In den letzten zwei Wochen hat sich in der Handelspolitik global, in der EU und auch in Deutschland mehr bewegt als davor in vielen Jahren. Diese Bewegung ist positiv. Sie zeigt auch, dass es uns Grünen teilweise durchaus gelingt, Einfluss zu Gunsten einer progressiven, sozial und ökologisch verantwortlicheren Handelspolitik auszuüben.
Vom 12. bis zum 17. Juni fand in Genf im Hauptquartier der Welthandelsorganisation WTO deren 12. Ministerkonferenz statt. Das Ergebnis dieser Konferenz muss man als einen überraschenden Erfolg bezeichnen. Durch dieses sogenannte „Genfer Paket“ wird die WTO, der manche schon das Totenglöckchen geläutet hatten, gestärkt. Drei Dinge stechen hervor. Erreicht wurde: Eine Entscheidung über Fischereisubventionen um die 21 Jahre gerungen worden war; eine Übereinkunft für eine Ausnahme beim Patentschutz (Trips-waiver) für Covid-19 Impfstoffe wurde verabredet; Beiträge zu einer WTO-Reform, einschließlich Schritten zur Wiederherstellung der Schiedsgerichtsbarkeit zweiter Instanz in Handelsstreitfragen, wurden ebenfalls angepackt. Wer sich für nähere Details interessiert kann sie hier finden. Zurecht war WTO-Generaldirektorin Ngozi Okonjo-Iweala stolz, sie betonte: „die Ergebnisse zeigen, dass die WTO-Mitglieder über geopolitische Bruchlinien hinweg zusammenkommen können, um Probleme des globalen Gemeinwohls zu adressieren und die Institutionen der WTO zu stärken.“ Okonjo-Iweala ging sogar noch weiter und sagte: „Handel ist ein Teil der Lösung für die Krisen unserer Zeit“.
Dieser letzte Satz bleibt sicher manchen Grünen und manchen AktivistInnen zu handelspolitischen Themen erst einmal im Halse stecken. Das ist nicht die Erfahrung mit Handelspolitik, die so viele von uns gemacht haben. Handel hat zur Ausbeutung, zur Umweltzerstörung, zur Untergrabung der Existenzbedingungen der Armen in vielen Ländern und zur korrupten Bereicherung von Eliten so viel beigetragen! Und doch stimmt der Satz der Generaldirektorin, wenn man ihn etwas modifiziert: „Handel kann Teil der Lösung für die Krisen unserer Zeit sein.“ Dann, wenn die politischen Rahmenbedingungen für den Handel entsprechend gesetzt werden. Wenn Handel Resilienz fördert und nicht nur die ewige Jagd nach dem um 0,5 Cent billigeren Anbietern für die jeweils eigene Zulieferkette. Wenn Handel an dem Pariser-Abkommen und den Nachhaltigkeitszielen ausgerichtet wird und nicht nur der Externalisierung ökologischer Kosten dient. Wenn Handel Menschenrechte ernst nimmt, statt gegenüber moderner Sklaverei Ignoranz und Gleichgültigkeit an den Tag zu legen. Wenn Handel vereinbarte Arbeitsschutzstandards, etwa die der internationalen Organisation ILO, durchsetzbar macht. Wenn Handel Gerechtigkeit fördert statt unfairen Wettbewerb und Ausbeutung. Wenn Handel nicht örtliche und regionale Wirtschaftskreisläufe zerstört, sondern sie gegen Dumpingkonkurrenz schützt. Für eine sich in diesem Sinne erneuernde Handelspolitik der EU treten wir Grüne ein. Dabei ist klar, dass es einen revolutionären Umschwung, bei dem von heute auf morgen alles anders wird, nicht gibt; vielmehr geht es um ernsthafte systemische Reformen. Beim letzten Council-Meeting der Europäischen Grünen in Riga haben Anna Cavazzini und ich den Delegierten den Entwurf eines handelspolitisches Papiers vorgelegt und zur Diskussion gestellt, mit dem wir entscheidende Schritte in die genannten Richtungen beschreiben. Auf dieser Grundlage soll beim nächsten Council, so heißen in Europa die Parteitage, zum ersten Mal eine gemeinsame handelspolitische Position der europäischen Grünen erarbeitet und beschlossen werden.
