In Liverpool, am Ufer des Flusses Mersey, über den vor 200 Jahren ungefähr 40 Prozent des Welthandels abgewickelt wurden, und gegenüber vom Beatles-Museum fand vom 30. März bis zum 2. April der 4. Kongress der Global Greens statt. Kombiniert damit waren der routinemäßige Kongress der europäischen Grünen, die Parteikonferenz der Grünen von England und Wales und ein Treffen der weltweiten Grünen Jugend. Zusammen lockte das annähernd 2000 Teilnehmer*innen nach Mittelengland, über 900 aus Großbritannien, über 600 aus dem Rest Europas und etwa 400 aus dem Rest der Welt.
Der Kongress war ein großer Erfolg.
Kongresse der Global Greens finden nur in größeren Abständen statt. Der erste war 2001 in Canberra, Australien, wo die nach wie vor gültige Global Greens Charta angenommen wurde. Der zweite Kongress fand 2007 in Sao Paulo statt und der dritte 2012 in Dakar, Senegal. Der 5. Kongress soll 2022 wieder in Asien organisiert werden. Ihr könnt Euch das schon einmal vormerken.
Das wichtigste Ergebnis des Liverpooler Kongresses war das gegenseitige Kennenlernen und das Netzwerkbilden. In Europa und speziell noch einmal in Deutschland ist die Dichte Grüner Aktivitäten und Grüner Strukturen unvergleichlich viel größer als in den allermeisten anderen Teilen der Welt. Von geschätzt annähernd 400 Parlamentarier*innen auf nationaler Ebene, die es weltweit wohl gibt, sind vielleicht 70 Prozent in Europa beheimatet. Viele Delegierte aus außereuropäischen Länder betonten deshalb, wie wichtig es sei, bei einem solchen Kongress mit internationalen Kolleg*innen Verbindungen herzustellen und sich durch die Relevanz Grüner Parteien in anderen Ländern für die eigenen Bemühungen ermutigen zu lassen. In dem Zusammenhang spielten übrigens Diskussionen um ein proportionales Wahlrecht eine große Rolle. Durch gegenüber kleineren Parteien unfaire Wahlsysteme sehen sich viele Grüne in zahlreichen Ländern enorm behindert. So gibt es etwa in ganz Kanada eine einzige nationale Abgeordnete, Elizabeth May, die auch da war, während die relative Stärke der Grünen vor Ort durchaus für mehr Mandate gut wäre. Der Kongress bot einige hervorgehobene Reden, zahlreiche Podiumsdiskussion im Plenum sowie eine große Vielfalt unterschiedlicher Foren und Arbeitsgruppen zur Auswahl an. Die Themen reichten von Handel, Landwirtschaft, Klimapolitik, Gesundheitspolitik, Kampf gegen Steuerhinterziehung und Steuerflucht, Grüne Wirtschaft bis zum Kampf gegen autoritäre und populistische Bewegungen, transatlantische Beziehungen, progressive Allianzbildung in England, in Großbritannien, ethische Fragen im Zusammenhang mit der Robotik und Wahlkampferfahrungen aus den Niederlanden und Österreich – zwei Länder, die da zuletzt sehr erfolgreich waren.
Die Presseresonanz war mau. Die BBC übertrug nur die etwa halbstündige Rede der beiden englischen Parteivorsitzenden Caroline Lucas und Jonathan Bartley, ansonsten war nur ein einziger Journalist aus dem drei Stunden Bahnfahrt entfernten London angereist, ausgerechnet ein Vertreter des Senders ”Stimme des Islam”. Auf Onlinemedien sah es dagegen sehr lebendig aus; alle Plenarveranstaltung gab es Livestream; #Greens2017 war mehrfach einer der führenden Trends auf Twitter.
