Seit die brutale, systematische Unterdrückung der Uiguren und Uigurinnen in Xinjiang ans Licht der Öffentlichkeit drang, hat es unzählige Aufrufe, Appelle, Warnungen, Beschwörungen gegenüber in Xinjiang investierten europäischen Unternehmen gegeben, sich aus dieser Region Chinas zurückzuziehen. Die Begründung war einfach. Mit ihrer Präsenz in Xinjiang geben diese europäischen Investoren dem dort praktizierten, völlig menschenrechtsverachtenden Regime einen Anschein von Respektabilität. Zudem können Unternehmen nicht ausschließen, dass sie direkt oder über Zulieferer zu Komplizen der dort von der chinesischen Regierung verordneten Zwangsarbeit werden.
Ungefähr acht Jahre hat diese Debatte nun gedauert, aber weder der Chemiegigant BASF noch die Automobil-Großmacht Volkswagen sahen in dieser ganzen Zeit einen Anlass, aus der Kritik Folgen zu ziehen. Volkswagen benahm sich gegenüber der vielstimmigen Kritik besonders rücksichtslos. Es wurde geleugnet, was nicht zu leugnen war. Ein VW-Manager verstieg sich in einem BBC-Interview sogar dazu, zu behaupten, er habe von der Unterdrückung der Uiguren in China noch nie etwas gehört. Man verwies auf fehlende Zuständigkeiten. Man widerlegte mit viel Trara Vorwürfe, die gar nicht erhoben worden waren, um dann umso konsequenter die tatsächlichen Vorwürfe zu ignorieren. Man lenkte ab. Man insinuierte. Man tat, schlicht gesagt, alles, um nichts zu tun.
Auch die BASF wollte sich den fundamentalen Fragen nicht stellen. Nun wurden beide DAX-Unternehmen innerhalb kürzester Zeit nacheinander Opfer ihrer politisch motivierten Verdrängung der chinesischen Realität, weil Dokumente zutage gefördert werden konnten, die beweisen, dass ein Joint-Venture-Partner von BASF aktiv an der Unterdrückungs- und Ausbeutungskampagne beteiligt war und damit auch noch auf der eigenen Website angab. Und dass Volkswagen beim Bau und Betrieb einer Automobilteststrecke direkt materiell von der Ausbeutung von Zwangsarbeit profitiert hat. Für beide Unternehmen ist das ein massiver Glaubwürdigkeits- und Imageschaden.
Wofür sind die beiden Firmen diese Risiken eigentlich eingegangen? BASF sagt, die betroffenen beiden Joint-Ventures hätten 80 beziehungsweise 40 MitarbeiterInnen beschäftigt und seien aus wirtschaftlicher Sicht weder wichtig noch ertragreich gewesen. Volkswagen sagt, sein Investment in Xinjiang verdiene kaum Geld, weil dort, anders als ursprünglich geplant, gar nicht produziert werde. In beiden Fällen handelt es sich also nach Aussagen der Unternehmen selbst nicht um wirtschaftlich zwingende, attraktive oder wenigstens halbwegs nützliche Investitionen. Die Aufrechterhaltung der Investitionen in Xinjiang war vielmehr in beiden Fällen ein politisch motivierter Loyalitätsbeweis gegenüber der chinesischen Staats- und Parteiführung. Diese hatte natürlich keinerlei Interesse daran, dass die ohnehin gut dokumentierten Vorwürfe gegen die in Xinjiang begangenen Verbrechen gegen die Menschlichkeit, manche sprechen auch von Völkermord, in den Augen der internationalen Öffentlichkeit durch einen Weggang namhafter europäischer Firmen an zusätzlicher Durchschlagskraft gewinnen würden. Entsprechend bemühte man sich auf Unternehmensseite nicht darum, eine klare Grenze zu ziehen, sondern nur darum, behaupten zu können, man habe ja nichts gewusst.
Man muss sich die Bedeutung diesen Verhaltens klar machen: Auf der einen Seite sagte der Präsident des Bundesverbandes der Deutschen Industrie (BDI), Herr Russwurm, völlig zurecht, dass es für europäische Firmen beim Investment in China eine ethische rote Linie geben müsse und dass Zwangsarbeit hinter dieser Grenze liege. Und man weiß, dass es offenkundig diese Xinjianger Zwangsarbeit in großem Umfang gibt; hunderttausende Menschen, wenn nicht Millionen sind davon betroffen. Aber andererseits meinen verantwortliche deutsche Unternehmensführer, dass daraus für sie gar nichts folge, solange man ihnen nicht nachweisen könne, dass sie aktiv, bewusst und gezielt daran mitgewirkt haben. Diese Manager geben damit zu erkennen, dass sie keinesfalls die Absicht haben, als good corporate citizens für die Durchsetzung menschenrechtlicher Mindeststandards einzutreten, sondern dass sie eine Minimalplausibilität beim vorgegebenen Nichtwissen für völlig ausreichend halten.
Das Nichtwissen ist jetzt aber passé. Der Xinjiang-Experte Dr. Adrian Zenz hat nachgewiesen, wie es sich mit der Komplizenschaft tatsächlich verhält. Große Medien haben darüber berichtet. Und jetzt?
BASF, angeführt von Firmenchef Brudermüller, hat sich dem kritischen Gespräch mit Abgeordneten der Inter-Parliamentary Alliance on China (IPAC), der ich auch seit 2020 angehöre, gestellt und öffentlich erklärt, man werde nun so schnell als möglich einen Abzug aus Xinjiang realisieren. Bei VW klingt das anders. Erstmal lässt sich kein einziger Spitzenmanager zu dem Thema zitieren. Zweitens wird vor allem wieder kommuniziert, was man alles nicht wusste. Drittens wird vage darüber gequasselt, man werde sich überlegen, was daraus folgen könnte, ohne auch nur anzudeuten, in welche Richtung die Entwicklung wirklich gehen soll. Viertens wird ausführlich dargelegt, welche Hürden einem Weggang aus Xinjiang im Wege stehen. Und insgesamt hofft man anscheinend, man werde sich aus der Situation im Vertrauen auf die Vergesslichkeit des Publikums schon irgendwie herausschwätzen können.