Im Europäischen Parlament machen wir seit mehreren Legislaturperioden Druck für solche Veränderungen der europäischen Handelspolitik und profitieren dabei auch davon, dass alle diese Fragen eigentlich seit der großen Debatte über das transatlantische TTIP-Abkommen, das 2016 scheiterte, im öffentlichen Interesse enormes Gewicht und große Mobilisierungsfähigkeit gewonnen haben. Dass die internationale Klimapolitik nicht erfolgreich sein kann, wenn im Bereich des Handels der Kampf gegen den Klimawandel keine Rolle spielt und nur für Sonntagsreden dient, das ist schlechterdings nicht zu bestreiten. So gibt es auch in der EU, genauer gesagt bei der EU-Kommission, zunehmend Ansätze zu einer Handelspolitik, die sich von der unterscheiden soll, die etwa zu solch veralteten Verabredungen wie bei dem Mercosur-Abkommen geführt hat. Doch ein gut gemeintes Versprechen allein macht noch keine neue Realität. Umso wichtiger ist es deshalb, dass die Kommission jetzt mit ihrem Strategiepapier: „The power of trade partnerships: together for green and just economic growth“ sechs Prioritäten präsentiert hat, um dazu beizutragen, dass der internationale Handel einen positiven Einfluss auf Klima, Biodiversität und Arbeitsbedingungen nehmen soll. In der Vergangenheit waren die Kapitel in Handelsabkommen zum Thema Handel und Nachhaltigkeit mehr Fassadenbegrünung als strukturelle Umorientierung. Jetzt sollen diese Kapitel, genannt: „Trade and Sustainable Development chapters“, im Zweifel durch Handelssanktionen auch durchsetzbar gemacht werden. Dazu soll mit Partnerländern produktiv an den Ausformulierungen entsprechender Ziele in den Verträgen gearbeitet werden. Es soll jeweils landesspezifische Herangehensweisen geben, Nachhaltigkeit soll in den Handelsabkommen auch außerhalb von TSD chapters integriert werden. Die Überwachung der Umsetzung soll verbessert werden und die Zivilgesellschaft soll dabei eine hervorgehobene Rolle spielen. Das Dokument der Kommission ist hier zu finden.
Wir Grüne im Europäischen Parlament begrüßen diese Initiative der Kommission. Insbesondere sind wir froh, dass die Kommission bereit ist, gegebenenfalls auch zu Sanktionen zu greifen. Wir haben Kritik daran, dass das Mainstreaming von Nachhaltigkeit in Handelsverträgen von der Kommission nicht konsequent genug verfolgt wird. Wir hätten uns auch gewünscht, dass jeweils der Vorrang des Sustainable Development Goals für die Handelsverträge festgeschrieben werden würde. Wir würden gerne auch zu dem Mittel greifen, bestimmte Verpflichtungen aus Handelsverträgen schon vor deren Ratifizierung durchzusetzen und nicht erst danach darauf zu hoffen. Und schließlich ist es natürlich ein Manko, dass Freihandelsabkommen, die gegenwärtig verhandelt werden oder schon abgeschlossen sind, von der neuen Herangehensweise erst einmal nicht berührt sein sollen. Trotzdem: insgesamt sehen wir Schritte in die richtige Richtung. Interessant ist in diesem Zusammenhang auch ein handelspolitisches Positionspapier von 15 EU- HandelsministerInnen, das auch Robert Habeck mit unterschrieben hat.
