Seit in US-amerikanischen Meinungsumfragen zur Präsidentschaftswahl im Jahr 2024 Donald Trump trotz aller Skandale, Provokationen und Gerichtsverfahren, ja vielleicht geradezu wegen diesen, als ausgesprochen aussichtsreicher Bewerber erscheint, kann man in vielen europäischen Diskussionen zur Zukunft des transatlantischen Verhältnisses mit zunehmender Stärke ein Phänomen beobachten, das ich Das Große Zittern nennen möchte. Nach einer Umfrage der New York Times scheint Trump in fünf von sechs ausschlaggebenden battleground states vor Präsident Biden zu liegen. Zittern. Nach einem erfolgreichen Wahldienstag Anfang November, an dem die Demokraten stattliche Siege einfuhren, wo sie vorher für weniger aussichtsreich gegolten hatten, sah es einen Moment so aus, als beruhigten sich die Nerven. Doch dann die nächste Hiobsmeldung: sehr viele AmerikanerInnen halten den ja manchmal tatsächlich senil-tapsig auftretenden Biden für schlicht zu alt. Zittern.
Dieses Zittern überkommt uns EuropäerInnen einerseits wie eine Nervenkrankheit, der man nichts entgegen setzen kann, und andererseits hat es den morbiden Beigeschmack des heimlichen Gefallens an einer dräuenden Katastrophe. Diejenigen, die sich mit dem Zittern nicht zufrieden geben wollen, haben eine Parole erfunden, unter der sie eine Kur versprechen. Die Parole heißt: Trump-proofing. Trump-proofing, damit soll gemeint sein, wir müssten die Verhältnisse in möglichst vielen Bereichen der transatlantischen und internationalen Politik so einrichten, das auch ein verheerender Anfall von Hyper-Trumpismus sie nicht völlig aus dem Gleichgewicht bringen könne. Ob das aussichtsreich ist?
Ich glaube nicht an Trump-proofing. Normalerweise schon ist die Macht eines amerikanischen Präsidenten so außerordentlich groß, dass er an vielen vermeintlich gut gestrickten institutionellen Sicherungen vorbei regieren kann. Der Präsident ist an die gesetzgebenden Kammern des Kongresses gebunden? Viele Präsidenten haben demonstriert, wie man mit executive orders darum herum manövrieren kann. Der Präsident muss in Fragen von Krieg und Frieden den Kongress fragen? In wie vielen Fällen marschierten amerikanische Truppen, bevor der Kongress gefragt wurde! Der Präsident ist an internationales Recht gebunden, das die USA ratifiziert haben? Das kann nur glauben, wer sich noch nie amerikanische Handelspolitik angeschaut hat.
Doch was einen möglichen Präsidenten Trump betrifft, sieht die Sache viel einfacher und viel gefährlicher aus. Trump bereitet eine zweite Amtszeit vor, in der er nach öffentlich angekündigten Plänen die amerikanische Demokratie aushebeln und in ein Regime persönlicher Herrschaft verwandeln will. Wer annähme, durch Regeln und Vereinbarungen ließe sich ein solcher Möchtegern-Selbstherrscher beeindrucken, wäre ganz schief gewickelt. Trump II wäre sehr viel anders als Trump I.
Trump I war eine gewisse Zeit eingehegt und zum Teil eingekesselt von Beamten, Ministern und Militärs, denen die amerikanische Verfassung wichtiger war als die persönliche Loyalität zu einem anmaßenden Präsidenten. Ein schlagendes Beispiel dafür war schließlich sogar Vize-Präsident Mike Pence, der bei Trumps Putschplänen vor dem und am 6. Januar ’21 einfach nicht mitspielte. “The adults in the room” hießen bei liberalen Beobachtern diese Leute, die Trump nicht zu seiner vollständigen Entfaltung kommen ließen. Es sieht so aus, als würden Trump und seinen MAGA-Zeloten dafür sorgen, dass es bei einer eventuellen zweiten Präsidentschaft des Orange-Schopfes solche “adults in the room” nicht mehr geben würde. Trump-proofing? Eher eine Illusion.
Es gibt noch einen weiteren Grund, warum ich von der Fokussierung auf Trump-proofing nicht viel halte. Dieser Ansatz personalisiert nämlich ein Problem, das tatsächlich struktureller Art ist. Es ist eben nicht nur der “verrückte” Trump, der einige Grundfesten der amerikanischen Demokratie unterminieren oder einreißen möchte. Es ist nicht nur dieser selbstverliebte Bewunderer starker Männer in Geschichte und Gegenwart, der droht Amerika von einer unsicheren, zweifelnden, orientierungsschwachen, müden Supermacht in einen ungebändigten Akteur zu verwandeln, der im Rückzug wie in der Aggression Zerstörung auslöst. Tatsächlich repräsentiert Trump einen relevanten Teil der öffentlichen Meinung und der Volksmeinung Amerikas und selbst wenn er nicht gewinnt – und ich glaube nicht, dass er gewinnt! – wird dieser Teil Amerikas internationales Verhalten nicht unbeeinflusst lassen.