Doch dann kommt für Volkswagen eine zweite Meldung und die Financial Times berichtet, dass tausende Luxuskarossen der Marken Porsche, Bentley und Audi, die alle zu Volkswagen gehören, derzeit vom Zugang vom amerikanischen Markt ausgeschlossen sind, weil sie ein elektrisches Bauteil enthalten, das anscheinend aus Xinjiang stammt und weil der Import in die USA damit gegen dortiges Handelsrecht verstoßen würde. Die Firma aus Wolfsburg kündigt daraufhin an, man werde das Bauteil austauschen und dann soll wohl alles wieder gut sein. Falls jemals noch ein anderes Bauteil gefunden würde, das auch mit hoher Wahrscheinlichkeit mit moderner Sklavenarbeit besudelt ist, würde man wahrscheinlich das dann eben auch ersetzen. Und weitermachen.
Die BASF-Strategie der letzten Jahre war unklug und fahrlässig, aber nun zieht das Unternehmen die richtige Konsequenz. Volkswagen dagegen will weiter mit dem Xi-Regime kuscheln, so gut es geht. Man spielt das mit der Teststrecke herunter. Man müsse sich erstmal ganz viele schwierige Fragen anschauen. Aber man muss anscheinend vor allem vermeiden, die klare Grenze zu ziehen, von der Herr Russwurm gesprochen hatte.
Soll man annehmen, Volkswagen sei so stark vom Wohlwollen der chinesischen kommunistischen Partei abhängig, dass man sich nicht zu dem richtigen Schritt entscheiden könne? Das ist einfach Unsinn. Auch die BASF hätte sich leisten können, früher zu handeln. Beide Firmen haben eine sehr machtvolle Stellung im chinesischen Markt. Beide Firmen sind gewichtig genug, dass sie sich nicht fürs Beschönigen der Uiguren-Unterdrückung einspannen lassen müssen, ohne durch diese Weigerung ihr ganzes Chinageschäft in die Binsen zu führen. Beide Firmen hätten eigentlich wegen ihrer eigenen Geschichte der Verwicklung in staatlich erzwungene Sklavenarbeit in der Zeit des deutschen Nationalsozialismus guten Grund, an dieser Stelle besonders sensibel zu sein. Leider muss man ein dramatisches Versagen feststellen.
Wie geht es nun weiter? Bei Volkswagen hat ja das Land Niedersachsen auch seine Finger im Spiel. Der Ministerpräsident dieses Bundeslandes hat in einer Reaktion mehr Distanz zum VW-Management erkennen lassen als je zuvor. Springt er oder tut er nur so? Die IG Metall, die in diesem Konzern eine große Rolle spielt, weil unter anderem ihr ehemaliger Erster Bevollmächtigter, Jörg Hofmann, stellvertretender Aufsichtsratsvorsitzender ist, hat sich klar gegen Duldung von Zwangsarbeit ausgesprochen. Der Betriebsrat hat vom Management Klarheit verlangt. Der Skandal von Volkswagen würde, wenn die Politik in Niedersachsen nicht eingreift, auch zum Skandal der dortigen Politik. Vielleicht ist diese Warnung ein Grund zur Hoffnung.
Vielleicht müssen auch erst die Kapitalmärkte zuschlagen und ihr Vertrauen entziehen. Was man aber auf jeden Fall sagen kann, ist dies: Die Regulierung gegen die Zulassung von mit Zwangsarbeit besudelten Produkten auf dem Binnenmarkt der EU, um die in Brüssel gerade verhandelt wird, ist dringend nötig! Die USA haben eine solche Regulierung schon. Die EU braucht sie mehr als je zuvor. Weil die demokratische Politik Grenzen ziehen muss, wo Gier und Furcht allzu sehr das Handeln wirtschaftlicher Akteure bestimmen. Kluge Unternehmen verstehen das. ESMC, eine Lobbygruppe in der europäischen Solarindustrie, hat gerade diese Woche in Brüssel für eine EU-Regelung gegen Zwangsarbeit geworben. Hoffentlich hören viele gut zu.
Sonst noch
Dem Deutschlandfunk habe ich ein Interview zum europäischen Engagement in der Ukraine gegeben.
Am Dienstag habe ich vor dem Arbeitskreis Wirtschaft der deutschen Länder in der Thüringer Landesvertretung zu den deutschen Handelsbeziehungen nach China gesprochen.
Am Mittwoch habe ich am Vormittag eine Expertendiskussion zum Thema „Global Green Subsidies“ in der Landesvertretung von Nordrhein-Westfalen in Brüssel organisiert.
Am Donnerstag war ich vom European Solar Manufacturing Council (ESMC) als Speaker zum Thema Zwangsarbeit eingeladen.
Von Freitag bis Sonntag nehme ich an der 60. Münchner Sicherheitskonferenz teil. Ich werde auf drei Panels sprechen. Thema der ersten Panels ist die Bedeutung der Geopolitik für die europäische Wirtschaft. Thema des zweiten Panels ist das Eskalationspotenzial im Indopazifik. Thema des dritten Panels ist die europäische Chinapolitik.
Am Sonntag werde ich auf der Solidaritätskundgebung für die Ukraine in München sprechen.
In der nächsten Woche fliege ich nach Indien, um am 9. Raisina Dialogue in Neu-Delhi teilzunehmen.