Polen ist nicht ein Land, aus dem man viel von Grünen hört. Dabei gab es ökologische Gruppen dort schon vor der Wende. So erinnere ich mich an eine sehr lebendige Debatte um die Forderung der deutschen Grünen nach Atomausstieg beim Polnischen Ökologischen Club (Polski Klub Ecologic) im Jahr 1987 in Krakau. Im Zuge der demokratischen Erneuerung Polens auf dem Weg in die EU schafften es die Grünen sogar einmal eine gewisse Zeit, einen Staatssekretär im Umweltministerium zu stellen. Aber seit einer Neugründung der polnischen Grünen im Jahr 2004 sind die Erfolge sehr mager geblieben. Derzeit gibt es meines Wissens einen einzigen polnischen Mandatsträger, der sich zu den Grünen bekennt, einen Stadtrat in Toruń. Die polnische Grüne Partei hat etwa 200 zahlende Mitglieder und etwa 1000 engere Sympathisanten. Bei der letzten Parlamentswahl hatte sie ein Bündnis mit den post-kommunistischen Sozialdemokraten geschlossen, doch mit 7,8% scheiterte man an der für solche Bündnisse geltende 8%-Hürde.
Vor kurzem besuchte ich die polnischen Grünen, um darüber zu diskutieren, wie es vielleicht gelingen könnte, bis zur Europawahl 2019 eine tragfähige Kandidatur zu entwickeln, die nach Lage der Dinge wohl auf einer Bündnisliste beruhen müsste. Ich nutzte die Gelegenheit, um nicht nur mit Grünen zu sprechen, sondern auch mit einigen progressiven Intellektuellen, etwa von Krytyka Polityczna, in deren Büro ich ein schönes Plakat des KOR-Helden Kuron fand; mit zwei Vertreterinnen der Gruppe Inicjatywa Polska, zwei Personen der Partei Razem. (Den deutschen Botschafter besuchte ich auch. Ebenso führte ich Gespräche im Außenministerium zu Themen von Nordstream II bis Europäische Globalstrategie.)
Das politische Fazit meines Besuches hat mich selber überrascht: In Polen scheint es durchaus ein nicht ganz enges Grünes Potential zu geben, das zusammenzuführen und politisch wirkmächtig zu machen aber bisher niemandem gelungen ist. Als irgendwann zu Beginn seines Mandates der aktuelle polnische Außenminister Waszczykowski sich öffentlich über den angeblichen, gesellschaftlichen Meinungsdruck Grüner Radfahrer und anderer „Grün-versiffter“ Gutmenschen beschwerte, wunderte ich mich, wieso er sich ausgerechnet die unscheinbaren Grünen als Prügelknaben für eine illiberale Tirade ausgesucht hatte. Doch tatsächlich hat sich seit der Bildung der PiS-Regierung an verschiedenen Stellen gezeigt, dass Grüne oder von Grünen geteilte Wertorientierungen keineswegs völlig peripher sind in Polen. Beim sogenannten „Schwarzen Protest“ gegen Versuche von PiS, das Abtreibungsrecht dramatisch zu verschärfen, organisierten sich 100.000nde polnische Frauen sehr wirksam für ihre Selbstbestimmung. Die Radfahrer, die der Außenminister beklagte, gibt es tatsächlich mehr als früher. Smog in Warschau und anderen Städten, vor allem ineffizienten Kohleheizungen geschuldet, ist das große Thema dieses Winters. „Zum ersten Mal diskutieren wirklich fast alle ein offenkundig Grünes Thema“, sagte mir ein Gesprächspartner. Bio beim Essen ist eine Mode, und in Warschau wenigstens, ist es auch nicht schwer vegan essen zu gehen. Es gibt im Land verschiedene Initiativen, die sich gegen die Linie der Regierung und gegen die Mehrheitsmeinung der Bevölkerung für eine humane Flüchtlingspolitik einsetzen. Es gab eine sich stark entwickelnde Windenergiebranche, bis die Regierung brutal dazwischen ging. Anti-Atom-Politik ist in guten Teilen der Zivilgesellschaft gut verankert. Fracking, das vor einigen Jahren in Polen mit fast hysterischer Begeisterung begrüßt wurde, hat nicht reüssiert, gerade auch bei der Landbevölkerung nicht. Ansatzpunkte für Grüne Politik zuhauf. Kann daraus in wenigen Jahren etwa mehr werden?
