Fünf Hongkonger DemokratInnen vor Gericht | BÜTIS WOCHE #236

In Hongkong stehen demnächst fünf Personen aus der demokratischen Opposition vor Gericht, die die ganze Vielfalt, Energie, Redlichkeit, Hartnäckigkeit, Kreativität und Überzeugungskraft repräsentieren, mit der das demokratische Lager Hongkongs in langjährigen Auseinandersetzungen immer wieder Hoffnung und Widerstand gegen Pekings Strategie der Unterdrückung mobilisierte. Dass die fünf vor Gericht stehen und gewiss verurteilt werden, das zeigt, wie rabiat die von Peking kontrollierte Hongkonger Führung ein Polizeistaatsregime durchzusetzen gedenkt. Die fünf Personen, um die es mir hier geht, sind beileibe nicht die einzigen, die für ihr demokratisches Engagement in Hongkong einen hohen Preis zahlen. Viele namhafte wie Jimmy Lai, Benny Tai und Joshua Wong sind dabei, aber auch viele, die in Europa weitgehend namenlos geblieben sind, obwohl sie eine wichtige Rolle gespielt haben, wie die Journalisten, Cheung Kim-hung, Ryan Law, Lam Man-chung, Fung Wai-kong, Chan Pui-man und Yeung Ching-kee von Apple Daily. Das Interesse der Weltöffentlichkeit richtet sich heute weniger auf Hongkong. Umso wichtiger ist es, den aktuellen Prozess zum Anlass zu nehmen, um die Solidarität zu erneuern.

Vor Gericht stehen der 90-jährige Kardinal Joseph Zen, die Sängerin und LGBTQ+ Aktivistin Denise Ho, die Vizevorsitzender der Labour Partei und ehemalige Abgeordnete Cyd Ho, der Akademiker Hui Po-keung, dem seine Universität nach über zwanzig Jahren letztes Jahr kündigte und die ehrwürdige Politikerin, Journalistin, Rechtsanwältin und Philosophin Margaret Ng. Vorgeworfen wird ihnen nach dem sogenannten Nationalen Sicherheitsgesetz, das man korrekterweise ein Staatssicherheitsgesetz nennen sollte, Kollusion mit ausländischen Kräften. Die Maximalstrafe könnte lebenslänglich sein. Der Sachverhalt, der dort abgeurteilt werden soll, hat mit dem absurden Vorwurf gar nichts zu tun. Die fünf Personen waren die Treuhänder eines humanitären Unterstützungsfonds, des 612 Humanitarian Relief Fund, der am 15. Juni 2019 gegründet wurde, um Personen zu unterstützen, die während der großen demokratischen Demonstrationen in Hongkong angegriffen, bedroht, verletzt oder festgenommen worden waren, und zwar mit juristischer, medizinischer, psychologischer und finanzieller Hilfe. Im Oktober 2021 wurde der Fond geschlossen, nachdem die Polizei eine Untersuchung begonnen hatte. Wenn jetzt die Treuhänder des Fonds verurteilt werden, wird das auch Auswirkungen haben für die tausenden Menschen, die immer noch wegen der Proteste der Jahre 2019-2020 mit Strafverfolgung rechnen müssen und deren Verteidigungskosten sich auf hunderttausende Hongkong Dollar belaufen könnten. Crowdsourcing für diese Kosten ist natürlich unter den gegebenen Repressionszuständen sowieso extrem schwierig, wird aber durch die Illegalisierung des Versuchs der Gewährleistung von Rechtshilfe und anderer Unterstützung noch einmal viel schwieriger, sodass viele Betroffene damit rechnen müssen, sich nicht angemessen verteidigen zu können. Die fünf Angeklagten vertreten die Rechtsauffassung, dass sie nach Hongkongs Grundgesetz das Recht auf ihrer Seite hatten und haben sich für unschuldig erklärt. Der Prozess ist auf fünf Tage angelegt und wird Hongkongs Grundgesetz genauso wenig respektieren wie den International Covenant on Civil and Political Rights oder auch nur eine einfache Unschuldsvermutung bis zum Erweis des Gegenteils.

Wer sind die fünf Angeklagten? Kardinal Zen war von 2002 bis 2009 der sechste Bischof von Hongkong. In seiner Jugend war er vor den Kommunisten von Shanghai nach Hongkong geflohen, hatte in Rom Theologie und Philosophie studiert und war 2006 von Benedikt XVI. ins Kardinalskolleg aufgenommen worden. Kardinal Zen ist ein konservativer Katholik, der sich nicht gescheut hat, öffentlich Papst Franziskus für seine Diplomatie gegenüber der Kommunistischen Partei Chinas zu kritisieren. Kardinal Zen hat sich über viele Jahre immer wieder für demokratische Reformen in Hongkong eingesetzt. Er organisierte einen „walkathon“ für das allgemeine Stimmrecht, das den Hongkongern verweigert ist. Er las Messen zur Erinnerung an das Tiananmen Massaker. Er besuchte die Aktivisten der Occupy Bewegung 2014, um sie moralisch zu unterstützen. Er besuchte viele Gefangene, um ihnen Trost zuzusprechen, und er unterstützte aktiv als herausragende Persönlichkeit die demokratische Bewegung der Jahre 2019-2020.

