Mit dem überzeugenden Ergebnis von 422 Ja Stimmen bei 250 Nein Stimmen, 47 Enthaltungen und 10 ungültigen Stimmen ist Jean-Claude Juncker, der im zurückliegenden Europawahlkampf als Spitzenkandidat der Europäischen Volkspartei angetreten war, zum neuen Kommissionspräsidenten gewählt worden.
Im Vorfeld dieser Parlamentsentscheidung gab es erhebliche Nervosität. Spanische, britische und französische Sozialisten wollten Juncker nicht wählen, hieß es, und mindestens italienische Berlusconi Freunde und ungarische Orbán Gefolgsleute auch nicht. Kundige EU-Beobachter spekulierten, Juncker könnte sehr geschwächt sein neues Amt antreten, wenn er nur knapp über den erforderlichen 376 Stimmen liegen würde. Andere wollten noch nicht einmal ein Scheitern ganz ausschließen, obwohl letzteres den Kampf der großen Parteifamilien im Europäischen Parlament für eine Demokratisierung des Verfahrens zur Bestimmung des Kommissionspräsidenten ad absurdum geführt hätte. Am Ende war dann Junckers Mehrheit sogar solider als diejenige, die Martin Schulz erneut ins Amt des Parlamentspräsidenten gehoben hatte.
Auch in der Grünen-EFA Fraktion gab es Diskussionen. Zunächst war die Zahl derer, die sich vorstellen konnten Juncker vielleicht zu wählen recht klein. Die Diskussion zog sich hin. Wie viele von uns ihm dann tatsächlich ihr Ja gaben, lässt sich nicht sagen, weil die Abstimmung geheim war. Ich würde aber annehmen, dass es schließlich halbe-halbe ausging.
Ein Argument, dass bei unseren Diskussionen eine erhebliche Rolle spielte war dies: Junckers Programm sei zwar, weil eben keineswegs ganz grün, nicht akzeptabel, aber man müsse taktisch-strategisch trotzdem für ihn stimmen, da sonst am Ende im schlimmsten Fall Cameron als Sieger des Verfahrens vom Platz ginge. Ich habe das Argument selbst benutzt, halte es aber nicht für ein letztlich überzeugendes. Tatsächlich wurde dagegen auch eingewandt, es sei schwer zu vermitteln, warum man für etwas abstimme, wenn man eigentlich dagegen sei.
Für meine Entscheidung Juncker in der Abstimmung zu unterstützen war nicht diese Art von Taktik ausschlaggebend, sondern seine Rede im Plenum. In dieser Rede, sprach sich Jean-Claude Juncker an mehreren wichtigen Stellen explizit für Ziele aus, für die wir Grüne bisher gegenüber der alten Kommission vergeblich um Unterstützung geworben hatten. Beispiele? Ein Bekenntnis zu Transparenz bei TTIP. Ein verbindliches Lobbyregister für die Europäischen Institutionen. Energieeffizienzziele, die nicht von BusinessEurope diktiert sind. Ein allgemeines Bekenntnis zu legalen Einwanderungsmöglichkeiten in die EU. Ein klarer Schwerpunkt bei einer Politik der Investitionen statt der dogmatischen Austerität. Und anderes mehr. Juncker signalisierte auch sehr deutlich, dass er eine selbstbewusste Kommission führen wolle. Juncker zeigte sich dazu in der Lage, glaubwürdig für die große europäische Erzählung zu werben, die Barroso uns zehn Jahre lang schuldig geblieben war. Juncker zeigte Biss und Witz in der Auseinandersetzung mit den Europaskeptikern.
Mein Fazit nach Junckers Rede ist ganz eindeutig: wenn er auch nur die Hälfte von dem umsetzen kann, was er da ankündigte, wird er wahrscheinlich der beste Kommissionspräsident seit Jacques Delors. Dafür konnte ich guten Gewissens stimmen.
Und was zum Grünen Glück darüber hinaus noch fehlt, dafür zu kämpfen sind ja die Mitglieder unserer Fraktion gewählt worden.