Adam Ostolski, der ehemalige Vorsitzende der polnischen Grünen, der derzeit an der Universität arbeitet und politische Analysen schreibt, ist überzeugt, dass es den Raum gibt für eine erfolgreiche, links-grüne Formation. Ich glaube, er hat Recht, aber damit er Recht bekommt, müssten die vorhandenen Akteure den Weg finden, diese Vision praktisch zu machen. Dabei ist das politische Umfeld keineswegs ganz ungünstig. PiS, die regierende Partei, schafft ständig neue Gründe, sich gesellschaftlich für Bürgerrechte und liberale Rechtsordnung, für vielfältige progressive Themen, zu engagieren. Die Partei „Bürgerplattform“ (PO), die in der letzten Wahl ihre Regierungsrolle verloren hatte, hat es seither nicht geschafft, sich programmatisch zu erneuern. Die liberale Partei Nowoczesna, auf der unmittelbar nach dem Antritt von PiS viele Hoffnungen ruhten, hat sich in ihrer neoliberalen Dogmatik verfangen und ihr Parteianführer hat sich in einem persönlichen Skandal lächerlich gemacht. Die Bauernpartei PSL, die auf dem Land in zahlreichen Kommunen stark verankert ist, spielt auf nationaler Ebene eine untergeordnete Rolle. Die gegen die PiS entstandene Bürgerbewegung zur Verteidigung der Demokratie (KOD) stagniert, zerstreitet sich intern unter anderem darüber, ob sie zur Partei mutieren solle oder nicht, und ihr Chef ist derzeit der absolut unbeliebteste Politiker Polens. Die postkommunistische Sozialdemokratie, die nach dem Ausscheiden aus dem Parlament kurz vor dem Ableben zu stehen schien, hat sich wieder auf bis zu sechs Prozent stabilisiert, aber sie hat kaum eine Zukunft, da ihre Führung wie ihre Mitgliedschaft im Wesentlichen der Rentnergeneration angehören. Die Stärke der PiS, sagten etliche meiner Gesprächspartner, ist vor allem die Schwäche ihrer Gegner. In Umfragen liegt sie zwischen 35 und 40 Prozent. Das scheint nicht übermächtig und ist doch gegenwärtig praktisch kaum angreifbar. Könnte eine links-grüne Kraft das ändern? Gegenfrage: Kann eine solche Kraft zustande kommen?
Die polnischen Grünen wissen, dass sie das alleine nicht schaffen werden. Deshalb suchen sie Kooperationen. Sie kooperieren in verschiedenen Städten mit freien Bürgerlisten, die sich dort auf kommunaler Ebene gebildet haben. Diese haben sich übrigens auch national organisiert und dabei spielen ehemalige Grüne eine positive Rolle. Ein anderer Kooperationspartner ist Razem, eine Partei, die aus einer Grünen Abspaltung hervorgegangen ist. Sie fühlen sich sehr stark zum linken Populismus hingezogen und nennen sich selbst manchmal die polnische Podemos Partei. Sie haben Resonanz in links-intellektuellen Kreisen, sind von den linken Gruppen wohl die aktivste, aber die Arbeiter, die sie so gerne mobilisieren möchten, interessieren sich eher nicht für sie. In Punkto Atomenergie und Gentechnik gibt es bei Razem sehr stark die Auffassung, aus „wissenschaftlichen“ Gründen müsse man diese unterstützen, aber unumstritten ist das nicht. Bei anderen Themen liegen Razem und Grüne enger beieinander. Dann ist da noch die Inicjatywa Polska. Eine noch nicht landesweit präsente Gruppe, die aber in einigen Städten, darunter Warschau und Wroclaw durchaus Gewicht hat und mit Barbara Nowacka eine Repräsentantin, die sich vor allem im Kampf um Frauenrechte stark profilieren konnte. Mir scheint: Es ist vorstellbar, dass sich in diesem Milieu – Grüne, Razem, Inicjatywa, Bürgergruppen – eine durchaus vielfältige aber wirksame Kraft bilden ließe. Sicherlich nicht einfach durch Gespräche und Verhandlungen durch Parteifunktionäre aber, wenn die Akteure es schaffen, in praktischer Zusammenarbeit Vertrauen und gemeinsame Horizonte aufzubauen, dann schon. Der nächste Fluchtpunkt solcher Arbeit zum Durchbohren des dicken Brettes kann die Kommunalwahl in eineinhalb Jahren sein. Kooperation von der kommunalen Ebene her aufzubauen ist ohnehin solider und für die Bürgerinnen und Bürger attraktiver als jede Kopfgeburt in Parteivorständen. Ich würde deswegen durchaus sagen, dass auch für Grüne Ideen in Polen die Worte der polnischen Nationalhymne gelten: „Noch ist Polen nicht verloren“.
Photo by Tomek Nacho