Heute ist ein europäischer Festtag, sollte man meinen. Denn heute, am 1. Dezember 2009, macht die europäische Entwicklung einen großen, ermutigenden Schritt nach vorn. Die Europäische Union wird demokratischer.
Ab heute können sich die Bürgerinnen und Bürger Europas auch zwischen den Wahlen, die alle fünf Jahre stattfinden, direkt in die europäische Politik einmischen: durch eine europäische Bürgerinitiative, sofern dafür 1 Million Unterschriften zusammen kommen. Gestärkt werden die gewählten Abgeordneten des Europäischen Parlaments, deren Wille in Zukunft den Bürokratien gegenüber mehr Gewicht hat. Ab sofort kann zum Beispiel nicht mehr der Datenschutz unterlaufen werden, indem am Parlament in Straßburg vorbei ein entsprechender Vertrag mit den USA geschlossen wird.
Aufgewertet im europäischen Konzert wird aber ebenso der Einfluss der nationalen Parlamente, also auch des Bundestages. Denn sie können jetzt wirksam Einrede einlegen, wenn sie befürchten, es würden Entscheidungen zentralisiert, die besser vor Ort getroffen werden. Transparenter schließlich werden die Vorgänge im Rat, der regelmäßigen Versammlung der 27 europäischen Staats- und Regierungschefs, wo all zu oft ziemlich skurrile Kuhhändel abgeschlossen wurden. Die EU verspricht zudem mehr gemeinsame außenpolitische Handlungsfähigkeit.
Doch wahrscheinlich werden die meisten Menschen diesen Festtag nicht bemerken. Es werden keine Glocken läuten. Alles wird seinen gewohnten Gang gehen, und dazu gehört eben, dass Europa keine Begeisterung hervor ruft.
Nach fast zehn Jahren Kampf um diesen Fortschritt, der als “Vertrag von Lissabon” nun in Kraft tritt, scheint Europa zu müde, um zu feiern. Der europapolitische Schwung hat der Ermattung und dem wieder stärkeren Rückzug in die nationale Stube Platz gemacht. Oh, wir Narren!
Welcher Nationalstaat ist denn noch mächtig genug, der großen Krisen der Gegenwart Herr zu werden: der Wirtschafts- und Finanzkrise, der Klimakrise und der sozialen Krise, zu der auch die neuerliche Zunahme des Hungers in der Welt gehört? Wenn man aber international zusammenarbeiten muss und das nicht nur Regierungen und Bürokratien überlassen will, wenn man will, dass in solcher Zusammenarbeit die Demokratie nicht verschwindet – welch fortgeschrittenere Hoffnung gibt es dann als die europäische Einigung?
Wenn Europa zusammen steht, kann es große Beiträge leisten zur Bewältigung der globalen Herausforderungen, etwa des Klimawandels. Wenn Europa zusammen steht, kann es sich in der Globalisierung behaupten. Der Westen muss sich erneuern, um eine gute Zukunft zu haben. Ohne am europäischen Haus weiter zu bauen, geht das nicht.
Wir sollten den 1. Dezember 2009 feiern! Und uns vornehmen, europäischen Stillstand nicht zuzulassen!
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