Eine ganz besonders bemerkenswerte und sehr gut aufgenommene Rede hielt in der Eröffnungssitzung die schwedische Grüne Ministerin und stellvertretende Ministerpräsidentin Isabella Lövin, ihre Rede findet sich hier. Den Abschluss bildeten zwei Reden der Grünen Präsidentschaftskandidaten Frank Habineza (Ruanda) und Pekka Haavisto (Finnland). Von den europäischen Grünen Parteien waren die Schweden ganz besonders stark vertreten, die mit vier Minister*innen anreisten. Die sehr große deutsche Delegation wurde von Simone Peter und Michael Kellner angeführt.
Es wurden auch etliche Resolutionen beschlossen in Liverpool. Einige bei den Global Greens und einige bei den europäischen Grünen, die dazu am letzten Tag parallel tagten. Der wichtigste Beschluss der Global Greens war der zur ”Future of the Global Greens”. der sich vor allem mit organisatorischen Fragen beschäftigt, aber auch zwei Prioritäten-Themen benennt, zu denen die Kooperationen insbesondere vertieft werden sollen: Klimawandel und Demokratie. Zum ersten Mal gibt es bei den Global Greens damit eine verabredete Schwerpunktsetzung. Als ich 2001 in Canberra dafür geworben hatte, den Kampf gegen Klimawandel zum gemeinsamen Schwerpunktthema zu machen, fand das noch keinen Konsens. Angesichts der großen Unterschiede, die die Grünen Parteien weltweit nun einmal prägen, entwickelt sich eine praktisch gemeinte Zusammenarbeit langsamer, als man es vielleicht wünschen würde, aber sie entwickelt sich. Dazu hat sicherlich die Kooperation im Rahmen der jährlich wiederkehrenden UN-Klimakonferenzen beigetragen. In Liverpool wurde auch eine Initiative aufgegriffen, die vor fünf Jahren schon einmal ins Auge gefasst wurde, aber danach liegengeblieben war: die weltweite Vernetzung der Grünen Abgeordneten. Die Koordination dafür übernahmen die Kanadierin Elizabeth May und der Neuseeländer Graham Kennedy. Auch hier soll der Fokus erst einmal bei der Klimapolitik liegen. Eine etwas breiter angelegte Prioritätensetzung findet sich in der ”Liverpool Declaration”. Dieses Dokument wurde allerdings nicht von der Konferenz beschlossen, sondern es stellt eine gemeinsame Erklärung der Global Greens, der Europäischen Grünen und der Green Party of England and Wales dar.
Mit der Liverpooler Konferenz beendete die Australierin Margaret Blakers ihr Engagement bei den Global Greens, bei denen sie über mehr als 15 Jahre treibende Kraft gewesen war. Sie wollte keine große Verabschiedung, aber es wurde ihr von allen Seiten gedankt. Ihr sollen zwei co-convener folgen, die von der Global Greens Coordination demnächst unter vier Kandidat*innen ausgewählt werden sollen, einer Mexikanerin, einer Taiwanesin, einem Afrikaner und einem Pakistani.
Dank gab es auch für die großartige Organisation, deren Hauptlast von den Mitarbeiter*innen der Europäischen Grünen in Brüssel getragen worden war. Es gab eigentlich nur einen Kritikpunkt: das Essen. Aber war das in England je anders? ;) Und ich bezweifle sehr, dass sich das durch den BREXIT wesentlich verbessern wird ;).
Für die EGP, die nicht nur organisatorisch, sondern auch finanziell und politisch den Löwenanteil zum Gelingen beisteuerte, war Liverpool, wie gesagt, ein Erfolg. Natürlich liegen unsere eigenen Pläne und Kämpfe auf europäischer, nationaler, regionaler oder örtlicher Ebene ganz oft unendlich viel näher als die insgesamt recht lockere Verbindungen zwischen den Global Greens. Doch zu Recht wurde in Liverpool von Christine Milne aus Australien darauf hingewiesen, dass wir den alten Grünen Satz ”Think globally, act locally” heute wegen der immer engeren globalen Vernetzung neu formulieren müssen: ”Think globally, act locally and globally”!