Die Teilnahme am Shangri-La Dialogue Forum in Singapur war zweifellos der Höhepunkt einer Asienreise, die mich von Guangzhou über Manila und Jakarta in den gerade 50 Jahre alt gewordenen Stadtstaat Singapur führte. In Guangzhou besuchte ich das „Stockholm-China Forum“, ein Treffen von China ExpertInnen aus dortigen Think Tanks, aus den USA und aus Europa. In Manila führte ich Gespräche zur Situation im Südchinesischen Meer und zum Mindanao Friedensprozess und in Jakarta waren erneut die Spannungen im Südchinesischen Meer aber auch die Kritik an der Praktizierung der Todesstrafe Themen. Bezüglich der Todesstrafe gab es eine kleine Positivnachricht. Mitglieder von Menschenrechtsorganisationen berichteten von Gesprächen mit Regierungsstellen, die ein unerklärtes Moratorium bei der Anwendung der Todesstrafe in Aussicht gestellt hatten. Es wäre gut, wenn wenigstens dieser kleine Schritt gegangen würde.
Die Lage im Südchinesischen Meer beherrschte dann die drei Tage des Shangri-La Dialogue Forums fast völlig. Themen, die in früheren Jahren eine gewichtige Rolle spielten, wie etwa japanisch-chinesische Konflikte im Ostchinesischen Meer oder Entwicklungen in Nordkorea spielten fast keine Rolle. Unbezweifelbar ist, dass China mit intensiven Baumaßnahmen auf einigen der umstrittenen Inseln, vor allem in der Spratly-Gruppe, der schon viele Jahrzehnte alten Auseinandersetzung um konkurrierende Ansprüche eine mächtige Dynamik verschafft hat. Wirtschaftlich sind die allermeisten Länder in der Region sehr stark mit China verflochten und von daher gibt es keinerlei Interesse daran mit dem mächtigen Nachbarn das Tischtuch zu zerschneiden. Aber diesseits der Handelsbeziehungen war die chinesische Seite bei diesem Shangri-La Dialogue politisch so isoliert wie noch nie. Selbst Kambodscha, der engste Verbündete Chinas innerhalb der ASEAN Staatengruppe lies durch seinen Verteidigungsminister mitteilen, es setze sich für „Rule of Law“ zur Lösung der Konflikte ein. „Rule of law“ war eine Formulierung, die sich in jeder einzelnen Rede fand, mit Ausnahme der chinesischen. Und „Rule of Law“ ist in diesem Fall weitgehen gleichzusetzen mit der Aufforderung die Territorialstreitigkeiten im Südchinesischem Meer nach Maßgabe des internationalen Seerechts zu klären, wie es in der entsprechenden UN Konvention (UNCLOS) kodifiziert ist. Ein Antrag an ein UNCLOS Schiedsgericht, den die Philippinen gestellt haben, wird übrigens voraussichtlich schon im Juli zu einer ersten wichtigen juristischen Entscheidung führen. China hingegen bestreitet, dass UNCLOS hier angewendet werden könnte.
Die Reden des amerikanischen Verteidigungsministers und des chinesischen Stellvertretenden Generalstabschefs bei der Shangri-La Dialogue waren, nach übereinstimmender Bewertung, deutlich weniger scharf als die entsprechenden Reden vor einem Jahr. Das würde ich allerdings nicht für ein Zeichen von Entspannung halten. Der Konflikt hat sich so zugespitzt, dass die beiden Großmächte jeweils versuchen, den schwarzen Peter der rhetorischen Eskalation zu vermeiden und zugleich um Sympathie und Verständnis bei den übrigens Staaten der Region zu werben. Stärker umworben war die ASEAN Staatengruppe wohl nie. In einem merkwürdigen Gegensatz dazu stand allerdings dass sich die ihr angehörigen 10 Staaten nicht zu einer gemeinsamen Initiative aufraffen konnten. Europa war durch drei Reden im Plenum vertreten. Die des Verteidigungsstaatssekretärs aus Großbritannien klang so, als hätte der gute Mann irgendwo in der Schublade das Empire wieder entdeckt. Eine lächerlichere Aufschneiderei als von diesem Herrn habe ich lange nicht gehört. Ursula von der Leyen, erst die zweite deutsche Verteidigungsministerin, die je an diesem Forum teilnahm, präsentierte Deutschland als eine Art normative Großmacht. Sie sagte, sie sei gekommen, um zu lernen und verteilte dann großzügig Lektionen. Bei manchen Europäern kam ihre Rede gut an, ich fand den Ton verfehlt. Federica Mogherini schließlich präsentierte das neu erwachende europäische Interesse an einer Region, deren globale Bedeutung an unserem Ende der Welt noch weithin unterschätzt wird. Sie berichtet zum Beispiel von der EU-ASEAN Strategie, die gerade im Mai veröffentlicht worden war. Für mich war die wichtigste Lektion nicht nur des Shangri-La Dialogue Besuchs sondern der ganzen Asien Reise, dass es immer dringlicher wird, eine gemeinsame europäische Asien und China Strategie zu entwickeln. Das Nebeneinander und teilweise Gegeneinander, das sich Mitgliedsländer der EU im Wettlauf um chinesische Gunst, chinesische Märkte und zunehmend um chinesische Investitionen liefern, ist strategisch unendlich leichtsinnig. Ein Lehrstück war in diesem Zusammenhang der Fall der neuen AIIB (der Asiatischen Infrastruktur Investitionsbank). Nachdem die Obama Regierung in völliger Verkennung von Realitäten und Interessen versucht hatte, einen Boykott dieser chinesischen Initiative herbeizuführen, machten sich verschiedene europäische Länder bei der grundsätzlich richtigen Entscheidung für eine Teilnahme an der AIIB aber durch die Art und Weise wie sie beim Wettlauf nach Beijing fast übereinander purzelten, auch ganz schön lächerlich.
Die Zeiten sind vorbei, in denen man hoffen konnte, China werde irgendwie damit zufrieden sein, als geduldeter Juniorpartner der bisherigen Weltordnung mitzuspielen. Die chinesischen Ambitionen reichen inzwischen weit darüber hinaus. Nicht wenige der chinesischen Kritiken am Status Quo der globalen Ordnung sind durchaus diskussionswürdig. Aber wenn die EU und die USA sich den neuen Herausforderungen durch den Aufstieg Chinas nicht ernsthafter stellen, ist die Gefahr, dass die aktuelle Situation doch irgendwie in der Thukydides Falle endet sehr groß. Thukydides hatte in seinem Buch über den peloponnesischen Krieg am Beispiel Athens und Spartas beschrieben, wie der Wettlauf zwischen einer dominierenden und einer aufsteigenden Macht zum Fundamentalkonflikt wird.