Es war der amerikanische Baseball-Philosoph Yogi Berra, der den schönen doppelt gemoppelten Ausdruck erfand: „It’s Déjà vu all over again.“ Es könnte sein, dass dieser Satz passt als Prognose für die Kandidaten-Paarung bei der kommenden amerikanischen Präsidentschaftswahl.
Ex-Präsident Trump hatte schon im letzten Herbst angekündigt, er werde sich 2024 wieder um die Präsidentschaft bewerben. Damit konnte er den zwar schrumpfenden, aber immer noch sehr stattlichen Kern seiner Anhängerschaft mobilisieren, auch wenn sich eine ganze Reihe von führenden RepublikanerInnen die Mühe gaben, Trump die Wahlniederlage vom November 2022 in die Schuhe zu schieben und ihn damit aus dem Zentrum der politischen Aufmerksamkeit zu verdrängen: „Trump is a loser; we have had enough of losing.“ Trump signalisierte seinerseits die Entschlossenheit, ohne irgendwelche Rücksichten gegen jedermann und jede Frau rabiat zu Felde zu ziehen, die versuchen sollten sich seiner Wiederkandidatur in den Weg zu stellen. Insbesondere konzentrierte er seinen Zorn auf den Gouverneur von Florida, DeSantis, der 2022 in seinem Amt entgegen dem nationalen Trend mit einem glänzenden Ergebnis wiedergewählt worden war und deswegen ganz schnell zum „poster boy“ der an Trump verzweifelnden RepublikanerInnen wurde. Der ideale republikanische Präsidentschaftskandidat, so wird seit langem spöttisch kolportiert, sei ein „Trump with a mute button“, jemand, der so reaktionär ist wie Trump, bei dem man aber den allzu oft unerträglichen, selbstverliebten grenzenlos provokativen und selbstbeschädigenden Ton ausschalten könnte. DeSantis könne so jemand sein, hieß es. Selbst die nicht sehr zahlreichen, aber immerhin hartnäckigen „Never Trump“-Stimmen aus dem republikanischen Lager sprachen sich schnell für DeSantis aus. Die Hoffnung war, dass sich möglichst schnell DeSantis als der einzig aussichtsreiche Gegenkandidat herausstellen würde und man damit vermeiden könnte, den gleichen Fehler zu begehen wie in der Vorwahlsaison 2016, als eine große Zahl von KandidatInnen, die als weniger ungenießbar als Trump galten, sich gegenseitig das Wasser abgruben, bis Trump mit seiner relativen Mehrheit von einem starken Drittel des republikanischen Lagers angesichts dieser Zersplitterung unaufhaltbar geworden war.
Inzwischen hat sich die Stimmung bei den RepublikanerInnen deutlich gewandelt. Ich sehe dafür mehrere Gründe. Zum einen handelte DeSantis nicht entschlossen. Man muss halt in der Politik das Eisen schmieden, wenn es heiß ist. DeSantis ließ das Eisen erkalten, anscheinend in der Annahme, er könne es jeder Zeit wieder auf die erforderliche Temperatur bringen, wenn er sich dafür entscheide. Bis heute hat er seine Kandidatur nicht formal angekündigt, obwohl er agiert wie ein Kandidat. Diese Zögerlichkeit weckt Zweifel an seinen Kämpferqualitäten. Das hatte sich schon angedeutet, als er nicht zurückbiss, nachdem ihn Trump einen bösartigen Spitznamen verpasst hat: „DeSanctimonious“, der Scheinheilige. Zweitens sind die politischen Schwächen von DeSantis deutlicher geworden. Er ist anscheinend ein Politiker, der die Menschen nicht mag; der Hände schütteln und Babys küssen nicht mag; der auf Abstand geht, wo „retail politics“ gefragt ist. Außerdem ist DeSantis bei einigen wichtigen Fragen ein dogmatischer Reaktionär, wo Trump ein opportunistischer, reaktionärer Populist ist. DeSantis hat sich dabei erwischen lassen, gegen die fundamental wichtige und in der Bevölkerung populäre allgemeine Altersversorgung Position zu beziehen, wo der schlauere Trump die Leute lieber anlügt. Drittens haben zu viele republikanische Möchtegern-Präsidenten ihren Hut in den Ring geworfen, – es ist auch eine Frau dabei – und damit die Konzentration aller Nicht-Trump-Kräfte auf DeSantis behindert. Schließlich, und das ist wohl der wichtigste Punkt, hat Trump es geschafft, sich wieder ins Zentrum der politischen Öffentlichkeit zu spielen, indem er seine vielfältigen Probleme mit der amerikanischen Justiz als Rachefeldzug der Demokraten gegen sich als erfolgreichen republikanischen Präsidenten interpretierte, dem diese bösen Linken schon die Wahl 2020 gestohlen hatten. Damit befeuerte er die Ressentiments seiner Kernwählerschaft und zwang alle anderen Republikaner in eine widerwillige Solidarität. Sein Narrativ erwies sich als so stark, dass nur ein einziger seiner Gegenkandidaten, Hutchinson, die Unterstützung verweigerte.