Statt Trump-proofing ist meines Erachtens daher angesagt: 1. Zu analysieren, wie sich, jenseits aller unserer Wünsche und Vorstellungen, die politischen Koordinaten in den USA tatsächlich verschieben. 2. Strategisch zu bestimmen, welche neuen oder wenigstens veränderten Ziele wir uns deshalb setzen müssen, wenn wir nicht Opfer von Kollateralschäden der US-Politik werden wollen. 3. Zu überlegen, mit welchen möglichst gleichgesinnten Partnern in den USA und außerhalb der USA wir deshalb die Kooperation verstärken wollen.
Was die erste Aufgabe betrifft, zur Kenntnis zu nehmen, was ist, so können uns dabei gute amerikanische Meinungsforscher viel helfen. Ich bediene mich im folgenden einiger Umfrageergebnisse, die der German Marshall Fund Ende Oktober zur Verfügung gestellt hat. Diese Gallup-Untersuchung bezieht sich auf außenpolitische Fragen: Wie ist die generelle Situation der USA zu bewerten? Wie entwickelt sich das Russland-Bild? Und in dem Zusammenhang die Haltung gegenüber der Ukraine? Was lässt sich über die Perspektive der China-Beziehungen sagen? Wie wird die Situation im Nahen Osten bewertet? Was halten die USA von den Herausforderungen internationaler Klimapolitik?
Mit der Position der USA in der Welt waren die AmerikanerInnen laut den Gallup-Zahlen zum letzten Mal vor der Irak-Invasion 2003 ziemlich zufrieden. 69% gaben damals ein Plus. Inzwischen ist die Anzahl der Zufriedenen auf 37% abgesunken. Der Verlauf ist sowohl bei Republikanern negativ als auch bei Demokraten und Unabhängigen. Halbwegs zufrieden sind anscheinend gerade mal die, deren Partei den Präsidenten im Weißen Haus stellt. Aber der Trend geht nach unten, weniger und weniger AmerikanerInnen wollen, dass ihr Land in der Welt eine führende Rolle spielt. Die Zahlen lagen mal bei 80% und sind ungefähr 15-20 Punkte gesunken. Und aus der Mischung dieser Faktoren ergibt sich ein wachsender Isolationismus. Bei den Republikanern sind das über 75% und bei den Demokraten ein Drittel.
Die generelle Meinung zu Russland ist in den USA heute so negativ wie noch nie seit Ende der Sowjetunion; 90% negativ, 9% positiv. Und 60% der Befragten sehen in Russland eine militärische Gefahr für die USA. Doch wer annähme, daraus ergäbe sich eventuell eine verlässliche Unterstützung für die Ukraine, hätte sich getäuscht. Der populäre Rückhalt für die Ukraine geht zurück. Unterstützung “as long as it takes”? Nur noch eine Minderheit. Dass zu viel Unterstützung für die Ukraine geleistet werde, glauben 41% in den USA. Nur 18% meinen, die Unterstützung sei ungenügend. Besonders negativ ist die Stimmung bei denjenigen, die ihre eigene wirtschaftliche Situation als schlecht einschätzen, bei Männern und bei Leuten ohne College-Abschluss. Die Republikaner verleihen dieser Stimmung ihre Stimme. Im Kongress ist diese Welle jetzt über den Sommer angekommen und es ist nicht damit zu rechnen, dass sich das im kommenden Jahr ändert. Waren die Republikaner noch im Februar dieses Jahres zur Hälfte für Waffenlieferungen an Kiew, so sind jetzt über 60% dagegen.
Auch gegenüber China ist die Stimmung in den USA negativer geworden. Sie ist sogar negativer als direkt nach dem Tiananmen-Massaker. Demokraten sind dabei je nach genauer Fragestellung 5-15 Punkte weniger konfrontativ als Republikaner und sie bewerten China mehr als Wettbewerber, weniger als Feind, wie die Trump-Partei das tut. Doch die Sorge gegenüber China steigt. Interessanterweise ist das noch am wenigsten bei der jüngeren Generation der Fall. Die Unter-30-Jährigen sind bei den verschiedenen Fragestellungen bezüglich wirtschaftlichen Wettbewerbs, bezüglich Hong Kongs, bezüglich Chinas Partnerschaft mit Russland und so weiter jeweils noch am wenigsten angespannt. Von allen Altersgruppen am Kritischsten betrachtet wird die Partnerschaft zwischen Russland und China. Insgesamt steigt auch die Sorge um Taiwan, auch wenn zwei Drittel der Befragten Taiwan auf einer Asienkarte nicht finden können. Doch ist die Bereitschaft, Taiwan im Falle eines Angriffs aus China beizustehen, nicht überwältigend groß. Für die Unterstützung einer pro-aktiven Unabhängigkeitspolitik Taiwans gegenüber China gibt es keine Anzeichen.