Denise Ho ist gerade mal halb so alt wie der Kardinal. Sie hat sich als Sängerin einen Namen gemacht und weil sie 2012 bei der vierten Hongkonger Pride Parade als erste Mainstreamsängerin in Hongkong ihr Coming Out als lesbische Frau hatte. Sie unterstützte die Regenschirmbewegung 2014 und wurde deswegen von der Volksrepublik mit einem Einreiseverbot belegt. Sanktioniert wurde sie zwei Jahre später auch von einer französischen Kosmetikmarke, die ein Konzert absagte, weil sie von der ultranationalistischen Global Times unter Druck gesetzt worden war. Denise Ho hat sich für Tibet eingesetzt und gerade in den letzten Jahren an internationalen Menschenrechtsforen teilgenommen.

Cyd Ho, im Alter zwischen den beiden Vorgenannten, kommt aus der Textilindustrie, wo sie seit 1979 arbeitete. Sie hat seit 1993 in verschiedenen liberalen und demokratischen Initiativen mitgewirkt, war Vorsitzende des Hong Kong Human Rights Monitor und wurde auch zweimal in den Legislativrat Hongkongs gewählt und zwar für die Labour Party, der sie seit 2011 angehört. Sie hat sich früh für gleichgeschlechtliche Ehen und andere LGBT-Rechte eingesetzt und wurde deswegen viel angefeindet. Am 18. April 2020 wurde sie zusammen mit vierzehn anderen profilierten Hongkonger demokratischen Personen unter dem Vorwurf festgenommen, zwischen August und Oktober 2019 unautorisierte Versammlungen und Demonstrationen organisiert zu haben.

Hui Po-keung ist vor allem als prominenter Vertreter kultureller Studien bekannt geworden. Nach mehr als zwanzig Jahren Arbeit an der Hongkonger Lingnan Universität, neben der er auch als Kommentator und fleißiger Autor aktiv war, wurde ihm im Herbst 2021 von seiner Universität ohne Angabe von Gründen gekündigt. Er hat in seiner Arbeit viele Menschen der jüngeren Generation motiviert, darunter den ehemals jüngsten LegCo Abgeordneten Nathan Law. Seine Hauptarbeitsgebiete lagen im Bereich der Bildung, der Kultur, der Geschichte des Kapitalismus und der Märkte und der Untersuchung alternativer Entwicklungskonzepte.

Margaret Ng ist bald 75 Jahre alt. Sie hatte im Laufe ihres Lebens viele herausragende Positionen. Sie arbeitete an der University of Hong Kong und für die Chase Manhattan Bank, sie war Herausgeberin und stellvertretende Chefredakteurin der Zeitung Ming Pao, Kolumnisten der South China Morning Post. Sie ist Rechtsanwältin, aber auch Expertin in den Bereichen Philosophie und Literatur. Sie war Direktorin von Stand News und hatte die Civic Party in der LegCo vertreten. Auch für Sie hatte die Volksrepublik die Grenzen seit 1999 geschlossen. Sie wurde im April 2021 zu zwölf Monaten Gefängnis verurteilt, wegen des Verdachts sie habe 2019 verschiedene unautorisierte Versammlungen mitorganisiert und dafür geworben.

Zen, Ho, Ho, Hui und Ng – diese fünf Menschen haben mit ihrem langjährigen Engagement für Demokratie ein Beispiel gegeben, ermutigt, geführt. Dass die Strafverfolgung sie nun brechen kann, glaube ich nicht, aber wir sind dazu verpflichtet, sie für ihren Einsatz dadurch zu ehren, dass wir ihre Geschichte erzählen, dass wir ihre Erinnerung wachhalten, dass wir unsere Solidarität deutlich artikulieren, so wie es das Europäische Parlament in einer Resolution vom 7. Juli 2022 getan hat. Der Bundestag und andere nationale Parlamente könnten sich dem durchaus anschließen.



SONST NOCH

Das Thema der letzten Plenarsitzung in Straßburg war natürlich die Rede zur Lage der EU (SotEU) von Kommissionspräsidentin von der Leyen. Meine Einschätzung dazu und zu vielen weiteren Themen sind in meinen Plenarnotizen zu finden.  

Am 20.09 habe ich auf einer Veranstaltung von BusinessEurope über das Thema „EU-China relations: Engaging with a systemic rival“ diskutiert. Mit dabei waren María Martín-Prat (Deputy Director-General, DG Trade, European Commission), Markus J. Beyrer (Director General, BusinessEurope) und Wolfgang Niedermark (Member of the Executive Board, BDI; Chair of BusinessEurope’s China Network). 

Vom 21. – 23.09 bin ich mit meiner Greens/EFA-Kollegin Tineke Strik in Nordmazedonien. Wir treffen u.a. NGOs und VertreterInnen verschiedener Parteien. 

Am 26.09 werde ich in der Hessischen Vertretung bei der EU mit HandwerksverterInnen über aktuellen Fragen der EU-Politik sprechen.



Copyright Bilder
Cardinal Joseph Zen: By Jindřich Nosek (NoJin) – Own work, CC BY-SA 4.0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=83620032
Denise Ho: By Senator Todd Young – https://twitter.com/SenToddYoung/status/1173966350756253697, Public Domain, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=82447825
Cyd Ho: By Iris Tong – http://www.voacantonese.com/content/cantonese-it-hong-kong-protest-to-oppose-cy-leung-first-policy-address-0127/1591703.html, Public Domain, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=39589519
Hui Po-keung: Global University for Sustainability, https://our-global-u.org/oguorg/en/hui-po-keung/
Margaret Ng: By VOA – https://www.voacantonese.com/a/hk-concern-group-urge-govt-to-withdraw-co-location-bill/4301859.html, Public Domain, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=67604832