Welche Rolle spielt eigentlich Asien in den Wahlprogrammen zur Bundestagswahl? Über außenpolitische Fragen wird eine Bundestagswahl selten entschieden und doch ist es aufschlussreich für jede Analyse über die strategischen Orientierungen unserer Parteien, was sie zu außenpolitischen Fragen in ihren Wahlprogrammen für erwähnenswert halten.
Ich würde wetten, die U.S.A. kommen in jedem Wahlprogramm vor, wahrscheinlich auch Russland, Frankreich und die Türkei, vielleicht Israel und der Iran. Doch wie sieht es eigentlich mit Asien aus? Kaum ein ernsthafter Beobachter der internationalen Entwicklungen wird bestreiten, dass Asien immer stärker ins Zentrum der Weltpolitik rückt. Als Hillary Clinton vor etwa zehn Jahren als Präsident Obamas Außenministerin den „Pivot to Asia“ erfand, wurde darüber in der EU und auch in Berlin vor allem gemeckert. Heute ist die EU dabei, mit einer eigenen Indo-Pazifik-Strategie den „Pivot to Asia“ quasi nachzuvollziehen. Gewiss ist China das in der europäischen Wahrnehmung bei weitem dominierende asiatische Land, doch die Rolle von Indien, von Japan, die Bedeutung der ASEAN-Staatengruppe wird der europäischen Öffentlichkeit Stück für Stück mehr bewusst. Doch spiegelt sich das alles auch irgendwie in den Wahlprogrammen?
Mein Büro hat einmal zusammengestellt, was man im Bündnisgrünen Wahlprogramm zu den Stichworten China, Taiwan, Indien, Japan, ASEAN usw. findet. Hier sind die Textstellen:
China wird im Wahlprogramm mehrfach erwähnt:
– zu Zukunftstechnologien hier:
„Nur wenn auch der Staat seinen Teil beiträgt, wenn öffentliche und private Investitionen gemeinsam auf ein Ziel ausgerichtet werden, wird Europa den Anschluss im Bereich moderner Zukunftstechnologien halten und sich im Wettbewerb mit den USA und China behaupten können.“
(Kapitel 2: In die Zukunft wirtschaften, Ein Jahrzehnt der Zukunftsinvestitionen, S. 24)
– zum CAI hier:
„Das EU-China- Investitionsabkommen, das maßgeblich von der deutschen Bundesregierung vorangetrieben wurde, ist in den Bereichen Level Playing Field und Menschenrechte unzureichend. Wir können ihm in seiner jetzigen Form nicht zustimmen.“
(Kapitel 2: In die Zukunft wirtschaften, Wir kämpfen für einen fairen und nachhaltigen Handel, Neustart für gute Handelsverträge, S. 33)
– zum Hegemonialstreben hier:
„Mit ihrem autoritären Hegemonialstreben zwingen Staaten wie China und Russland, die Menschen- und Bürger*innenrechte systematisch aushebeln, andere Staaten nicht nur in wirtschaftliche und politische Abhängigkeit, sondern sie wollen auch Europa spalten.“
(Kapitel 6: International Zusammenarbeiten, Einleitung, S. 92)
– zur Klimapolitik hier:
„Zugleich wird eine globale sozial-ökologische Transformation ohne China, auch ohne Russland oder Brasilien, nicht möglich sein.“
(Kapitel 6: International Zusammenarbeiten, Einleitung, S. 92)
– zu Abrüstung hier:
„Angesichts der wachsenden militärischen Risiken in Europa ist eine Wiederbelebung der konventionellen Rüstungskontrolle unabdingbar. Erste Schritte sollen weitere deeskalierende Maßnahmen in Konfliktzonen sowie die Wiederaufnahme des Sicherheitsdialogs und militärischer Kontakte zwischen NATO und Russland sein. Auch über Europa hinaus wollen wir alle Länder einbeziehen, insbesondere auch China.“
(Kapitel 6: International Zusammenarbeiten, Neuer Schub für Abrüstung, S. 105/106)
Außerdem gibt es einen eigenen Absatz zu China:
