dienstleistungstochter des Landes Mecklenburg-Vorpommern, mit offiziösem Gestus aber faktisch im Auftrag von Gazprom, aufgefordert worden war, Land für Kompensationsmaßnahmen zur Verfügung zu stellen? Wenn zudem der Aufsichtsratsvorsitzende dieser Landgesellschaft, der Landwirtschaftsminister Dr. Till Backhaus, im direkten Gespräch erklärt hatte, man solle sich nicht so haben, schließlich habe Gazprom schon enorm viel Geld investiert?

Zum Dritten schließlich wuchsen nach einem langen Gespräch beim Bergamt meine Zweifel, ob diese Genehmigungsbehörde vom Umfang des Verfahrens und von der Reichweite der impliziten wirtschaftlichen und politischen Konsequenzen nicht völlig überfordert sei. Ganze drei Stellen hat das Land Mecklenburg Vorpommern für das Verfahren geschaffen. Doch es entstand der Eindruck, es gehe der Genehmigungsbehörde vor allem darum, ein Verfahren von strategischer Konsequenz zu behandeln, als sei es eigentlich nichts Besonderes. Wenn man fragte, wie denn der europäische Rechtsrahmen berücksichtig würde, wenn man wissen wollte, in wieweit die Behörde der Frage nachgehen wolle, die in der Erörterung vorgetragen worden war, ob es überhaupt einen Bedarf für dieses Leitungsprojekt gebe, dann war die Reaktion die einer unwilligen Abwehr. Man wolle sich nicht auf ”politische” Themen einlassen. Das passte gut zu der schäbigen Haltung mit der die Bundesregierung seit langem behauptet, es handele sich bei Nord Stream 2 nur um ein wirtschaftliches Projekt, bei dem politische Gesichtspunkte keine Rolle spielten und auch keine Rolle spielen dürften. Mir drängte sich der Eindruck auf, es solle eine Frage von weitreichender europäischer Bedeutung in der Gestalt einer Verwaltungs-Provinzposse abgehandelt werden.

Unser Besuch in Mukran war eindrucksvoll. Die Firma Wasco, einer von weltweit nur ganz wenigen Spezialisten für Betonummantelung von Metallrohren, gab einen interessanten Eindruck in ihre Arbeit. Man konnte spüren, welche technische Faszination durchaus von solchen Vorhaben ausgehen kann. Die Firma Wasco ist im Trockenen, sie hat einen Auftrag für Nord Stream 2 für 700 Millionen Euro, den sie erfüllen wird. Alles andere interessiert sie nicht.

Zurück zu meiner Frage: Ist das Ganze noch zu stoppen? Ich glaube tatsächlich Ja, wir können verhindern, dass Gazprom durchzockt.  Aber das nur, wenn drei Bedingungen zutreffen. Erstens, wenn die Politik aufhört, sich vor ihrer Verantwortung wegzuducken und hinter den Kulissen ein Projekt massiv zu betreiben, in dem es offiziell um rein privatwirtschaftliche Entscheidungen geht; wenn sie offen den politischen Streit austrägt. Zweitens, wenn die Parlamente ihr Gewicht dafür in die Waagschale werfen, dass nicht die Interessen eines Großunternehmens selbstverständlich obsiegen, weil dieses gute Verbindungen hat und schon viel investiert. Drittens, wenn die Gerichte ihre unabhängige Rolle als Schiedsrichter wahrnehmen. Für alle drei Bedingungen können und sollten wir Grüne uns einsetzen. Wir sollten übrigens auch noch viel stärker die Ostseezusammenarbeit mit unseren Freundinnen und Freunden in Finnland, Schweden, Dänemark und den baltischen Ländern anpacken.

Nord Stream 2 ist nicht notwendig. Es ist kein Gewinn für Europa, sondern ein Risiko. Viele wollen es stoppen. Einige Mächtige wollen es haben. Ein passender Kampf für uns Grüne.


Sonst noch
  • Am 01./02.09 bin ich in Sachsen unterwegs. Ein Gespräch mit der Lausitzrunde, Wahlkampfunterstützung von Sebastian Walter, das Europäischen Forum der GRÜNEN Parteien im sächsisch-tschechisch-polnischen Dreiländereck in Görlitz und ein kurzer Besuch bei dem Tag der Sachsen sind geplant.
  • Im Rahmen meiner Arbeit im ITRE-Ausschuss habe ich einen Entwurf für eine Stellungnahme zur Digital Trade Strategy verfasst. Wer sich für das Thema interessiert findet hier Informationen zum Entwurf. Das Dokument wird demnächst online zu finden sein.
  • Hier einige Eindrücke von der Speakers Corner in Bonn.
  • Vom 24.-29.08 fanden die Kohleproteste im Rheinland statt. Hier ein kurzes Video von Ende Gelände.