Zum ersten Mal unter Leitung von Bundeskanzler Olaf Scholz fanden diese Woche deutsch-chinesische Regierungskonsultationen statt. Es war die siebte Auflage dieses Formates. Man kann sich dem Eindruck schwer entziehen, dass der Kanzler extra noch einmal bei seiner Amtsvorgängerin Angela Merkel Rat eingeholt hat, wie man solche Konsultationen zu einer Schmuseveranstaltung machen kann. Und das hat er dann auch getan.
Die Regierungskonsultationen sind in den letzten Jahren ein wesentlicher Teil des deutschen Sonderweges in der europäischen Chinapolitik gewesen. Ausschließlich bilateral orientiert, fokussiert auf die Bedienung durchsetzungsstarker deutscher Industrieinteressen, zimperlich bei allem, was Kontroverse versprach, so hatte Frau Merkel die Konsultationen angelegt. Unter Deutschlands Partnern in der EU war das schon lange auf Missfallen gestoßen. Kleinere EU-Mitgliedsländer hatten sich sogar extra zu einem eigenen Dialogformat mit der Volksrepublik China zusammengeschlossen, dem sogenannten 16+1-Format (zwischendurch waren es einmal 17, inzwischen herrscht dort Schwund), um angesichts deutscher Ellenbogenstärke vielleicht doch eine gewisse Chance zu ergattern, auch selbst von Chinas wirtschaftlicher Dynamik zu profitieren. Die 16+1 Veranstaltung, von China als willkommene Spaltungschance gegenüber der EU intensiv genutzt, hat sich inzwischen weitgehend totgelaufen, weil die Erwartungen der meisten teilnehmenden Länder von Peking enttäuscht wurden, aber das ändert ja nichts an der Notwendigkeit, dass Berlin darüber nachdenkt, wie man gegenüber China doch europäischer agieren kann.
Dementsprechend hatten wir in der Koalitionsvereinbarung verabredet, dass die deutsch-chinesischen Regierungskonsultationen bei ihrer Fortsetzung „europäisch ausgestaltet“ werden sollen. Praktisch konnte man sich verschiedene Varianten vorstellen, diese Absicht zu realisieren. Die Bundesregierung hätte VertreterInnen der Kommission hinzuziehen können; oder VertreterInnen der Ratspräsidentschaft; oder sachbezogen einzelne MinisterInnen aus Nachbarländern (so wie Präsident Macron schon gegenüber Deutschland verfahren ist!); bürokratische Kreativität hätte sicher eine passende Möglichkeit ausfindig gemacht. Das Auswärtige Amt drängt auch darauf. In dem vor einigen Monaten durchgestochenen Entwurf zur deutschen Chinastrategie war das Thema ausdrücklich angesprochen. Doch das Kanzleramt blockierte. Europäische Einbindung deutscher Chinapolitik? Das wäre ja gelacht. Warum europäische Partnerländer gegenüber China besonders einbinden? Das haben wir ja gegenüber Russland bei Nord Stream auch nicht gemacht! Im Deutschlandfunk wurde folgerichtig die Bilanz gezogen: „Deutschland und China wollen bilaterale Beziehungen ausbauen“.
Doch nicht nur Scholz’ Absage an den europäischen Geist empört bei der Bilanzierung dieser Regierungskonsultationen, sondern auch der Ton, den der Kanzler der Veranstaltung aufgeprägt hat. Die FDP-Bundestagsabgeordnete Gyde Jensen hatte vorab noch davor gewarnt, China eine Propagandakulisse anzubieten, doch genau das hat der Kanzler getan. Der chinesische Premierminister Li Qiang kann sehr zufrieden nach Hause fahren. Das wichtigste Land der EU hat sich gegenüber der immer aggressiveren Großmacht China als Schmusekätzchen aufgeführt. Einige Beispiele gefällig?