Inzwischen führt Trump die republikanischen Umfragen wieder deutlich an. Damit greift das Argument von DeSantis, man solle lieber einen Kandidaten auswählen, der gewinnen kann, statt dem Verlierer Trump, erkennbar ins Leere.
Die Wahrscheinlichkeit, dass Trump der republikanische Kandidat für die Wahl 2024 wird, ist heute also wesentlich höher, als sie vor einem halben Jahr war. Viele Speichellecker aus seiner Partei, die sich im letzten Herbst bei seiner Kandidaturankündigung noch mit Zustimmungserklärungen zurückgehalten hatten, weil sie sich nicht sicher waren, wie der Hase läuft, schließen sich jetzt dem Trump-Lager an. Sogar die Mehrzahl der Kongressabgeordneten aus Florida erklärte sich für Trump. Kein gutes Zeichen für de Santis, der davon ausgerechnet zu dem Zeitpunkt erfuhr, als er in Washington für seine eigene nationale Bedeutung und Perspektive werben wollte.
Unter den amerikanischen Wählerinnen und Wählern insgesamt ist Trump allerdings deutlich überwiegend unbeliebt, und das scheint sich nicht zu ändern. Es könnte also sein, dass Trump auf dem Weg ist, die republikanische Kandidatur zu gewinnen, um dann die Präsidentschaft zu verlieren.
Doch hier kommt Biden ins Spiel. Biden hat jetzt angekündigt, dass er noch einmal für die demokratische Partei kandidieren will. Er wäre, sofern es tatsächlich dazu kommt, dann mit 81 Jahren der mit Abstand älteste Präsidentschaftskandidat, den es in den USA je gab. Bidens Alter macht ihm tatsächlich zu schaffen. Man merkt ihm an, dass er alt wird. Für viele Wählerinnen und Wähler ist das ein Hauptgrund dafür, dass sie Bidens Kandidatur ablehnen. Selbst die Mehrheit der Demokraten ist laut Umfragen gegen eine erneute Kandidatur ihres Präsidenten eingestellt. Das Problem der Demokraten ist allerdings, dass keine Alternative zu Biden in Sicht ist.
Kamala Harris, die aktuelle Vizepräsidentin, hat nicht reüssiert. Biden hatte ihr die Verantwortung für verschiedene schwierige Themen zugewiesen, zum Beispiel für das Thema der Einwanderung über die mexikanische Grenze, aber sie konnte angesichts der verschiedenen Herausforderungen nicht glänzen, sondern präsentierte Bilder der Schwäche. Aus Bidens Kabinett sticht niemand in besonderer Weise hervor. Pete Buttigieg, der Verkehrsminister, der vor 4 Jahren schon einmal Präsident werden wollte, hat die nötige Gravitas nicht entwickelt. Handelsministerin Gina Raimondo wird zwar von vielen gelobt, aber mit ihren politischen Themen hat sie eine sehr schwierige Ausgangsbasis. Dann gäbe es vielleicht noch Jennifer Granholm, Energieministerin, ehemalige Gouverneurin, die aber gegen das Netzwerk Bidens in der Demokratischen Partei kaum ankommen dürfte. Dass Hillary Clinton noch einmal ein Comeback versuchen könnte, ist wohl ausgeschlossen. Der berühmte Senator aus Vermont, Bernie Sanders, hat schon erklärt, dass er diesmal nicht kandidieren will. Ambitionen werden dem Gouverneur von Kalifornien, Christopher Newsom, nachgesagt, aber der ist wohl jemand, den die US-Amerikaner einen „long-shot candidat“ nennen.
