Terror gegen Israel, Drama in Gaza | BÜTIS WOCHE #264

Der schockierende, maßlose Terror der Hamas gegen Israel hat die Lage in dem Jahrzehnte alten israelisch-palästinensischen Konflikt fundamental verändert. Dass der Angriff gegen Israel völlig überraschend, scheinbar aus dem Blauen, kam und einen tödlichen Vernichtungswillen zeigte, aktualisierte eine große Angst, von der viele in Europa jedenfalls geglaubt hatten, man könnte sie inzwischen längst zu den Akten legen: Israel ist in seiner Existenz bedroht. Nie mehr seit dem Ende des Holocausts wurden an einem Tag so viele Juden und Jüdinnen umgebracht wie am Tag des Terrors der Hamas. Die Wahllosigkeit, mit der die Terroristen vorgingen, demonstrierte, dass es ihnen nur darum ging, zu vernichten, um endlosen Schrecken zu verbreiten, und um damit die Vernichtung ingesamt wieder auf die Tagesordnung zu setzen. 

Es kann sein, dass dieses Mal die Absicht der Hamas (noch) nicht aufgehen wird, einen Mehrfrontenkrieg gegen Israel in Gang zu setzen: von Süden her aus den Bastionen der Hamas, vom Norden her aus denen der Hisbollah und vom Westjordanland her durch eine dritte Intifada. Aber entschieden ist das nicht. Die Hisbollah hat schon angegriffen und Israel dazu gebracht, zurückzuschlagen. Und es hat in der Vergangenheit durchaus Anzeichen dafür gegeben, dass es unter Umständen gelingen könnte, die genannten drei Fronten miteinander zu verbinden. Dahinter liegt zudem eine vierte Front, die des Iran, der offenkundig Hamas und Hisbollah unterstützt, aber vielleicht sogar direkt angreifen könnte. Um Letzteres abzuschrecken, haben, wenn ich es recht sehe, die USA zwei Flugzeugträger in die Nähe Israels verlegt. 

Auch die Bundesregierung bemüht sich anscheinend darum, dazu beizutragen, dass eine Eskalation des Konfliktes verhindert werden kann. Allerdings ist der Boden so getränkt mit Hass gegen Israel, dass gegebenenfalls ein Funke genügt, um einen großen Flächenbrand zu entzünden. In Israel, das durch die brutalen Anfangserfolge des Hamas-Angriffes schwer getroffen ist, besteht im Moment wohl eine strategische Hauptüberlegung darin, wie das Land seine Abschreckungsfähigkeit wiederherstellen kann, ohne genau diesen Funken auszulösen. Das ist wohl Quadratur des Kreises. 

Aktuell werden die Entscheidungen in Jerusalem von einer Einheitsregierung getroffen, die kurzfristig gebildet wurde, weil in der Stunde nationaler Not die tiefgreifenden innenpolitischen Zerwürfnisse nicht ein Minimum an Handlungsfähigkeit verhindern durften. Aber die innerisraelische Auseinandersetzung darüber, wie es zu dieser Katastrophe kommen konnte, ist nur aufgeschoben. Auch für den Verlauf dieser Auseinandersetzung wird vieles davon abhängen, wie Israels Selbstverteidigung jetzt verläuft. Gelingt es, die Hamas entscheidend zu schwächen? Gelingt es zu verhindern, dass das durch die israelischen Gegenschläge verursachte Leid unter der palästinensischen Bevölkerung Gazas so groß wird, dass es in der internationalen Öffentlichkeit das von den Terroristen verursachte Leid zu überdecken droht? Gelingt es, die Eskalation zu einem Mehrfrontenkrieg zu verhindern? Gelingt es, die extremistischen, rechten Kräfte in Israel, die das Land vor dem Angriff der Hamas in seine tiefste innere Krise geführt hatten, im Kampf Israels zur Selbstverteidigung so zu delegitimieren, dass ein neuer politischer Horizont in Jerusalem möglich wird?

