Neue Führung, neues Spiel | BÜTIS WOCHE #218

Die 47. Bundesdelegiertenkonferenz von Bündnis 90/Die Grünen hat am Wochenende eine neue Parteiführung gewählt, einen auf fünf Positionen neu besetzten Bundesvorstand und auch einen neuen Parteirat, in dem von sechzehn Positionen neun neu besetzt wurden. Einen so großen personellen Umbruch hat es lange nicht gegeben. Natürlich sind „die Alten“ nicht einfach verschwunden; Annalena Baerbock, Robert Habeck, Anne Spiegel, Michael Kellner und Franziska Brantner haben jetzt herausgehobene Positionen als MinisterInnen oder StaatssekretärInnen in der Bundesregierung. Doch der große personelle Wechsel spiegelt in besonderer Weise noch einmal die neue Lage der Partei nach Eintritt in die Bundesregierung. Es ist ein neues Spiel.

Die neue Führung ist vielfältig. Elf Bundesländer sind in ihr vertreten, darunter vier aus dem Osten. Nur sieben Mitglieder des Parteirates kommen aus der Bundespolitik; zwei vertreten die Europafraktion und weitere sieben die Länder, Kommunen und Bundesarbeitsgemeinschaften. Es ist eine bunte Führung und eine junge; über 60 Jahre alt ist niemand. Strömungspolitisch wurde die Zusammensetzung bei der Wahl fein austariert.

Die ersten Reaktionen aus den Medien waren sich in einer Bewertung einig: Auf die neue Parteiführung kommen vielfältige Herausforderungen zu. Ein besonders allwissender Kommentator im Tagesspiegel verkündete dabei sogar schon, dass die neuen Parteivorsitzenden Ricarda Lang und Omid Nouripour auf keinen Fall würden „blühen“ können. Andere, die die Grünen schon länger kennen, waren in ihrem Urteil vorsichtiger. Die neuen Vorsitzenden selbst zeigten sich sowohl von der Größe der Herausforderungen, die auf sie zukommt, beeindruckt als auch willens, diese gestaltend anzunehmen. Aus der Partei haben sie, das zeigten die guten Wahlergebnisse, einen Vorschuss bekommen. Und das, obwohl durchaus auch an verschiedenen Stellen zu beobachten war, dass keineswegs überall nur Selbstzufriedenheit herrscht. Nur zwei Diskussionsbeiträge bei der Bundesdelegiertenkonferenz äußerten sich unumwunden kritisch zur Lage der eigenen Partei. Der von Winfried Kretschmann und der des fundamentalistischen Gegenkandidaten zu Omid Nouripour, Mathias Ilka, der für seine Kandidatur jedoch nur 17 Stimmen bekam. Dass es durchaus Potenzial für ernsthafte innerparteiliche Debatten um die Richtung Grüner Politik gibt, das zeigte sich allerdings exemplarisch beim Thema Taxonomie. Mit einem klugen Text wurden die Widersprüche zwischen der Erwartung der Partei und dem in der Bundesregierung Machbaren auf dem Papier versöhnt. Doch nur mit Formelkompromissen werden nicht viele der Diskussionen, die vor uns liegen, zu bewältigen sein. Das wissen die allermeisten und insbesondere weiß es der Bundesvorstand, der die Aufgabe haben wird, die Partei immer wieder zwischen Skylla und Charybdis hindurchzunavigieren. Manche Beobachter gehen davon aus, dass auf jeden Fall in den nächsten Jahren die BundesministerInnen oder allenfalls die Bundestagsfraktion im Zentrum der Grünen Politik stehen werden. Plausibel ist die Annahme, dass sie vom Licht der Öffentlichkeit wohl den Löwenanteil abbekommen werden. Aber wenn das Grüne Projekt auf die Exekutivperspektive verengt würde, wäre das nicht gut. Die strategische Integration aller Dimensionen Grüner Wirksamkeit vom Bundeskabinettssaal über die Länderregierungen, die Kommunalpolitik, Bündnispolitik mit wichtigen gesellschaftlichen Gruppen und die Grüne Präsenz in und Kooperation mit vielfältigen gesellschaftlichen Bewegungen, das ist die zentrale Herausforderung an die Parteiführung.