Biden kann für sich in Anspruch nehmen, dass er gegen Trump schon einmal deutlich gewonnen hat. Er kann für sich in Anspruch nehmen, dass er in der ersten Hälfte seiner ersten Amtszeit ein ambitionierteres politisches Programm realisiert hat als irgendein anderer Präsident seit Lyndon B. Johnson vor über 50 Jahren. Biden ist zudem ein Demokrat, der die Bodenhaftung und den Kontakt zum traditionellen Arbeitnehmermilieu der Demokraten noch nicht ganz verloren hat. Biden hatte meistens ein gutes Gespür für Mainstreamfähigkeit; selten hat er sich auf ein dünnes Ästchen gesetzt, das dann abzubrechen drohte. Aber er ist eben alt, zu alt, zeigt nicht sehr viel von der schwungvollen Energie, die für erforderlich gehalten wird, um die tiefe Zersplitterung und Zerklüftung in der amerikanischen Innenpolitik aufzuhalten oder sogar zurückzudrehen. Es kann auch sein, dass die vielfältigen Legislativerfolge, die er in seinen ersten beiden Amtsjahren, gestützt auf demokratische Mehrheiten im Kongress, erzielen konnte, verblassen werden angesichts der erwartbaren und sich bereits abzeichnenden Obstruktionspolitik des neuen Mehrheitsführers im Repräsentantenhaus des Republikaners McCarthy. Die Republikanermehrheit im House macht konfrontative Behinderungspolitik. Sie verfolgt nicht vor allem eine eigene Agenda der Gesetzgebung. Ihre Agenda heißt: Biden möglichst schlecht aussehen lassen, Biden in Widersprüche zwingen, Biden gegen Teile seiner Basis ausspielen, Bidens Verantwortungsbewusstsein zur Waffe gegen ihn machen. So verlangen die Republikaner zum Beispiel für die Abwendung des Staatsbankrotts Zugeständnisse wie die Hochsubventionierung von fossilen Energieträgern und die Beseitigung aller ökologisch und klimapolitisch sinnvolle Elemente des Inflation Reduction Acts (IRA).
Natürlich wird Biden versuchen, das Chaos, was da angerichtet wird, als eines zu beschreiben, für das McCarthy und Konsorten die Verantwortung tragen. Allerdings ist es nicht ganz unwahrscheinlich, dass die amerikanischen Bürgerinnen und Bürger, von denen eine große Zahl über ihre politische Klasse verzweifelt ist, die Hand nicht groß umdrehen zwischen Demokraten und Republikanern, sondern einfach nur zynisch und verbittert über „die in Washington“ schimpfen, deren etabliertestes Aushängeschild und bekanntestes Gesicht eben Biden ist mit seiner jahrzehntelangen Karriere in den Hallen der Macht in Washington. Das Chaos könnte also durchaus den Republikanern schaden, aber Biden nicht nutzen.
Zwei Positionen gibt es nicht, soweit ich sehen kann, unter den möglichen PräsidentschaftskandidatInnen in den USA: Leute, die für einen Aufbruch zu neuen Ufern stehen, und Leute, die sich als Versöhner eignen. Es kann also sehr gut sein, dass der hinkende, gebrechliche Wettlauf zwischen zwei ineinander verbissenen alten weißen Männern, deren Kandidatur jeweils von der amerikanischen Bevölkerungsmehrheit abgelehnt wird, am Ende eben doch das ist, was die amerikanische Demokratie derzeit zustande bringt. Dabei ist offenkundig, dass der Ausgang dieser Präsidentschaftswahl von schwer überbietbarer Bedeutung nicht nur für die Zukunft der USA, sondern auch für den Rest der Welt ist, den wir mit bevölkern. Jugend der Welt, was für Aussichten!
Déjà vu all over again? Vielleicht kann uns ja einstweilen ein anderes Zitat von Yogi Berra trösten: “It ain’t over till it’s over.”
SONST NOCH
In der letzten Woche tagte das Europäische Parlament in Straßburg. Traditionell berichte ich darüber in meinen Plenarnotizen. Themen der letzten Woche waren die China-Debatte, zu der ich einen Redebeitrag hatte, und die Entscheidungen zum Green Deal. Mehr dazu findet sich hier.
Am Montag, dem 24.04 trafen sich die EU-AußenministerInnen in Brüssel und sprachen unter anderem über die aktuellen Chinapolitik. Meine Pressemitteilung zu dem Treffen.
Der Stuttgarter Zeitung habe ich ein Interview zu den Handelsbeziehungen zwischen der EU und China gegeben.
Am Montag kommt ein Interview mit der Wirtschaftswoche: „Grüner Handel ist möglich – und nötig ist er auch“
Am Dienstag nahm ich als Sprecher an einem Online-Diskussionsforum von China.Table zu der Frage „China als Rivale“ teil.
Außerdem durfte ich am Dienstag Abend auf einem interessanten Podium zum Thema geopolitische und wirtschaftliche Abhängigkeiten von China in der Vertretung des Landes Baden-Württemberg in Brüssel mitdiskutieren.
Am Freitag habe ich eine Keynote-Speech zum Thema: „EU foreign policy priorities in an unstable geopolitical environment“ auf der Frühjahreskonferenz der European International Constractors e.V. (EIC) in Wiesbaden gehalten.