Und dann gibt es noch die Bundesebene. Auf der haben die Ampelkoalitionspartner gerade eine gemeinsame handelspolitische Positionierung verabredet. Dazu schreibt die Grüne Bundestagsfraktion am 23.06.: „Die Verhandlungen sind heute zu einem guten Ergebnis gekommen.“ Ein Streitpunkt war dabei die Frage der Ratifizierung des Wirtschafts- und Handelsabkommens mit Kanada (CETA). FDP und SPD ebenso wie CDU, CSU und die Wirtschaft drängen seit langem auf die Ratifizierung und bedienten sich dabei der polemischen Frage, mit wem man denn wohl ratifizierbare Handelsabkommen zustande bringen solle, wenn nicht mit einem Land wie Kanada. Wir hatten von Anfang an wegen der in dem Abkommen enthaltenen, die demokratischen Regeln einschränkenden Model von Investor-Staats-Schiedsgerichten Vorbehalte. Die Ampel hat sich nun auf ein Vorgehen geeinigt, um diese problematischen Aspekte einzuschränken. Das soll im Rahmen einer gemeinsamen Erklärung Kanadas und der EU im gemeinsamen Ausschuss des CETA-Abkommens geschehen. Danach soll dann die Ratifizierung stattfinden können.
Die Ampelkoalition hat jedoch noch wichtige weitere Verabredungen getroffen. Etwa zur künftigen Gestaltung von Investitionsschutzabkommen; insbesondere soll das Recht auf gemeinwohlorientierte Regulierung sichergestellt werden. Auch die demokratische Mitgestaltung von Handelsabkommen soll durch eine stärkere Einbindung des Europäischen Parlaments in die sogenannte regulatorische Kooperation erfolgen. Und schließlich soll die Fehlsteuerung durch den seit den 1990er Jahren bestehenden Energiecharta-Vertrag beendet werden. Die Zustimmung Deutschlands zu der derzeit verhandelten Reform dieses Vertrages soll es nur geben, wenn dieser an den Klimazielen ausgerichtet wird. Gelingt das nicht und bleiben auch andere kritische Punkte unberücksichtigt, wird die Bundesregierung die EU-Kommisson auffordern entsprechende Konsequenzen zu ziehen bis hin zu einem Ausstieg aus dem Energiecharta-Vertrag. In puncto Mercosur geht die jetzt getroffene Verabredung nicht hinter die Festlegung des Koalitionsvertrages zurück, der Schutz von Klima, Regenwäldern und Menschenrechten muss gesichert sein! Nur in diesem Sinne ist eine Ratifizierung des Mercosur-Abkommens möglich. Die Ampelvereinbarung findet sich hier.
Dass in so kurzer Zeit so viele handelspolitische Weichen neu gestellt werden, das hat sicher nicht nur einen Grund. Aber ohne Zweifel hat auch die Notwendigkeit einer Neubestimmung der internationalen Politik der EU insgesamt, infolge der Zeitenwende, dazu beigetragen die Fragen der Handelspolitik mit größerer Dringlichkeit zu verfassen. Ich finde das gut und ich glaube, wir Grüne können auch in diesen Debatten, so wie wir es auf anderen Feldern der Wirtschaftspolitik schon tun, zur treibenden Kraft einer progressiven, ökologischen und sozialen Politik werden.
Sonst noch.
Am 20.6 hielt ich online eine Keynote zu den Themen Nachhaltigkeit, Kreislaufwirtschaft, Rohstoff- und Handelspolitik bei der Intergalva 2022.
Meine Erklärung zum Treffen der EU-Außenminister in Luxemburg.
Am 21.6 nahm ich Rahmen der Global Development Days an einer Diskussion zur „The EU’s Global Gateway: market creation or international development?“ teil.
Am 23.6 bin ich nach Portugal gereist, um einem Treffen der China Strategy Group beizuwohnen.
Meine Presseerklärung zum EU-Gipfel, auf dem über den möglichen Kandidatenstatus der EU entschieden wird. Und hier meine Redezeit zum European Council.