Willkommen im Jahr 2024, das so angefangen hat, wie das alte Jahr aufhörte. Krisenhaft, manchmal geradezu beängstigend, zu oft verstörend. Doch ich bin fest entschlossen, einen Vorsatz aus meiner Botschaft zum Jahreswechsel ganz ernst zu nehmen: Wir haben nicht das Recht, angesichts der bedrängenden Schwierigkeiten zu zaudern und zu zagen oder gar aufzugeben. Es rettet uns auch kein höheres Wesen, wir müssen uns schon alle gemeinsam selber helfen.
Die letzten Ausgaben meiner BütisWoche in 2023 drehten sich um drei Themen: China, Trump, wirtschaftliche Sicherheit Europas. Keine Frage, es gibt viel, viel mehr dramatische Entwicklungen. Da ist die bald ins dritte Jahr gehende schreckliche Aggression Russlands gegen die Ukraine und die europäische Sicherheitsordnung. Da ist der andauernde, außerordentliche opferreiche Krieg in Gaza, ausgelöst durch die Terrorattacke der Hamas am 7. Oktober. Da ist das fortdauernde Elend derer, die in noch nie dagewesener Anzahl als Geflüchtete und Migrant:innen nach einem erträglichen Leben suchen. Da sind die vor allem durch ultranationalistische serbische Akteure mit russischer Hilfe angeheizten Spannungen im Westbalkan. Da ist die Bedrohung der Sicherheit des Seehandels im Roten Meer. Da sind bei uns viel zu wenig beachtete, gefährliche Schuldenkrisen und bewaffnete Konflikte in afrikanischen Ländern. Da sind die vielen, häufiger werdenden Unwetterkatastrophen als Ausdruck der neuen Normalität der dramatischen Klimakrise. Da ist die Erschütterung und teilweise der Rückgang demokratischer Ordnungen unter dem Druck hasserfüllter Populisten und menschenverachtender Autokraten. Es ist kaum möglich, das alles gleichzeitig zu bedenken.
Doch aus dem großen Durcheinander so vieler Überflutungen unserer Sinne stechen drei Signale hervor, die von besonderer Bedeutung sind. Chinas Regime hat sich erklärtermaßen und ohne Scheu zum Ziel gesetzt, das ganze System der internationalen Beziehungen so umzugestalten, dass die Welt anfängt, sich nach den hegemonialen Melodien des Pekinger Totalitarismus auszurichten. Donald Trump hat sich vorgenommen, in einer zweiten US-Präsidentschaft, die er im November erringen will, die demokratische Ordnung des eigenen Landes sowie die Grundstrukturen des Multilateralismus der letzten Jahrzehnte zu beseitigen und damit wesentliche Grundpfeiler, auf die wir Europäer uns lange verlassen konnten und verlassen haben, einzureißen. Schließlich, und das ist das dritte Signal, steht die EU in Gefahr, wirtschaftliche Stabilität, ökonomische Zukunftskraft und die Gewährleistung des gesellschaftlichen Zusammenhalts einzubüßen und damit auch einer galoppierenden politischen Instabilität zu verfallen.
Die Wahlkämpfe, die vor uns liegen – die zum Europaparlament, zu drei Landtagen sowie die Kommunalwahlen in zahlreichen Bundesländern – bieten eigentlich eine passende Gelegenheit, über die großen Orientierungsfragen zu reden. Doch die deutsche Politik erweckt derzeit kaum den Eindruck, dass von ihr die erforderliche Orientierungs- und Gestaltungskraft erwartet werden könnte. Der SPD-Bundeskanzler hat es zur Masche gemacht, besonders wichtige Fragen dadurch hervorzuheben, dass er zu ihnen schweigt. Ansonsten besteht die SPD im Wesentlichen aus schlechter Laune. Die FDP ist in einem Zustand, dem gegenüber ein ländlicher Hühnerhaufen eine hoch geordnete Veranstaltung wäre; sie schlägt um sich wie ein Ertrinkender. Die Union beschäftigt sich zwar intensiv mit der Frage, wie sie in Berlin die Regierungsgewalt zurückgewinnen könne, aber verweigert jede Antwort darauf, was sie gegebenenfalls mit der geliebten Macht anfangen wollte, außer intensiv abgestandene konservative Nostalgie zu pflegen. Friedrich Merz ist ein besonderes Genie; er muss, wenn immer er etwas besonders Bedeutendes sagen will, zweimal nachbessern, bevor er selber verstanden hat, was er eigentlich zum Ausdruck bringen wollte. Und wir Grüne? Wir befinden uns auch nicht gerade im Zenit unseres politischen Handwerks.