„China ist Europas Wettbewerber, Partner, systemischer Rivale. Wir verlangen von China ein Ende seiner eklatanten Menschenrechtsverletzungen, etwa in Xinjiang und Tibet und zunehmend auch in Hongkong. Es braucht auch einen konstruktiven Dialog mit China, der dort eine Kooperation sucht, wo es zu konstruktiver Zusammenarbeit bereit ist, und klare Gegenstrategien bereithält, wo China systematisch versucht, internationale Standards zu schwächen. Insbesondere in der Klimapolitik streben wir gemeinsame politische, wirtschaftliche und technologische Anstrengungen sowie eine Einhaltung von nachhaltigen Produktionsstandards und einen transparenten Fahrplan zur Bekämpfung der Klimakrise, beispielsweise durch einen Kohleausstieg, in China an. Kooperation mit China darf nicht zu Lasten von Drittstaaten oder von Menschen- und Bürger*innenrechten gehen. Wir halten uns an die „Ein-China-Politik“ der Europäischen Union und betonen, dass die Vereinigung mit Taiwan nicht gegen den Willen der Bevölkerung Taiwans erzwungen werden darf. Gleichzeitig wollen wir den politischen Austausch mit Taiwan ausbauen. Unsere Handelsbeziehungen mit China wollen wir nutzen, um fairen Marktzugang für ausländische Investitionen, Rechtssicherheit und gleiche Wettbewerbsbedingungen einzufordern. Wir erwarten, dass China die entscheidenden Kernnormen der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) ratifiziert und jede Form von Zwangsarbeit beendet. Das EU-Lieferkettengesetz muss angesichts der Menschenrechtsverletzungen – etwa in Xinjiang – Waren aus Zwangsarbeit den Zugang zum Binnenmarkt ebenso verwehren, wie es Unternehmen für ihre Produkte in Haftung nimmt. Deutschland sollte sich außerdem für eine Fact-Finding-Mission zu Xinjiang im Rahmen des VN-Menschenrechtsrats einsetzen und die Unterdrückung der Uigur*innen als Völkerstraftaten bezeichnen. Dem europäisch-chinesischen Investitionsabkommen CAI können wir in seiner jetzigen Form nicht zustimmen. Wir werden an einer engen europäischen und transatlantischen Koordinierung gegenüber China arbeiten.“
(Kapitel 6: International Zusammenarbeiten, China, S. 96)
Taiwan wird im Wahlprogramm dreimal erwähnt:
„Wir unterstützen die Einbindung Taiwans in die WHO inklusive eines Beobachterstatus.“
(Kapitel 6: International Zusammenarbeiten, Resilienz gegen Epidemien erhöhen – WHO stärken, S. 95)
„Wir halten uns an die „Ein-China-Politik“ der Europäischen Union und betonen, dass die Vereinigung mit Taiwan nicht gegen den Willen der Bevölkerung Taiwans erzwungen werden darf. Gleichzeitig wollen wir den politischen Austausch mit Taiwan ausbauen.“
(Kapitel 6: International Zusammenarbeiten, China, S. 97)
„Wir setzen uns für eine freie und offene indo-pazifische Region auf der Grundlage globaler Normen und des Völkerrechts ein. Wir wollen eine umfassende Kooperation mit der Region, insbesondere in den Bereichen Rechtsstaatlichkeit und Demokratie, Stärkung des Multilateralismus und bei Digitalisierung und Klimaschutz. Australien, Japan, Neuseeland, Südkorea und auch Taiwan betrachten wir ebenso als wichtige Partnerländer, wie wir die strategischen Partnerschaften mit Indien und mit ASEAN ausbauen wollen.“
(Kapitel 6: International Zusammenarbeiten, Indo-Pazifik, S. 97)
Zur Indo-Pazifik-Politik gibt es im Wahlprogramm einen eigenen Absatz:
„Wir setzen uns für eine freie und offene indo-pazifische Region auf der Grundlage globaler Normen und des Völkerrechts ein. Wir wollen eine umfassende Kooperation mit der Region, insbesondere in den Bereichen Rechtsstaatlichkeit und Demokratie, Stärkung des Multilateralismus und bei Digitalisierung und Klimaschutz. Australien, Japan, Neuseeland, Südkorea und auch Taiwan betrachten wir ebenso als wichtige Partnerländer, wie wir die strategischen Partnerschaften mit Indien und mit ASEAN ausbauen wollen. Die Stärkung der Zivilgesellschaften ist ein integraler Bestandteil unserer Indo-Pazifik-Strategie. Wir entwickeln eine indo-pazifische Handelspolitik, die nachhaltige bilaterale Handelsbeziehungen mit gleichgesinnten Partner*innen