Interview erschien am 9. Juni 2024 bei table.media.
Reinhard Bütikofers Grüne haben am Sonntag Verluste hinnehmenmüssen. Er sagt, die Partei sollte ihre Politik nicht ändern, aber besser erklären.
Die deutschen Grünen haben ihr starkes Wahlergebnis von 2019 nicht wiederholen können. Woran lag das?
Da kam einiges zusammen. Es gab zum Beispiel im Umfeld der Europawahl 2019 viel aktiveren gesellschaftlichen Rückhalt für ökologische und Klimapolitik als derzeit. Es gab auch generell mehr politischen Gestaltungsoptimismus. Insbesondere die Covid-19-Pandemie und der russische Aggressionskrieg in der Ukraine samt den daraus resultierenden wirtschaftlichen Konsequenzen haben einerseits den Druck zu Veränderungen erhöht und andererseits die Furcht davor. Unter der Bedingung der Multi-Krise, die zur neuen Normalität geworden ist, spielte diesmal Sicherheit eine größere Rolle als Aufbruch. Wir Grüne haben nicht gut genug gezeigt, wie inklusive Politik der Erneuerung zu größerer Resilienz beitragen kann. Nur zu behaupten, dass Veränderung Stabilität schaffe, reicht nicht.
„Aktive Politik gegen die Klimakrise bleibt richtig“
Das schlechte Ergebnis wirkt wie eine Ohrfeige, die die Grünen wegen ihrer Klimapolitik bekommen haben. Sollte die Partei ihren Kursverändern oder ihre Politik besser erklären?
Das Wahlergebnis war ohne Zweifel ein Rückschlag für Grün und dies nicht nur in Deutschland, sondern leider EU-weit. Der Wind standdiesmal gegen uns. Natürlich können wir da nicht sagen, jetzt machen wir einfach weiter wie bisher. Ich glaube aber überhaupt nicht, dass wir jetzt von der Klimapolitik oder anderen zentralen grünen Zielen Abstand nehmen dürfen. Vor allem eines können wir besser machen.
Und zwar?
Eine Politik, die die ganze Gesellschaft im Auge hat, um per Transformation zukunftsfähig zu werden, muss auch nur den Anschein vermeiden, sie wolle Transformation oktroyieren; sie muss gegenüber allen in Gesellschaft und Wirtschaft, die guten Willens sind, ein ernst gemeintes Mitmach-Angebot verfolgen und dabei auchvon denen lernen wollen. Sonst erscheint das Ökologische als der Feind der Freiheit.
Wie wollen Sie das schaffen?
Weil grünes Denken eben nicht gesamtgesellschaftlich hegemonialist, sondern allenfalls in einigen Bereichen, müssen wir mehr die guten Gründe aufspüren, die aus anderer politischer Perspektive gegen ein Verstecken im Status quo sprechen. Aktive Politik gegen die Klimakrise ist zum Beispiel nicht nur aus Gründen ökologischer Verantwortung richtig, sondern auch wegen wirtschaftlicher Zukunftsfähigkeit, weil sie zu sozialer Stabilität beiträgt und um nicht mit fossilen Abhängigkeiten unsere nationale Sicherheit aufs Spiel zusetzen.
Was bedeutet das Ergebnis für das Standing der Grünen in der Ampel-Koalition?
Wenn wir Grünen die richtigen Konsequenzen ziehen, haben wir die Chance, nächstes Jahr aus der Ampel-Koalition als stabilster und überzeugendster der drei Partner hervorzugehen. Vor den Europawahl-Ergebnissen der SPD oder der FDP muss ja auch wirklich niemand in Ehrfurcht erstarren.
„Ursula von der Leyen hat einen strategischen Fehler gemacht“
Wie beurteilen Sie die Avancen von Ursula von der Leyen gegenüber der Rechtsaußen-Partei von Giorgia Meloni?
Ursula von der Leyen hat da einen strategischen Fehler gemacht. Wenn die EVP insgesamt glauben sollte, sie könnte auf europäischer Ebene auf eine klare Abgrenzung zu rechtsextremen Positionen verzichten, dann verriete sie ihr eigenes Erbe. Ich hoffe, dazu kommtes nicht. Es wäre für die EU sehr schlecht.
Was machen die Grünen zur Bedingung, damit sie eine zweite Amtszeit Ursula von der Leyens unterstützen?
Ich kann nicht für die Grünen sprechen. Ich selbst würde gern genauer wissen, was Frau von der Leyen konkret meint, wenn sie sagt, sie setze für eine Zusammenarbeit mit anderen politischen Lagern auf die drei Kriterien pro-europäische Haltung, klare Position gegen Russlands Aggressionskrieg und Festhalten an Rechtsstaatlichkeit. Das klingt richtig, ist aber zu wolkig. Zudem fehlt da mindestens dreierlei.
Woran denken Sie?
Was ist mit dem Verhältnis von Europäischem Green Deal und der Sicherung künftiger Wettbewerbsfähigkeit? Wer das als Gegensatz betrachtet, ist schief gewickelt. Was ist mit der Weiterentwicklung unserer europäischen Demokratie? Wie machen wir die effektiver und attraktiver? Und schließlich: Wie positionieren wir Europäer uns nicht nur transatlantisch oder im G7-Rahmen, sondern gegenüber Afrika und dem ganzen globalen Süden? Das alles wäre meines Erachtens zu diskutieren. Als fünftes Rad am Wagen einer Politik, die visionslos im Hier und Jetzt verharrt, werden wir Grüne nicht zur Verfügung stehen.
Interview erschien am 9. Juni 2024 bei table.media.