Leuchtturm im Sturm? | Bütis Woche #245

„Lighthouse in the Tempest?“, das war das Motto des Raisina Dialog Forums in Neu-Delhi, an dem ich letzte Woche teilnahm. Das Raisina Forum hat sich in den acht Jahren seines Bestehens einen Platz in der ersten Liga von Großkonferenzen über internationale Politik und internationale Beziehungen gesichert. Organisiert wird es von dem indischen Think-Tank ORF, welcher der Regierung nahesteht. Regelmäßig nimmt Premierminister Modi an der Eröffnungsveranstaltung teil, freundlich, huldvoll, aber stumm. EröffnungsrednerIn ist jeweils ein ausländischer Gast; letztes Jahr war es Ursula von der Leyen, dieses Jahr Giorgia Meloni, die italienische Ministerpräsidentin. Das Forum besteht aus annähernd oder sogar über 100 Diskussionen, Podien, Reden, Tischreden und sonstigen Veranstaltungen. Dieses Jahr war der Raisina Dialog mit dem G20 Außenministertreffen synchronisiert, so dass mehr als 50 AußenministerInnen daran teilnahmen. Ansonsten kamen die TeilnehmerInnen aus Diplomatie, Think-Tanks, Parlamenten, Wirtschaft und Gesellschaft. Wie schon im Vorjahr war die Anzahl der europäischen TeilnehmerInnen sehr hoch. Indien setzt, das spiegelt sich meines Erachtens darin wider, durchaus auf die Entfaltung eines Dialogs mit Europa. Russland war sehr prominent durch Sergej Lawrow vertreten, dem die VeranstalterInnen einen besonders roten Teppich ausrollten, was durchaus nicht nur auf Beifall, sondern auch auf Kritik stieß. Teilweise wurde Lawrow bei seinem arroganten, herzlosen Auftritt sogar ausgelacht. China war schwach vertreten. Es gab aber eine durchaus sichtbare taiwanesische Delegation und es gab, wohl zum ersten Mal, ein Panel zu Taiwan. Die Länder des globalen Südens waren wesentlich stärker vertreten als jemals bei der Münchner Sicherheitskonferenz. Insgesamt überwogen die TeilnehmerInnen aus Indien selbst. 

Mein Haupteindruck bei der Konferenz war der eines fast überbordenden indischen Selbstbewusstseins. Hatten zum Beispiel VertreterInnen Indiens letztes Jahr in vielen Diskussionen zum Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine überwiegend defensiv argumentiert, beklagt, dass „der Westen“ sich in der Vergangenheit ja auch für Indiens Gefährdungen nicht übermäßig interessiert habe, und damit Indiens Enthalten in der UNO zum Krieg in der Ukraine verteidigt, so herrschte dieses Jahr ein anderer Ton. In einer Diskussion mit der französischen Außenministerin Colonna und dem britischen Außenminister Cleverly wurden diese zweimal angeherrscht, wieso in Europa eigentlich niemand Frieden wolle. Russlands Krieg, so mein Eindruck, wurde weniger als eine geteilte Verantwortung für die internationale Gemeinschaft angesehen, die man auch gemeinsam bewältigen müsse, sondern eher als ein lästiges europäisches Problem, an dem vor allem der Rest der Welt leide. Giorgia Meloni hatte in ihrer Eröffnungsrede das Thema zwar durchaus – auf eine meines Erachtens gute Weise – angesprochen, aber erntete dafür wenig Resonanz. In etlichen Reden von VertreterInnen der indischen Regierung klang es im übrigen so, als habe man das Fragezeichen hinter „Lighthouse in the Tempest“ nur aus Höflichkeit gesetzt, sei aber eigentlich der Meinung, dahin gehöre ein Ausrufezeichen. Indien will dieser Leuchtturm sein! Ein Indien, das sich sowohl als „Mutter der Demokratie“ versteht als auch als Stimme des globalen Südens (wobei sich dass insbesondere gegen Peking richtet) als auch als authentischer Vertreter ethischer Prinzipen in den internationalen Beziehungen als auch als globale Brücke zwischen Nord und Süd als auch als der große wirtschaftliche Hoffnungsträger. Ein Minister der indischen Regierung prognostizierte zur großen Begeisterung des Publikums ganz selbstgewiss, bis zum 100. Jahrestag der Unabhängigkeit Indiens 2047 werde das indische Bruttosozialprodukt von derzeit etwas über 3 Billionen Dollar auf 40 Billionen gewachsen sein. Das passte alles ganz perfekt zu der offenbar von Ministerpräsident Modi ausgegebenen Parole, die nächsten 25 Jahre würden für Indien eine goldene Zeit sein.