Eines scheint mir klar: Die Zukunft des Verhältnisses zwischen Israel und den Palästinensern ist von dräuenden Wolken fast ganz verdunkelt. Dass es eine Zweistaatenlösung geben könnte, ohne die Hamas und andere Terrororganisationen vorher ausgeschaltet zu haben, erscheint als völlig unwahrscheinlich. Dass die palästinensische Seite überhaupt zu einer gemeinsamen Politik in der Lage sein könnte, ist nicht viel wahrscheinlicher. Es ist ja durchaus bemerkenswert, wie wenig die Stimme der palästinensischen Autorität aus Ramallah in diesem Konflikt überhaupt zu hören ist. Die ebenso korrupte wie zur politischen Gestaltung unfähige und in ihrer Selbstbezüglichkeit diskreditierte frühere Palästinenserführung um Abu Mazen hat sich de facto aus der Geschichte schon verabschiedet; nur aus ihren Pfründen noch nicht.

Die USA, die sich in den letzten Jahren zunehmend aus ihrer Führungsrolle im Nahen Osten zurückgezogen hatten, stehen in dieser Krise verlässlich an der Seite Israels. Die Europäische Union streitet. Der blutbefleckte russische Präsident Putin bietet sich, wie zum Hohn, als Vermittler an. Ob die vielgepriesenen Abraham Accords wenigstens ein bisschen zur Stabilisierung beitragen, muss man noch sehen. Die vielerorts verbreitete leise, zynische Hoffnung, der Israel-Palästinenser-Konflikt werde sich irgendwie von der internationalen Agenda schleichen, ist als brutaler Selbstbetrug entlarvt. Eine „Lösung“ des Konflikts, wie sie das Oslo-Abkommen vorgesehen hatte, ist nicht nur nicht in Reichweite, sondern vielleicht so gar nicht mehr möglich, und eine andere Lösung haben wir auch nicht. Es wird also in der nächsten Zeit darum gehen, diesen Konflikt wieder aktiver zu managen. Dafür hat die EU zweifellos eine Verantwortung. Wenn es gelänge, die Spaltung über den Konflikt zwischen Israel und den Palästinensern, die wir seit vielen Jahren in Europa haben, nüchtern als Ausgangsbasis für die Aufgabe der Konfliktbegrenzung zu verstehen, statt in ihr nur ein Hindernis zu sehen für eine tatsächlich illusorische Lösung, dann könnte die EU vielleicht sogar anfangen, eine produktive Rolle zu spielen.

Doch erst einmal müssen wir hoffen und, soweit wir können, dazu beitragen, dass der Terror der Hamas besiegt und das Drama in Gaza begrenzt wird. 

SONST NOCH

  • Meine Woche begann in Thüringen mit Unternehmensbesuchen in Gera, Tautenhain und Sömmerda.
  • Dem Sender Phoenix habe ich ein Interview zu den Hilfsgeldern der EU an die Palästinensische Autonomiebehörde gegeben.
  • Am Mittwoch war ich in Brüssel. Aus einer dichten Agenda stachen drei Termine heraus: die Teilnahme an einer Gedenkminute vor dem Europäischen Parlament für die Opfer der Hamas-Angriff gegen Israel; eine Keynote bei einer Veranstaltung von SWP und Heinrich Böll Stiftung zum Thema Indopazifik; eine Podiumsdiskussion von United Europe zum Thema „Die EU vor den Wahlen 2024 – Eine Agenda 2030 für Europa“.
  • Dem WDR habe ich ein Radiointerview zu Investitionen deutscher Unternehmen in China gegeben.
  • Am Donnerstag und Freitag war ich auf der „Berlin Conference on Asian Security“ der SWP. Dort habe ich eine Keynote zum Thema Sicherheitspolitik gehalten, und außerdem nahm ich am Fachbeirat Europa der Heinrich Böll Stiftung teil.
  • In der nächsten Woche bin ich in Straßburg, um an der nächsten Plenarsitzung des Europäischen Parlaments teilzunehmen. Auf der Tagesordnung stehen unter anderem die Terrorattacken der Hamas auf Israel und die Vorbereitung des Treffen des Europäischen Rates am 26-27 Oktober 2023.