Viermal dieses Jahr wird unsere Fähigkeit als Partei, den Herausforderungen gewachsen zu sein, in Landtagswahlen unter Beweis zu stellen sein: nämlich bei den Landtagswahlen im Saarland (27.3.), in Schleswig-Holstein (8.5.), in Nordrhein-Westfalen (15.5.) und in Niedersachsen (9.10.). Das bedeutet jetzt schnell zu adressierende Anforderungen an die Grüne Kampagnenfähigkeit: Die Bundesvorsitzenden und die neue Bundesgeschäftsführerin Emily Büning haben in ihren Kandidaturreden das Thema angesprochen. Viel Zeit zur Vorbereitung ist nicht. Und ganz sicher muss einiges anders gemacht werden als bei der Bundestagswahlkampagne. Das in jenem Wahlkampf gegebene Versprechen, dass Veränderung Halt schaffe, war, weil zu selbstgewiss, nicht glaubwürdig. An dem Punkt hatte Kretschmann zweifellos recht. Wir brauchen ein wirksames Sicherheitsversprechen. Keines, das Sicherheit zwar im Munde führt, aber gleichzeitig so tut, als wären Veränderungen an und für sich gut. Den Anspruch, in die ganze Gesellschaft auszugreifen und dabei den ernsthaften Dialog zu suchen mit Positionen, die mit uns gar nicht einig sind, diesen Anspruch, den Annalena Baerbock und Robert Habeck in den vier Jahren ihrer Amtszeit im Bundesvorstand stark gemacht haben, den Anspruch müssen wir festhalten. Einfach wird es nicht mit „der Wirtschaft“, von der nicht nur Winfried Kretschmann emphatisch sprach, und zugleich etwa mit „Fridays for Future“, die bei der BDK deutlich weniger genannt wurden, eine produktive Zusammenarbeit zu entwickeln. Aber ernsthaft umstritten ist dieser Kurs nicht und beide Bundesvorsitzenden signalisierten, dass sie ihn fortsetzen wollen.

Ich bin guter Dinge, dass das gelingen wird. Viel Erfolg für Ricarda, Omid, Emily, Pegah, Heiko und Marc!

SONST NOCH

  • „Bütikofer: Bündnispartei ‚reale Option‘ für Partei“ – mein Interview mit phoenix bei der Bundesdelegiertenkonferenz.
  • Zusammen mit vielen ParlamentarierkollegInnen und vielen Grünen FreundInnen nutze ich die Eröffnung der Winterspiele in Peking zum Protest gegen die brutale Unterdrückung von Menschenrechten in dem Land, vor allem gegenüber der muslimischen Minderheit der UigurInnen in Xinjiang: „Defend Human Rights In China“. #No2SlaveLabour. Die Fotos und weitere Informationen findet Ihr hier.
  • Hier ein kurzer Bericht des RND zu meiner Kritik an der China-Politik des IOC: „Experte Bütikofer: ,Furcht und Gier treiben die China-Politik des IOC’“.
  • Gemeinsam mit vielen KollegInnen im Europäischen Parlament äußere ich in einem offenen Brief an EU-Kommissionspräsidentin von der Leyen und EU-Kommissar Breton meine Sicherheitsbedenken bezüglich der Mobiltelefone von Xiaomi und bitte in diesem Zusammenhang um Beantwortung einiger Fragen.
  • Am 9.2. spreche ich im Rahmen der Ringvorlesungsreihe „Digitale Transformation im chinesischen Kulturraum“ der Universität Trier zum Thema „Wie Deutschland und Europa auf die technologische Herausforderung China reagieren sollten“. Hier gibt es weitere Informationen sowie die Möglichkeit zur Anmeldung für die Online-Veranstaltung.
  • Die Wahl von Heiko Knopf zum stellvertretenden Bundesvorsitzenden kostet mich meine bisherige Mitarbeiterin in Erfurt, Stella Versimer, die in Zukunft für ihn arbeiten wird. Ich wünsche ihr dabei nach 4,5 Jahren Zusammenarbeit in Schwerin und in Erfurt alles Gute, bin ihr sehr zu Dank verpflichtet und möchte diejenigen, die sich vorstellen können, ihre Nachfolge anzutreten, einladen, sich auf die Stelle als RegionalassistentIn zu bewerben. Bewerbungen bitte an: caroline.falk@gruene-europa.de

Fotos:
Ricarda Lang: By Stefan Müller (climate stuff) from Germany – "1JahrNurBlockiert", Demonstration von Fridays For Future, Berlin, 13.12.2019, CC BY 2.0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=85715762
Omid Nouripour: Von boellstiftung – https://www.flickr.com/photos/44112235@N04/49639276627/, CC BY-SA 2.0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=89009507