Ich kenne Indien nicht gut genug, um diese Stimmung, die ich auf der Konferenz wahrnahm, treffend analysieren zu können, aber ich will einige Motive nennen, die ich vermute . Mehr Aufmerksamkeit für Indien aus den USA und aus Europa wegen der Konkurrenz mit China stärkt Delhis Selbstbewusstsein. Dass es gelingt, mit einer Russlandpolitik, die dem Werben aus euro-atlantischen Hauptstädten widersteht, nicht isoliert zu werden, hat denselben Effekt. Indiens Anspruch, Stimme des globalen Südens zu sein, erscheint mir als eine Mischung aus tatsächlicher Süd-Süd-Solidarität und auf den Wettbewerb mit Peking gerichtete Autosuggestion. Schließlich ist auch unübersehbar, dass die indische Regierung zunehmend auf Hindu-Nationalismus setzt. Im Ergebnis ist beim Raisina Dialog dieses Jahr überdeutlich geworden, dass völlig ausgeschlossen ist, was mir schon letztes Jahr bei den vielfältigen europäischen Plädoyers dort für eine indische Unterstützung unserer Position gegenüber Russland als unplausibel erschien: Indien wird sich nicht einem US-geführten Lager, einem „westlichen“ Lager anschließen; Indien will ein eigenes Lager bilden, selber eines unter den Erste-Reihe-Schwergewichten in der Welt sein, dementsprechend gab es durchaus etliche Äußerungen, die ich als Ausdruck eines indischen Exzeptionalismus einordnete. In Verfolgung seiner Interessen ist Indien durchaus bereit zur Kooperation, aber auf Augenhöhe, daran ist, um das klar zu sagen, nichts zu bemänteln und nichts zu bemängeln. Wir Europäer (und auch die USA!) hätten längst die Gelegenheit und die Pflicht gehabt, Indien gegenüber eine Kooperation auf Augenhöhe anzubieten. Ob wir das heute endlich tun? Ich bin überzeugt, dass es eine grandiose geostrategische Fehlleistung unsererseits wäre, diese nicht endlich energisch anzupacken. 