in einem multilateralen Rahmen vorsieht, demokratisch und transparent zustande kommt und sich für globale Gemeinwohlinteressen wie Klimaschutz, Sozialstandards und Menschenrechte einsetzt. Wir streben an, einen intensivierten Dialog zu Frieden und Sicherheit mit Partner*innen im Indo- Pazifik zu führen. Die vor allem vom steigenden Meeresspiegel Betroffenen verdienen unsere verstärkte, konkrete Unterstützung. Auch soll sich Deutschland aktiv für eine globale EU-Konnektivitätsstrategie einsetzen, um gemeinsame Infrastrukturentwicklung nach qualitativ hohen internationalen Standards entsprechend den Bedürfnissen unserer Partner*innen zu realisieren.“
(Kapitel 6: International Zusammenarbeiten, Indo-Pazifik, S. 97)
Konnektivität wird im Wahlprogramm zweimal erwähnt:
„Wir wollen dazu auch eine europäische Politik der globalen Vernetzung und Konnektivität vorantreiben und begrüßen entsprechende Partnerschaften.“
(Kapitel 6: International Zusammenarbeiten, Einleitung, S. 92)
„Wir streben an, einen intensivierten Dialog zu Frieden und Sicherheit mit Partner*innen im Indo-Pazifik zu führen. Die vor allem vom steigenden Meeresspiegel Betroffenen verdienen unsere verstärkte, konkrete Unterstützung. Auch soll sich Deutschland aktiv für eine globale EU-Konnektivitätsstrategie einsetzen, um gemeinsame Infrastrukturentwicklung nach qualitativ hohen internationalen Standards entsprechend den Bedürfnissen unserer Partner*innen zu realisieren.“
(Kapitel 6: International Zusammenarbeiten, Indo-Pazifik, S. 97)
ASEAN wird einmal erwähnt ebenso wie Indien:
„Australien, Japan, Neuseeland, Südkorea und auch Taiwan betrachten wir ebenso als wichtige Partnerländer, wie wir die strategischen Partnerschaften mit Indien und mit ASEAN ausbauen wollen.“
(Kapitel 6: International Zusammenarbeiten, Indo-Pazifik, S. 97)
Spannend ist natürlich nun, dies mit den Aussagen von CDU/CSU, SPD und FDP zu vergleichen. Ich erspare Ihnen, liebe Leserinnen und Leser, an dieser Stelle weitere Programmzitate und erlaube mir einfach eine politische Zusammenfassung, die Sie gerne überprüfen können. China kommt natürlich in allen Programmen vor. Am deutlichsten spricht die FDP bestimmte aktuelle Konflikte in diesem Zusammenhang an. Die FDP benennt die Solidarität mit Taiwans Demokratie und mit Hongkongs Demokraten, die Unterdrückung der ethnischen Minderheiten in China sowie Chinas Einschüchterung seiner Nachbarn und spricht sich für eine europäische Alternative zu Chinas Seidenstraßen-Strategie aus. Xinjiang und Tibet finden im Programm der FDP keine explizite Erwähnung. Die Union nennt China nicht nur Wettbewerber und Kooperationspartner, sondern auch einen systemischen Rivalen, ein Begriff, der Frau Merkel nicht über die Lippen ging. Und die Union spricht sich auch für eine europäische China-Strategie aus, etwas, das Bundeskanzlerin Merkel in den letzten Jahren systematisch sabotiert hat, für eine europäische Alternative zur chinesischen Seidenstraße und für ein gemeinsames Vorgehen des Westens. Zu Hongkong, Xinjiang, Tibet oder Taiwan äußert man sich hier nicht. Die ASEAN-Länder kommen weder bei der FDP noch bei der Union vor. Japan, Australien, Indien und Südkorea werden von der FDP wie von der Union genannt. Dann bleibt noch die SPD. Sie hält sich am knappsten, benennt Menschenrechtsverletzungen gegenüber Minderheiten, etwa den Uiguren, betrachtet den wachsenden Druck Chinas auf Taiwan mit Sorge, hofft, dass für Hongkong das Prinzip „Ein Land, zwei Systeme“ gewahrt bleiben werde, obwohl dieses längst im Orkus verschwunden ist, will China bei Bemühungen um Abrüstung einbeziehen, aber vergisst natürlich auch den Dialog mit Peking nicht. Andere wichtige asiatische Akteure werden nicht erwähnt.