Aktuelle Fragen nach der Bewertung des Terrorangriffs der Hamas gegen Israel bringen manch erstaunliche Ergebnisse zutage. Zwar steigt die Zahl derer, die Sympathien für Israel artikulieren während die Sympathien für die Palästinenser sinken. Doch unter den Unter-30-Jährigen sind noch nicht mal ein Drittel der Auffassung, dass Hamas absichtsvoll israelische Zivilisten angegriffen habe. Die Republikaner, die der Ukraine Hilfe so gern verweigern möchten, befürworten Militärhilfe für Israel, während Demokraten das ablehnen. Demokraten unterstützen sehr stark humanitäre Hilfe für Zivilisten in Gaza, während Republikaner ganz überwiegend dagegen sind. Ein Truppeneinsatz an der Seite Israels kann sich selbst im Falle eines iranischen Angriffs auf Israel nur eine Minderheit vorstellen.
Und schließlich zum Klimawandel. Nur 37% der Befragten sagen, sie würden persönlich dieses Thema sehr ernst nehmen. Gerade mal ein Prozent mehr als 2016. Ein bisschen betroffen sind nochmal 35%. Und fast ein Drittel sagen, das kümmere sie wenig oder gar nicht. Bei der Klimapolitik liegen Demokraten und Republikaner weit auseinander. 88% der Demokraten finden es schlimm, “was mit der Erde passiert” und 73% haben deswegen Sorgen um die Zukunft. Bei den Republikanern liegen die Zahlen eher bei der Hälfte davon. Sie haben sich eingeredet, dass man skeptisch sein müsse gegenüber den Leuten, die für Klimapolitik werben (80%) und sie sind genervt, dass das Thema so viel Aufmerksamkeit genießt (60%).
Insgesamt ergibt sich ein Bild einer tief gespaltenen, mit ihrer internationalen Rolle unzufriedenen Nation, die Gefahren sieht, aber daran zweifelt, ob es die eigene Aufgabe sei, sich diesen Herausforderungen zu stellen. Das ist nicht die “indispensable nation”. Das ist einem erschütterte Nation, bei deren Betrachtung man an ein Bibel-Zitat von Präsident Abraham Lincoln erinnert wird: “A House divided cannot stand.” (Zur Frage, wie wir damit umgehen können, schreibe ich ein anderes Mal.)
Sonst noch
Am Montag und Dienstag habe ich die zweite Berliner Taiwankonferenz im Europäischen Haus in Berlin veranstaltet. Internationale ExpertInnen aus Wissenschaft, Wirtschaft und Politik, RegierungsvertreterInnen und Mitglieder der Zivilgesellschaft haben die bevorstehende Präsidentschafts- und Parlamentswahlen in Taiwan diskutiert. Es gab eine sehr gute Resonanz. Die Veranstaltung kann im Stream nachverfolgt werden.
Am Mittwoch habe ich eine 38-köpfige Besuchergruppe aus Thüringen im Europäischen Parlament empfangen. Die Gruppe bestand aus Mitgliedern einer ehrenamtlichen Waldgenossenschaft. Mein Büro hat eine 3-tägige politische Informationsfahrt mit Besuchen beim Europäischen Rat, der Europäischen Kommission und der Thüringer Landesvertretung organisiert. Die Gruppe fand den Besuch sehr gut und hat viel über europäische Politik gelernt.
Eine weitere Besuchsfahrt wurde für 28 Politik-StudentInnen der Universität Jena organisiert. Mit dieser Gruppe habe ich mich am Donnerstag getroffen und vor allem über China und die Erweiterungspolitik der EU gesprochen.
Außerdem habe ich am Donnerstag als Redner an einer Sitzung des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu den Themen China und Global Gateway teilgenommen.
Mein parlamentarischer Bericht “EU-Japan-Beziehungen”, an dem ich seit dem Frühjahr gearbeitet hatte, hat mit großer Mehrheit den Auswärtigen Ausschuss (AFET) passiert. Er wurde dort am Donnerstag mit 42 Ja- und 4 Nein-Stimmen sowie einer Enthaltung angenommen. In Kürze wird auch das Plenum des Parlaments abstimmen. Zur Pressemitteilung geht es hier.
In der nächsten Woche tagt das Europäische Parlament in Straßburg. Hier geht es zur regelmäßig aktualisierten Tagesordnung.