Eine Gelegenheit zu demonstrieren, ob die EU diese Lektion verstanden hat, bietet sich in den aktuellen Verhandlungen über ein Freihandelsabkommen zwischen der EU und Indien. 2006 bis 2013 war schon einmal quälend und am Ende erfolglos über ein solches Freihandelsabkommen verhandelt worden, dann gaben beide Seite frustriert auf. Letztes Jahr ist nun der Ball wieder aufgenommen worden, das Spiel neu gestartet. Weder Indien noch die EU kann es sich leisten, zum zweiten Mal gegen die Wand zu rennen. Wir sind zum Erfolg verdammt. Das geht aber nur bei einem realistischen Grundansatz. Die Vorstellung eines „deep and comprehensive“ Freihandelsabkommens, die dem vom Rat der Europäischen Kommission gegebenen Mandat zu Grunde liegt, ist vollständig illusionär. Ein Abkommen wie mit Singapur etwa, wird es nicht geben, auch nicht in 15 Jahren. Andererseits ist Indiens Ambition, die vor allem auf die sogenannten „Low Hanging Fruits“ fokussiert, dann doch zu bescheiden. Wir müssen einen mittleren Weg finden. Und wir haben nicht endlos Zeit. Beide Seiten haben sich zusammen vorgenommen bis Ende 2023 Nägel mit Köpfen zu machen, weil dann dort wie hier Wahlen anstehen. Der Zeitplan ist inzwischen ziemlich ehrgeizig, aber nicht unmöglich. Bundeskanzler Scholz hat bei seinem Indienbesuch gesagt, er würde Druck machen, damit es vorangeht bei den Verhandlungen. Das finde ich gut, aber er kann noch mehr tun. Er kann dafür sorgen, dass die Kommission hinsichtlich des Verhandlungsmandates die erforderliche Flexibilität eingereicht bekommt, um ein praktikables Ergebnis erzielen zu können. Auch das Europäische Parlament muss sich, denke ich, mit der Frage beschäftigen, dass es vielleicht nicht alle seine handelspolitischen Idealvorstellungen in diesem Abkommen mit Indien realisiert sehen kann. Meine Quintessenz ist relativ einfach: Wir brauchen als Europäer die Kooperation mit Indien, wenn wir Alternativen zur Chinaabhängigkeit entwicklen wollen. Indien braucht, bei allem Selbstbewusstsein, immer noch uns. Eine handelspolitische Vereinbarung, die beiden Perspektiven nützt, obwohl sie nicht perfekt ist, ist immer besser als die Verfolgung einer Chimäre, aus der nun einmal keine Wirklichkeit wird. Es ist nicht so, dass das gegenseitige Vertrauen im europäisch-indischen Verhältnis grenzenlos wäre. Dafür gibt es zu viele schwierige historische Erfahrungen. Also müssen wir in den Gewinn von gegenseitigem Vertrauen investieren. Nicht nur handelspolitisch, sondern auch sicherheitspolitisch und auf anderen Ebenen, aber ohne die ökonomische Dimension blieb alles Stückwerk. 

Ich habe in Brüssel bei etlichen GesprächspartnerInnen viel Verständnis dafür gefunden, dass sich an dieser Stelle Chancen und Risiken treffen, wenn wir die Chancen nicht wahrnehmen, vermehren wir die Risiken. Das wäre doch gelacht, wenn die europäischen Institutionen dieser Herausforderung nicht gewachsen wären, oder? 

SONST NOCH

Am Montag, dem 6. März traf sich die China-Delegation im Europäischen Parlament, um über die aktuellen Entwicklungen in Tibet zu sprechen. Eine Aufzeichnung der Veranstaltung findet sich hier.

Am Dienstag, dem 7. März habe ich ein Webinar zum Thema: „Chinese expats in Europe and China’s diaspora policy“ organisiert. Der Stream zu der Veranstaltung.

In der Landesvertretung von Nordrhein-Westfalen in Brüssel habe ich am Donnerstag, dem 9. März eine Diskussionsrunde zur EU-Taiwan-Studie von den ProfessorInnen Dr. Jörn-Carsten Gottwald, Dr. Steffi Weil und Dr. Markus Taube veranstaltet. Die Studie und die Diskussionsrunde können unter den Links nachverfolgt werden.

Aktuell tagt der chinesische Volkskongress in der Großen Halle des Volkes in Peking. Dort wurde Xi Jinping für eine dritte Amtszeit als Staatspräsident bestätigt. Meine Pressemitteilung dazu findet sich hier.

Nächste Woche ist Plenarsitzung des Europäischen Parlaments in Straßburg, hier die regelmäßig aktualisierte Tagesordnung.

Außerdem findet vom 17.03. bis 19.03 der Europakongress von BÜNDNIS90/ DIE GRÜNEN in Berlin statt. Dort arbeiten wir an unserem Wahlprogramm für die Europawahl 2024.