Mein Fazit: Die Wahlprogramme haben erst angefangen, die Bedeutung Asiens für die deutsche Außenpolitik zu entdecken. Allerdings zeichnet sich interessanterweise bei allen sonstigen Differenzen doch ab, dass, sofern diese Wahlprogramme nach der Regierungsbildung noch eine Rolle spielen, die deutsche China-Politik jedenfalls kritischer, problembewusster und weniger auf Alleingänge orientiert sein wird, als dies Kanzlerin Merkel in den letzten Jahren zuließ. Das ist eine positive Perspektive.
Sonst noch
Traditionell berichte ich in meinen Plenarnotizen über die Plenartagung der vergangenen Woche. Thema der Woche war der Beginn der slowenischen Ratspräsidentschaft. Ich beschäftigte mich insbesondere mit einer Resolution zu Hongkong anlässlich der Einstellung der pro-demokratischen Zeitung Apple Daily. Hier meine Rede im Plenum und hier meine Pressemitteilung.
Für das Green European Journal habe ich einen Beitrag verfasst: Europe’s Foreign Policy: A Catalogue of Errors.
Für den 7.7. hatte ich gemeinsam mit Viola von Cramon die Online-Diskussion „The Beijing Olympics and Human Rights“ organisiert. Hier findet Ihr die Videoaufzeichnung.
Meine Pressemitteilung zu den Schlussfolgerungen des EU-Rats zu Konnektivität könnt Ihr hier nachlesen.
Die Münchner Sicherheitskonferenz hatte, in Zusammenarbeit mit dem Mercator Institute for China Studies und der Aspen Strategy Group, eine Reflexionsgruppe – bestehend aus 19 ExpertInnen für China und die transatlantischen Beziehungen – einberufen, um Ideen zu entwickeln, wie ein gemeinsamer transatlantischer Ansatz gegenüber China erreicht werden kann. Ich war Teil der Reflexionsgruppe. Unseren Bericht findet Ihr hier.
Am 15.7. diskutiere ich mit den beiden Abgeordneten des U.S.-Repräsentantenhauses Gerry Connolly und Ami Bera in der Online-Veranstaltung „A Transatlantic Response to the China Challenge“ des Progressive Policy Institute. Weitere Informationen sowie die Möglichkeit zur Anmeldung findet Ihr hier.
Ebenfalls am 15.7. diskutiere ich gemeinsam mit Sergey Lagodinsky und zwei Expert*innen unser Papier für eine strategische Neuausrichtung der EU-Russland-Beziehungen. Um 18 Uhr geht es los. Meldet euch hier an.
Am 16.7. spreche ich bei der Online-Veranstaltung „Thüringer Wirtschaft in der Diskussion: Der europäische ,Green Deal’, Antworten für die regionale Wirtschaft“ der IHK Erfurt.