Angesichts solcher Schwächen ist immerhin zu vermerken, dass es der AfD, die von den Fehlern aller anderen profitiert, nicht gelingt, das abgrundtief Böse, Verächtliche, Zynische der eigenen Politik ganz zu verstecken. Die großen Demonstrationen, welche es gegen die AfD in jüngster Vergangenheit gab, haben bewiesen, dass viele Menschen in unserem Land bereit sind, sich für Demokratie, ein faires Miteinander und eine bessere Zukunft zu engagieren. Ich glaube tatsächlich, dass diejenige Partei, der es als erster gelingt, aus den eingeschliffenen eigenen Routinen herauszutreten; die Verheißung „Bündnispartei“ selber ernst nimmt; die in einer großen Anstrengung zur Realisierung der notwendigen Mitmach-Transformation gerade auch mit Gegnern den respektvollen Dialog sucht; die dabei durchaus zu nüchterner Selbstkritik in der Lage ist; dass die die Chance hat, zum Anker für das schwankende Schiff unserer Demokratie zu werden.
Ja, es ist Krise. Multi-Krise sogar. Und von selbst wächst das Rettende nicht. Das wäre Romantik. Aber demokratische Politik, die nicht in Ritualen, in Selbstbezüglichkeiten und kleinkarierter Konkurrenz ihren Sinn für Verantwortung verliert, die dem republikanischen Grundsatz, wonach unsere Staats- und Gesellschaftsgestaltung gemeinsame Angelegenheit aller sein muss, ernst nimmt, die bereit ist, sich belehren zu lassen statt auf Sackgassen zu bestehen, solche demokratische Politik kann den Herausforderungen gewachsen sein. Weil wir in einer Mehrebenendemokratie leben, ist das alles sehr komplex. Weil wir ohne unsere Nachbarn nicht hinreichend wirksam handeln können, müssen wir viele Widersprüche aushalten. Aber das ist alles möglich. Ich bilde mir ein, dass das Jahr 2024 zu einem Jahr unerwarteten Aufbruchs werden könnte.
Sonst noch:
Meine Pressemitteilung zur European Economic Security Strategie der Europäischen Kommission.
Am Montag hatte ich verschiedene Treffen zu außenpolitischen Themen in Berlin und habe am Staatsakt für Dr. Wolfgang Schäuble teilgenommen.
Am Dienstag habe ich als Keynote-Speaker an einer Online-Veranstaltung von MeetEU zum Thema European Sovereignty in EU-China Relations gesprochen.
Bei verschiedenen Gelegenheiten traf ich diese Woche ganz schön viele Botschafter. Anlässlich des 75-jährigen Bestehens der Republik Indien nehme ich am Freitag an einer Veranstaltung der indischen Botschaft teil.
In dieser Woche stand vor allem Ausschussarbeit in Brüssel auf meinem Programm. Themen im Industrie- und Handelsausschuss (INTA) waren unter anderem European Economic Security, die WTO und Foreign Direct Investments (FDI). Im Ausschuss für auswärtige Angelegenheiten ging es um Russland und die Erweiterungspolitik der EU, Japan und Global Gateway.
Die Süddeutsche Zeitung hat einen lesenswerten Bericht zum Thema De-Risking verfasst.