Fangen wir einfach mit der Pressefreiheit an. Im Pressefreiheits-Ranking, der Organisation „Reporter ohne Grenzen“ von 2022 findet sich die Volksrepublik China auf Platz 179 von 180 gelisteten Ländern, nur noch gefolgt von Nordkorea. Vor dem Hintergrund mutet es merkwürdig an, dass Olaf Scholz nur die Formulierung fand: „Deutsche Korrespondentinnen und Korrespondenten wollen gerne aus China berichten – sie brauchen dafür aber auch einen Zugang nach China, und wir setzen uns dafür ein.“ Der Autor dieses Satzes, wer immer ihn für den Kanzler aufgeschrieben haben mag, hatte offenbar die Aufgabenstellung, die überaus schwierige Arbeit von JournalistInnen in China anzusprechen, ohne das Wort Pressefreiheit zu verwenden.„Pressefreiheit“ hätte den chinesischen Gast ja möglicherweise gestört. Denn seit 2013 gilt in China das Verdikt von Xi Jinping, dass Pressefreiheit eine feindselige, zerstörerische westliche Idee sei, die man bekämpfen müsse. Da Scholz offenbar den chinesischen Premierminister nicht inkommodieren wollte, verzichtete er eben auf „Pressefreiheit“. Auf eine Selbstverzwergung mehr oder weniger kam es ihm nicht an. Damit aber die chinesische Seite realistisch einschätzen könne, wie wichtig dem Kanzler trotzdem die freie Arbeit von JournalistInnen sei, fügte sich Scholz dem chinesischen Wunsch, keine Pressefragen beim Auftritt vom Premierminister und Kanzler zuzulassen, nicht wahr? Das immerhin war eine Innovation. Denn zu Kanzlerin Merkels Zeiten hatte es bei solchen Gelegenheiten noch die Möglichkeit zu Pressefragen gegeben. Gratulation an die Freiheitspartei SPD!
Auf der Website bundesregierung.de findet man einen Artikel zu den deutsch-chinesischen Regierungskonsultationen, der unter der Überschrift „Globalen Herausforderungen gemeinsam begegnen“ steht. Nun gibt es zweifellos globale Herausforderungen, denen gemeinsam zu begegnen sehr wünschenswert wäre. Russlands Aggressionskrieg gegen die Ukraine zum Beispiel. Doch statt Klartext zu reden und China aufzufordern, die UNO-Prinzipien der nationalen Souveränität und der territorialen Integrität klar zu verfechten, gab sich der Kanzler mit der Bitte zufrieden, dass China weiter keine Waffen an den Aggressor Russland liefern soll und dass es schon gar keinen Einsatz von Atomwaffen geben dürfe. Die chinesische Regierung solle „noch stärker ihren Einfluss auf Russland geltend“ machen. Das ist einfach ein schlechter Witz. China hält Putin ganz unübersehbar die Stange.
Auch in puncto Menschenrechte gibt es große globale Herausforderungen. Wie kann man die wohl mit China gemeinsam angehen? Da hat sich der Kanzler wohl einfach gedrückt. Er verwies auf das deutsche Lieferkettengesetz, das „der besseren Achtung der Menschenrechte dienen wird“, und beschrieb damit den Kampf für Menschenrechte als Aufgabe – für uns. Er behauptete dann noch, „Verbesserungen der Menschenrechtslage sind in unserer beider Interesse“, und unterstellte damit der chinesischen Seite einen guten Willen, den sie erkennbar nicht hat. Xinjiang, Tibet und Hongkong und das brutale Vorgehen gegen chinesische Menschenrechtsverteidiger waren offenbar dagegen der Erwähnung nicht wert.
In der Bilanzierung der deutsch-chinesischen Konsultationen durch bundesregierung.de findet sich auch nichts zu den „Globalen Herausforderungen“, die es ohne Chinas aggressive Politik gar nicht gäbe. Taiwan kommt nicht vor. Chinas Weigerung, die zahlreichen Grenzkonflikte mit den allermeisten seiner Nachbarstaaten im Einvernehmen zu lösen, ist noch nicht einmal eine Anspielung wert. Chinas Export von heimischer Unterdrückung durch die Einrichtung illegaler Polizeistationen in anderen Ländern – Fehlanzeige. Chinas ökonomische Erpressung gegenüber Ländern, deren Politik Peking nicht passt (Litauen, Schweden, Tschechien, Norwegen, Australien, Japan, Südkorea etc.), wurde offenbar ausgeklammert. Meint der Bundeskanzler vielleicht, diese „Globalen Herausforderungen“, vor der sich die EU gerade durch die Einführung des Anti-Coercion Instrument (ACI) mehr Schutz verschaffen will, solle man mit „China gemeinsam begegnen“?
Statt bei den Wirtschaftsbeziehungen klare Kante zu zeigen gegenüber einer Politik Pekings, die die Investitionsbedingungen immer schwieriger macht, wie zuletzt etwa durch das Anti-Spionagegesetz, mit dem jede normale corporate due diligence als Spionage denunziert werden kann, lobte der Kanzler „die dynamischen Wirtschaftsbeziehungen“ und „unterstrich die Bedeutung einer aktiven Verbreiterung der Wirtschaftsbeziehungen“. Konkret gesagt: Wenn ein deutsches Unternehmen in China gemäß europäischer Lieferkettenverantwortung herausfinden will, ob ein möglicher neuer Lieferant garantieren kann, dass er keine Zwangsarbeit in der Lieferkette hat, dann kann das nach dem neuen Gesetz als Spionage verfolgt werden. Denn in China gibt es zwar nach Aussagen der Regierung keine Zwangsarbeit und hat es sie auch nie gegeben und wird es sie auch nie geben – Uigurenrealität hin oder her –, aber alles, was in diesem Zusammenhang gesagt oder gefragt werden kann, ist ein Staatsgeheimnis, und die Verletzung der Staatssicherheit geht natürlich gar nicht. Muss ein Bundeskanzler so etwas wissen? Schon, sollte er. Muss er es ansprechen? Besser wäre es, weil die Realität nicht dadurch schöner wird, dass man sie beschweigt. Wenigstens aber sollte der Bundeskanzler keine Harmonie vorgaukeln, die es nicht gibt. Doch das Motto von Scholz war: Friede, Freude, Eierkuchen. Motherhood and apple pie. (Eine positive Nachricht gab es übrigens doch im Bereich Wirtschaftsbeziehungen, und das war eine nicht-Nachricht, das China Investitionsabkommen CAI von 2020 spielte keine Rolle; es wurde nicht aus der Versenkung gehoben; es bleibt im Eisfach. R.I.P.!).
Eine globale Herausforderung, die Scholz ins Zentrum rückte, war die der Klimapolitik. Immerhin, könnte man sagen: Deutschland und China hätten „eine besondere Verantwortung im Umgang mit dem Klimawandel“. Richtig. In diesem Bereich soll die Zusammenarbeit verstärkt werden. Und der Kanzler weiß auch schon: Der Verantwortung beim Kampf gegen den Klimawandel „werden wir uns gemeinsam stellen“. Ob er wenigstens gefragt hat, wie die Volksrepublik China es halten will mit der Finanzierung von loss und damage für die ärmsten Nationen der Welt, um deren unverschuldeten Schaden durch den Klimawandel ansatzweise auszugleichen? Bis jetzt weigert sich China, eine Verpflichtung einzugehen, hier mitzufinanzieren. Dabei hat das Land in den letzten 40 Jahren mehr CO2 emittiert als Großbritannien in den 260 Jahren seit Beginn der Industriellen Revolution. Aber vielleicht wird das ja noch Thema eines „Klima- und Transformationsdialogs“.
Wenn man bundesregierung.de glauben darf, dann hat es der Kanzler vermieden, eine Sprache zu verwenden, die vielleicht auf chinesisches Missfallen gestoßen wäre. So, als müsse man sich gegenüber Chinas Hegemonialanspruch um besonders ehrerbietige Sprache bemühen. Von systemischer Rivalität liest man nichts. „Wir haben kein Interesse an einer wirtschaftlichen Abkopplung von China“, hat Scholz gesagt. Zu Recht. Dass er gesagt hat, wir würden uns darum bemühen, einseitige Abhängigkeiten zu reduzieren, ist nicht überliefert.
Mit China „Zusammenarbeit auf unterschiedlichen Ebenen intensivieren“, das war die Botschaft, die Olaf Scholz setzte. Das ist in dieser Einseitigkeit ganz gewiss nicht dieselbe Botschaft, wie sie Kommissionspräsidentin von der Leyen in ihrer China-Rede darlegte. Das ist auch nicht dieselbe Botschaft wie beim letzten G7-Gipfel. Der deutsche Sonderweg in der Chinapolitik ist leider noch nicht überwunden. Es ist offenbar bei China so, wie es jetzt all die Jahre bei Russland war: Außenpolitik zusammen mit der SPD ist eine ziemliche „Herausforderung“. Wir werden uns umschauen müssen nach Partnern, mit denen wir dieser Herausforderung „gemeinsam begegnen“ können. Eine Veranstaltung nach dem Motto „kuscheln mit der KP“ brauchen wir so dringend wie einen Kropf. Michael Roth hat recht: Solche deutschen Regierungskonsultationen sollte man absagen.
SONST NOCH
In der letzten Woche tagte das Europäische Parlament in Straßburg. Hauptthema war der AI Act. Mehr dazu in meinen Plenarnotizen.
Mein Interview mit dem Tagesspiegel im Vorfeld des Länderrates.
Der Welt und dem Deutschlandfunk habe ich jeweils ein Interview zu den deutsch-chinesischen Regierungskonsultationen gegeben.
Am Mittwoch habe ich mich mich mit Politikstudierenden der Friedrich-Schiller Universität Jena getroffen und ihnen meine Arbeit im Europäischen Parlament nähergebracht.
Am Donnerstag bin ich in Thüringen. In Arnstadt und Sondershausen besuche ich an diesem Tag verschiedene Unternehmen.
Am Samstag halte ich eine Keynote-Speech auf dem 65. Tönissteiner Kreis für Internationalität in Politik, Wirtschaft und Wissenschaft zum Thema Wirtschaftliche Rivalität und Abhängigkeit zu China.